21. Agathokles an Phocion.

[26] Lager vor Nisibis, im Aug. 301.


Es ist eine lange Zeit verflossen, seit mein letzter Brief dich von der wunderbaren und traurigen Wendung meines Schicksals unterrichtet hat. Seitdem sind viele schmerzhafte Stunden vergangen, und in durchwachten Nächten ist mancher fruchtlose Versuch zur Bekämpfung einer Leidenschaft gemacht worden, die mit jedem Tage neu genährt, und allzu reizend unterhalten, endlich jedes ohnmächtigen Widerstandes spottet. Feindselig hat das Geschick sich wider mich verschworen; von allen Seiten umstellt es mich mit unausweichbaren Netzen, in denen ich mich verwirren, in denen ich fallen muß. Habe ich denn irgend eine verborgene Schuld meines eigenen Herzens, oder eine alte meines Geschlechtes abzubüßen, daß, wie in den Dichtungen der Tragiker, die Eumeniden mich rächend verfolgen, und das Fatum sein Opfer zürnend fordert? Nur zwei Auswege sehe ich offen, wie mein verworrenes Schicksal sich lösen kann – nur zwei –[26] und Einer ist finsterer, als der Andere. Aber, wenn hier das Bewußtseyn verlorner Unschuld, zertretener Pflicht den Gefallenen für kurze Seligkeit endlos foltert: so öffnet dort nach wenig durchkämpften Stunden sich hinter dem finstern Vorhang eine hoffnungsreiche Aussicht in eine lohnende Welt. Schuld oder Tod! Wie kann das denkende Wesen zweifelnd anstehen?

Von allen Seiten umgeben mich hier Menschen und Grundsätze aus einer Sekte, die ich bisher, angesteckt von den Vorurtheilen unserer Schulen, und unsers öffentlichen Lebens, als ängstlich, die Kraft des Menschen lähmend und lächerlich schwärmend verachtete. Ich lebe unter Christen, ich lerne ihr System, ihre Lehrsätze genauer kennen, und es liegen Begriffe, Ansichten, Hoffnungen darin, die nicht blos dem blinden Glauben, die selbst der vorurtheilfreien Vernunft groß, edel, und höchst Wahrscheinlich erscheinen müssen. Tief aus der Natur des Menschen geschöpft, auf seine mächtigsten Triebe gebaut, und mit seinen edelsten Kräften wirkend, steht ihr System da, und scheint, so weit ich es kenne, nichts als das deutlich ausgesprochene Resultat dessen, was unsere Weisen seit Jahrhunderten, zweifelnd und ahnend, in unzusammenhängenden Sätzen vortrugen. Wo diese in Dämmerung irrten, zeigt jene ihren Anhängern volles Licht; lehrt jene sie mit kindlicher Zuversicht glauben, und wer auch nicht von den Ihrigen ist, fühlt sich hingerissen und versucht, den Trost zu ergreifen, den sie anbietet. Es ist eine Zukunft, eine Vergeltung nach dem Tode, und unser Schicksalsgewebe wird erst dort entwirret. Was zaudre ich, der Auflösung schneller zu nahen? Im Schlachtgetümmel ist der Tod in tausend Gestalten[27] vorhanden, und auf dem Bette der Ehre, indem ich die Pflicht gegen mein Vaterland erfüllte, zerreißt ein mitleidiges Feindesschwert die Netze, die mich gefangen halten, und gibt meinem Geiste die Freiheit, ohne Widerstand glücklich zu seyn! Dann hört der Zwiespalt in meinem Innern auf, das Gefühl des unheilbaren Schmerzens entströmt mit dem Leben der durchstoßenen Brust, das stille Herz schlägt nicht mehr widerspenstig gegen seine Schranken, aller Streit ist geendet, aller Kampf Friede geworden! Und ich soll zaudern?

Wir haben Edessa verlassen. Ein paar Vortheile, die wir über den Feind errangen, öffneten uns den Weg bis hierher. Wir stehen vor Nisibis, das die Perser noch besetzt halten. Demetrius belagert es, und denkt es bald einzunehmen, besonders da er auf eine Verstärkung rechnet, die ihm Galerius sicher versprochen hat. Auch hierher mußte ihm Larissa folgen, muß alle Gefahren und Beschwerlichkeiten mit ihm theilen, und nicht immer, o nur selten ersetzt ihr Schonung und Liebe die Ungemächlichkeiten, die wahrlich nur Liebe um der Liebe willen freudig auf sich nehmen, die die kalte Pflicht stets doppelt lastend fühlen muß. Das muß ich mit ansehen, fühlen, was sie leidet, mir bewußt seyn, welches Loos sie an meiner Seite erwartet hatte, und schweigen – und oft noch aus ihrem Munde die Versicherung hören, daß sie nicht unglücklich sey! Phocion! Ich erkenne die Schönheit ihrer Gesinnungen, die zarte Schonung, die in dieser Verleugnung liegt, ich weiß, was sie damit erreichen will; aber es dient nicht, meine Leidenschaft zu mäßigen.

