31. Sulpicia an Calpurnien.

[71] Corinth, im Nov. 301.


Zum ersten Mal nach einer pfeilschnellen Reise von acht Tagen genieße ich einige Stunden Erholung, und sie seyen dir geweiht, dir, du treue Freundin, du meine Wohlthäterin, meine Retterin! Ja, das bist du, Calpurnia! und mein Herz erkennt es mit dankbarer Rührung, und wird nie aufhören, dich zu lieben, und seine Verpflichtungen zu fühlen, selbst wenn Zufall und Umstände uns jede Hoffnung auf künftiges Wiedersehen rauben sollten.

Meine Abreise von Bajä, welche die Stimme der Welt nicht unterlassen wird, Entführung, Flucht zu nennen, war so schnell beschlossen und ausgeführt, daß mir keine Zeit übrig blieb, dich weitläuftiger zu unterrichten, und dir die Unruhe der Ungewißheit zu ersparen. Alles, was ich dir senden konnte, waren ein Paar flüchtige Zeilen. Jetzt, da ich dies schreibe, wirst du bereits mehr wissen; denn ich zweifle nicht, daß Serranus und mein Vater nicht gesäumt haben werden, bei meiner Mitverschwornen, wie sie dich nennen, genauere Erkundigungen über eine Begebenheit einzuziehen, von der sie dich gewiß vollkommen unterrichtet glauben. Es wird nicht auf die schonendste Art geschehen seyn; auch dafür muß ich deine Verzeihung anflehen, obwohl ich dir nicht ungern eine kleine Buße für den warmen Schutz gönnte, den du vor einiger Zeit dem Serranus angedeihen ließest, als du sogar fandest, daß er ein recht erträglicher Mann sey, mit dem du ganz gut hättest leben können.[71]

Doch lassen wir Serranus, und Alle, die ihm beistanden. Meine Ketten sind zerbrochen. Ich bin frei; und es ist nicht die Hand des ernsten Genius, der, seine Fackel senkend, mitleidig meinem Leiden ein Ende macht – ein schönerer fröhlicherer Gott hat die Fesseln gelöset, und seine hellleuchtende Fackel führte, wie das Gestirn der Dioscuren, unser Schiff dem sichern Zufluchtsorte zu. Und diese namenlose Seligkeit danke ich den drei Wesen, die mir auf der Welt am theuersten sind, dir, dem edlen Agathokles, und ihm – ihm, der aus der düstern Nacht der Zweifel und des Mißtrauens, schön und glänzend wie das Gestirn des Tages, hervortrat, alle Schatten verscheuchte, alle Thränen trocknete, und mich zur höchsten Wonne erhob. O wer nicht unglücklich war, wie ich, weiß einen solchen Uebergang nicht zu schätzen. Nur der befreite Sclave kennt das Glück, fessellos zu seyn, und ich war Sclavin, Sclavin im engsten, drückendsten Sinne des Wortes – denn auch mein Geist war gebunden. Jetzt bin ich frei, frei, meine Calpurnia, und im Arme der Liebe fühle ich die Seligkeit meines Daseins!

