32. Junia Marcella an Larissa.

[77] Apamäa, im Nov. 301.


Dieser Brief, meine geliebte Freundin! wird kaum ein paar Tage vor unserm Lehrer und Freunde Apelles bei dir eintreffen. Endlich haben es seine Geschäfte erlaubt, den längst versprochenen Besuch bei dir abzulegen. In einer Rücksicht kommt er nun freilich zu spät; er wird dich in deiner Einsamkeit zu Trachene, und nicht in der gefährlichen Nähe eines allzugeliebten Freundes finden. Das ist Fügung der Vorsicht, meine Theure! Hierin erkenne ich ihren Finger, nicht in den kleinen Zufällen, die sich vereinigten, oder für dich zu vereinigen schienen, um ein Verhältniß fortdauern zu machen, das zu gefährlich war, als daß du dich lange hättest darüber täuschen können. Auch hier sah Agathokles schärfer und weiter, als du. Seine Ungleichheit, sein Trübsinn, über den du klagtest, war nichts anders, als klare Einsicht in eure Lage, und zarte Schonung für dich, die er zu warnen nicht kalt genug war. Nun, ihr seyd getrennt, die Vorsicht hat sich eurer erbarmt, und wie ein gütiger Vater die hülflosen Kinder gerettet, die ohne seine Einwirkung verloren waren. Laß uns ihr dafür innig und herzlich danken. Ich habe es mit Theophron und Apelles gethan, der nun mit viel leichterem Herzen sich auf den Weg[77] macht, um deinem wunden Gemüthe Beruhigung und Trost zu bringen. Er wird dir manches erzählen, was hier vorgefallen ist. Es steht bei weitem nicht mehr so, wie es vor vier Jahren stand! Galerius Haß gegen die Christen hat viele Leiden über unsere Brüder verhängt. Es ist beinahe jetzt ein Verbrechen, ein Christ zu seyn, oder wenigstens ein Grund zu tausend Neckereien. Daher sind Einige ausgewandert, die Meisten halten sich verborgen. Es gibt nun mehr, wie sonst, Unglückliche zu trösten, Arme zu unterstützen, und viele Gelegenheiten, wodurch Einfluß, Geld und Verbindungen den Bedrängten zu Hülfe geeilt werden muß. Ich thue, was ich kann, und was die Pflichten gegen meine Kinder erlauben; aber wie wenig ist, was ein Weib, eine Wittwe vermag, wo es darauf ankommt, außer dem Umfang ihres Hauses, in den Verhältnissen der Welt zu wirken! Wie schmerzhaft, fühle ich dann den Verlust eines geliebten Gatten, den Gottes Rathschluß mir und seinen Kindern, so früh entriß!

Apelles wird Euch von Allem näher unterrichten, und Demetrius kann, wenn ihm das Beruhigung gibt, sich mit dem Gedanken aufrichten, daß er tausend Leidensgefährten hat, die des Cäsars wilder Haß, um ihres Glaubens willen, wie ihn, verfolgt, neckt, stürzt. Er wird euch auch noch mehr erzählen, und einen erhabenen Plan mittheilen, den der ehrwürdige strenge Heliodor – du wirst dich seiner wohl erinnern – entworfen hat. Die barbarischen Nationen umlagern von allen Seiten das römische Gebiet. Ihre ungezähmte Rohheit, ihre einfachen Sitten, gleichweit von unserer Cultur und unsern Lastern entfernt, erregtem längst in Heliodors eifrigem, menschenliebendem Gemüthe den Wunsch, diese wilden[78] Naturen durch das Christenthum auf einem edleren Wege zur Bildung zu führen. Nicht unsere Künste, unsere Bedürfnisse, unsere Ueppigkeit sollen sie zuerst kennen lernen; die christliche Religion soll vorher in ihren noch unverdorbenen Herzen Wurzel fassen, ihre rohen Tugenden veredeln, ihre Wildheit zähmen, damit, wenn sie, wie er vorher zu sehen, vorher zu wissen glaubt, einst über die gebildete Welt hereinbrechen werden, die Menschheit nicht so viel zu leiden habe, und das Christenthum, von reineren einfacheren Gemüthern aufgefaßt, siegend mit den Siegern sich über die Welt verbreite.

Noch kann ich nichts als den erhabenen Entschluß bewundern, der ihn alle Beschwerlichkeiten, alle Gefahren, ja den Tod verachten lehrt, um in unbekannten Wildnissen den Barbaren die heiligen Lehren des Christenthums zu bringen; aber ich sehe weder seine Nothwendigkeit ein, noch einen guten Erfolg bevor. Indessen ist Heliodor ganz durchdrungen von seinem Vorhaben, und sein glühender Eifer kann kaum den Augenblick erwarten, wo die Anstalten zu seiner Reise getroffen seyn werden. Er geht jetzt nach Nikomedien, wo er sich einzuschiffen, und über den Euxin zu seiner künftigen Bestimmung zu eilen denkt. Vielleicht siehst du ihn in Trachene.

Noch eins habe ich dir mitzutheilen, das ich dir lieber schreiben, als Apelles anvertrauen wollte. Es gehört nicht unmittelbar zu dem, was er zu wissen braucht, um dich zu trösten, und in deinem Gemüth den Frieden herzustellen, und betrifft zu unbekannte Personen, um ohne Prüfung Mehreren mitgetheilt zu werden. Man sagt – aber ich bitte dich, wohl zu bedenken, liebe Larissa! daß ich dir nur Gerüchte schreibe – man sagt, daß Agathokles[79] nicht nur in Rom im Hause jener Calpurnia gelebt habe, daß sie ein sehr schönes, sehr geistreiches, aber ziemlich leichtsinniges Mädchen sey, sondern auch, daß sie sich beide nicht gleichgültig geblieben wären, und daß Agathokles nur auf Befehl seines Vaters, und sehr wider seinen Willen, ihre reizende Gesellschaft verlassen habe. Daß sie sich schreiben, weißt du, vielleicht aber nicht, daß ihr Vater das Proconsulat von Bythynien erhalten hat, und nächsten Frühling mit seiner ganzen Familie dahin kommen wird. Können diese Nachrichten beitragen, dein Gemüth in eine ruhigere, Verfassung zu bringen, indem sie einen Verlust, den du für unersetzlich hieltest, in deinen Augen etwas mindern: so bin ich froh, und der Eifer, mit dem ich jeder Spur seines Verhältnisses nachforschte, ist belohnt. Sollte es sich fügen, daß ich Gewißheit erhielte, so werde ich nicht säumen, sie dir mitzutheilen. Wenn sie dich auch im Anfange schmerzet, so denke, daß es unsere Pflicht ist, überall Wahrheit zu suchen, Alles zu prüfen, und nur nach richtiger Erkenntniß zu handeln, wenn auch darüber ein schöner Traum zerstört werden sollte; bedenke ferner, daß es der Anfang deiner völligen Genesung seyn kann, und wenigstens ein sicherer Weg, um auf eine schnellere und ruhigere Art aus dem Labyrinthe zu kommen, in welches dein Herz und die Umstände dich verflochten haben. Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 32, Stuttgart 1828, S. 77-80.
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