Ich habe es schon in Edessa versucht, von meinem Platze loszukommen, und eine Bestimmung zu erhalten,[28] die mich aus dem gefährlichen Kreise entfernte, in den ich mich, wie durch Zauber, gebannt sehe. Demetrius ließ mich nicht von sich, ja er zog mich, unterrichtet von meiner Bekanntschaft mit seiner Frau, freundlich in den kleinen Zirkel, der ihn stets umgibt. Da sehe ich sie nun täglich, bin Zeuge ihrer Tugenden, ihres himmlisch schönen Kampfes, oft ihres Sieges, aber auch – o Phocion! hier liegt die Quelle meines unheilbaren Unglücks! aber auch zuweilen ihrer Schwäche. Sie liebt mich, ich weiß es, ich fühle es. Manchmal bricht die mühsam verhaltene Flamme hell und leuchtend aus ihrer reinen Brust. Als sie mir neulich meine wunde Hand verband, als sie, mit dem Ausdrucke der zartesten Sorge um mich beschäftigt, mit ihren zitternden Händen die meinige hielt, ihre Thränen auf meine Wunden floßen, und sie in diesem Augenblick, aller Verhältnisse vergessend, nur das besorgte liebende Weib war – o Freund! ich erröthe nicht, es zu sagen, daß meine Kraft mich hier verließ, daß auch mein Herz sich ihr unverhüllt offenbarte. Ich fordere den Mann heraus, der hier standhaft geblieben wäre. Ich wage es zu behaupten, daß den seine Tugend nichts kosten kann, denn er kann nicht fühlen.


Acht Tage später.


Ich habe lange keine Nachricht von dir! Im Getümmel, im Gewirre des Krieges mögen sich die Briefe wohl leicht verlieren. Noch sind wir vor Nisibis, aber wir werden es nicht mehr lange seyn. Demetrius, der die Stadt schon seit ein paar Wochen eng eingeschlossen, und vergebens auf eine Verstärkung vom Cäsar Galerius gewartet hat, will der Ungeduld der Truppen, ihrem lauten[29] Murren, ihrem Wunsch, die Stadt durch Sturm zu nehmen, nicht länger widerstehen. Auch ist es dringend, daß ihr Schicksal sich entscheide. Hitze, Durst und Krankheit fangen an unser Lager zu verheeren. Kommt nicht bald Hülfe, mißlingt der Sturm auf Nisibis: so müssen wir fort, und schimpflich ein Unternehmen aufgeben, das mit großem Muth, nicht ohne reife Ueberlegung begonnen, und wahrlich für das Schicksal des ganzen Krieges entscheidend ist. Fällt Nisibis nicht, so hoffe ich wenig Gutes, wenigstens für diesen Feldzug mehr. Es ist aber bereits mehr als Vermuthung, daß die alte Feindschaft zwischen Galerius und unserem Feldherrn für Jenen Grund genug wäre, das Gelingen eines solchen Plans zu zerstören, wenn auch mehr als die Ehre des Mannes, den er haßt, darüber verloren gehen sollte. Was auch immer die erste Quelle des Zwiespalts ist, so weiß ich jetzt bestimmt, daß Galerius Haß gegen die Christen die Kluft zwischen ihm und dem Feldherrn, der dieser Sekte so treu ergeben ist, immer mehr erweitert. Jener möchte sie verderben, er verfolgt sie, wo er kann; und ließe Diocletians politische Weisheit, oder seine gemüthslose Gleichgültigkeit gegen Alles, was den Menschen über sich selbst erheben kann, sich von ihm, wie er's wünscht, erhitzen, so zweifle ich nicht, daß wir bald eine allgemeine Verfolgung erleben würden.


Zwei Tage darauf.


Was wir längst fürchteten, und uns selbst nicht zu gestehen wagten, die Wahrscheinlichkeit, daß keine Verstärkung zu hoffen ist, ist nun zur Gewißheit geworden. Galerius denkt niedrig genug, das Heer, das Schicksal[30] des Krieges, seinen Leidenschaften aufzuopfern. Wir sind verlassen, aber Demetrius findet in seinem festen Willen und in dem Muthe der Truppen Kraft genug, das allein zu thun, wovon ihn Scheelsucht und Rache abzuschrecken vergebens versucht. Morgen wird gestürmt. Mauerbrecher, Sturmleitern, Wurfmaschinen, Alles ist in Bereitschaft, das Heer voll guten Willens und freudigen Muthes. Ein Bote, den ich absende, bringt dir diesen Brief und die beigefügte Rolle, die meinen letzten Willen, und die kleinen Verfügungen über mein mütterliches Vermögen enthält. Wer weiß, ob wir uns hier je wieder sehen. Mir steht eine ernste Stunde bevor. Meiner Treue, meinem anhaltenden Bitten, vertraut Demetrius den Posten an einer der gefährlichsten Stellen, und wenn dies Zutrauen mich ehrenvoll auszeichnet, so sichert mir die Gefahr des Auftrags entweder künftigen Ruhm oder Heilung aller meiner Schmerzen. So erwarte ich den kommenden Morgen. Es ist Mitternacht. Alles ist stille. Vielleicht wacht außer mir nur noch Ein Auge, das in diesen ernsten Stunden für mich betend und angstvoll zum Himmel blickt. Auch deiner, gutes, edles Wesen! harret vielleicht ein besseres Schicksal, wenn morgen der Tod den unwillig geliebten Freund deinem kämpfenden Herzen entreißt, und über seiner Asche dein ängstlicher Streit sich in ruhige Wehmuth verliert. Meinen Vater tröste du. Verlaß Athen, kehre nach Nikomedien zurück; mein Testament enthält die Verfügungen, die dich für jenen Schritt entschädigen sollen. Ihm, dem von drei hoffnungsvollen Söhnen nur der ungeliebteste übrig blieb, wird deine sanfte Gemüthsart, dein heiterer Sinn leicht Ersatz für den ernsten,[31] allzudüstern Sohn werden. So sehe ich wohl Einige, die durch meinen Tod gewinnen, Niemand, der darunter leiden wird! Und welche Thränen hätte nicht die Zeit getrocknet? Leb' wohl, Phocion! Daß wir uns wiedersehen, weiß ich gewiß! Wie, wo, wann – das sind Fragen, die vielleicht morgen ein Pfeil, ein Schwert befriedigend löset.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 32, Stuttgart 1828, S. 26-32.
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