Doch ich soll dir ja erzählen und berichten, was mit mir vorging. Zehn Tage sind es jetzt, als ich am Morgen nach einer halbdurchweinten Nacht, matt und krank, auf meinem Bette lag. Da trat meine Chromis ein. Ein fröhlicheres Gesicht, als ich seit langer Zeit nicht an dieser treuen Seele sah, erweckte mich zuerst aus meinen düstern Gedanken. Eine Botschaft von dir, vielleicht Hoffnung auf deine Ankunft war das erste, das mir einfiel. – Was hast du? gute Nachrichten aus Rom, von Calpurnien? »Mitunter, aber auch von Weitem her, auch aus Asien.« Aus Asien rief ich heftig, was weißt du aus Asien? »Der[72] Prinz ist auf dem Wege nach Italien.« Nicht möglich! Warum? Weswegen? – Ich war aufgesprungen, und stand zitternd vor Chromis. »Fasse dich, meine Gebieterin!« sagte das gute Mädchen, und leitete mich zurück zu Meinem Bette. »Wie willst du den Verlauf meiner langen, langen Botschaft anhören, wenn die ersten Worte dich so erschüttern?« O sprich, sprich! Du tödtest mich durch dein Zaudern. Wo ist Tiridates? »Nicht weit von hier!« Was will er? Was soll ich? Er wird doch nicht – nach dem, was vorgefallen ist – »Er kömmt wahrscheinlich, um sich zu vertheidigen, und die bösen Gerüchte zu widerlegen, die man sich über ihn erzählt.« – Er kommt hierher? Ich soll ihn sehen? O ich kann nicht, ich kann nicht! – »Doch, meine Gebieterin! Du sollst ihn sehen, anhören, ihm verzeihen! – O du verzeihst ihm gewiß. Wer kann ihm denn zürnen, wenn man ihn sieht?« Du hast ihn gesehen? rief ich in der größten Erschütterung. Wo ist er – wo? Und ich sprang auf's Neue auf, und wollte hinaus eilen, als Chromis mich zurück hielt: »Erlaube mir, meine Gebieterin! dich an die Tageszeit, an deine Gesundheit zu erinnern. Die Sonne ist kaum aufgegangen, du bist leicht gekleidet, und wir sind allenthalben beobachtet.« Ich blieb stehen, aber Alles brannte und pochte in mir. Was soll ich denn thun? rief ich endlich halbweinend aus: Was hast du mit mir vor? – »Wenn du dich beruhigen, wenn du mich gelassen anhören willst, so will ich dir Alles erzählen.« Was war zu thun? Diesmal mußte die Frau der Sclavin folgen. Ich ließ mich wie ein Kind von ihr leiten, und nun erzählte sie mir, daß man sie gestern Abends, als ich schon schlief, unter dem Vorwand, einer ihrer Verwandten warte im Gasthof des[73] Dorfes auf sie, dahin gerufen habe. Sie ging, und war sehr erschrocken, statt ihres Vetters, einen vermummten Unbekannten zu finden, der sie auf eine geheimnißvolle Weise in einen Winkel des Hauses führte, und sich ihr dort zu erkennen gab. Er war es – mein Tiridates! mein Befreier, meine rettende Gottheit!

Er war gekommen, mich zu befreien, er hatte dem stürmischen Meer in dieser Jahreszeit Trotz geboten, und einen gefährlichen Plan entworfen, um mich zu retten. O fühle, fühle, Calpurnia! den Himmel, der in dem Gedanken liegt, so geliebt zu seyn! und von einem Wesen, wie mein Tiridates! Mein Tiridates! Ich sage es mit Stolz und Götterlust – er ist mein! Du, Calpurnia! weißt nicht, was ich an ihm besitze; du warst nur seine Freundin, nicht seine Geliebte, seine Braut. Ich weiß, du achtest und liebst ihn; aber es ist nicht möglich, alle Tiefen dieses reichen, wunderbar ausgestatteten Herzens zu ergründen, wenn uns nicht die Hand der Liebe leitet. Wie er liebt, mit dieser Stärke und dieser Zartheit, dieser Kraft und dieser Hingebung, so liebt nur ein Mann und ein Mädchen zugleich. Er vereinigt beide Empfindungen in seiner Brust, er denkt wie ein Mann, und fühlt wie ein Weib. Er ist mir Alles – Alles auf der Welt! Und ohne ihn? O weg mit diesem schrecklichen Gedanken! Ich habe genug gelitten! – Doch nein, nein! Ich habe nicht genug gelitten. So elend ich war, als Verdacht und Eifersucht meine Brust zerrissen, und sein Götter-Bild in dunkle Schatten hüllten, als der Leitstern meines Lebens verschwunden schien – ich war doch nicht unglücklich genug, um diese Seligkeit erkauft zu haben!

Und doch hat ihm mein Verdacht nicht ganz Unrecht[74] gethan. Er hat mir Alles bekannt, vor mir auf den Knieen liegend, das schöne Gesicht in meine Hände verborgen, über die seine glänzenden Locken fielen, unendlich liebenswürdig in seiner Zärtlichkeit, unwiderstehlich in seiner Reue, hat er mir Alles erzählt. Ja, er war mir ungetreu; aber sein Herz wußte nichts davon, nur seine Sinnen waren bestrickt. O dies Herz, das reich genug ist, zehn alltägliche Geschöpfe aus seiner Fülle überglücklich zu machen, behielt Raum genug für seine bessere Liebe, während einige gemeine Seelen im Sonnenblicke seines Wohlgefallens nach ihrer Art selig herumgaukelten. Und doch klagte er sich an, doch hat er sich mit einer Strenge beurtheilt, deren nur das zartfühlendste Weib fähig ist. O Calpurnia! Was war das für eine Scene? Nur um sie erlebt zu haben, lohnt es der Mühe, geboren zu seyn! Wer sie erfahren hat, kann nie ganz unglücklich werden, denn er war im Olymp, er hat seinen Lohn voraus, das Schicksal mag später mit ihm beginnen, was es wolle.

Vergib, Calpurnia, theure Geliebte, daß ich dir statt einer ordentlichen Erzählung Ausrufungen und Schilderungen meines Glückes schreibe! Du hast so treu und thätig meine Leiden getheilt, du hast das erste heiligste Recht auf jede meiner Freuden.

Mit Chromis, und nach ihrem Rathe, hatte er nun den Plan entworfen, mich noch denselben Tag zu befreien, wenn ich einwilligen wollte. Und wie hätte ich nicht sollen, wie nicht können? – Ich ging um die Mittagsstunde mit Chromis unter dem Vorwande, zu versuchen, ob ich nicht im Meere baden könnte, an's Gestade hinaus. Ein paar Sclavinnen begleiteten uns, weil man Chromis längst mißtrauete, und sie nirgends allein mit mir hingehen[75] ließ. An der schattigen Bucht, die uns in wärmern Tagen oft zu einem angenehmen Badeplatze gedient hatte, ließ ich, wie gewöhnlich, die Mädchen warten, und ging mit Chromis tiefer hinein. Man ahnete nichts, und ließ uns gehen. Aber am Ufer des Meeres lag ein Kahn, und in dem Kahn war ein Schiffer – Ach, Calpurnia! Welcher Schiffer! Vermummt, und jedem Auge unkenntlich konnte er doch das Auge der Liebe nicht täuschen. Ich sprang in's Schiff – ich lag in seinen Armen. Mit unbegreiflicher Stärke ruderte er allein den Kahn mit mir und Chromis durch die strudelnde Brandung, und brachte uns an das größere Schiff, das nicht weit davon hinter einem Felsen lag. Hier erst wagte ich es, mich meiner Rettung zu freuen. Hier erst fühlte ich, was ich ihm dankte, und wie mein ganzes Wesen, meine Freiheit, mein Leben, mein Glück sein Werk, das Geschenk seiner Hand war. Schön und lieblich war bisher, der Jahreszeit ungeachtet, unsere Fahrt. Wir haben Corinth ohne das mindeste Ungemach erreicht, und dieser glückliche Anfang soll meinem Herzen ein Zeichen von der dauernden Gunst der Götter seyn. Morgen gehen wir schon von hier weg. Ein Schiff, das nach Nikomedien bestimmt ist, liegt segelfertig im Hafen, wir werden es besteigen, und bald hoffe ich dir aus dieser Stadt zu schreiben, wie glücklich ich bin, und wie ich Agathokles gefunden habe, der jetzt dort seyn soll.

Fordere nicht, meine theure Freundin! daß ich dir eine Beschreibung der merkwürdigen Stadt und des heiligen Isthmus gebe, auf dem ich mich jetzt befinde. Für tausend Reisende mag das sehr wichtig seyn, mir ist es nichts. Ob ich auf einer wüsten Insel, oder in Corinth[76] lebe, ist mir gleichgültig. Genug, ich lebe mit Tiridates; er ist meine Welt, und in dieser versunken, verloren, was kümmert mich das Treiben der Menschen um mich? Was vollends die Geschichten verflossener Jahrhunderte? Aus Nikomedien hoffe ich dir etwas Bestimmteres über mein Schicksal sagen zu können. Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 32, Stuttgart 1828, S. 71-77.
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