33. Larissa an Junia Marcella.

[80] Trachene, im Nov. 301.


Da bin ich nun, geliebte Freundin! auf unserm stillen Landgütchen. Die Natur verliert nach und nach ihre Reize, die Bäume streuen ihr welkes Laub auf den unbeblümten[80] Boden nieder, kältere Winde regen die stillen Fluthen des Bosphorus auf, und in trüben Tagen, wo der Nebel die gegenüber liegenden Ufer verbirgt, unterbricht nichts die düstere Stille, als der Schall der stärkeren Brandung, die lautseufzend an das Gestade schlägt. Stundenlang sitze ich da oft am Meeresufer, sehe dem Spiel der Wellen zu, betrachte ihr heftiges Treiben, ihr unruhiges Emporstreben, und wie zuletzt jede wieder zurücksinkt in den dunkeln Schooß des Meers, wo keine Spur von ihrem Daseyn bleibt, das mit allen seinen Anstrengungen auf ewig versunken ist. Kann man nicht das Menschengeschlecht mit diesen Wogen vergleichen? Ach so unruhig, so bewegt, so rastlos streben sie nach einem fernen Glücke, das Jeder anders nennt, und im Grunde Keiner kennt; sie bemühen sich, sie matten sich ab, und versinken zuletzt alle im Schooß der Erde; keine Spur bleibt zurück, sie sind dahin, wie ein Schatten – wie Gras auf dem Felde, das am Morgen grünt, und am Abend verwelkt ist.

Meines Mannes Laufbahn ist nun aus. Vierzig Jahre sind unter Waffen, Gefahren, und mancherlei Sorgen und Verfolgungen hingearbeitet worden, wenige Tage der Erholung, selten ein Augenblick von Freude! Und was ist sein Lohn? Und was ist mein Loos? Obgleich meine Jahre lange nicht an die Hälfte der seinigen reichen, was habe ich nicht ertragen, gekämpft, verloren! Einsam, freudenlos, selten so geliebt, wie mein heißes Herz es wünschte, floß, seit ich denken kann, mein Leben hin. Der, für den mein Wesen gebildet schien, ward durch das Schicksal von mir gerissen; der, dem ich angehöre, hat keinen Sinn für das, was ich bin, und ihm seyn[81] möchte. So schwindet mein Daseyn zwecklos hin. Still, vergessen, unbedauert wird es endlich verlöschen, und Niemand darnach fragen, Niemand darum wissen, daß einst eine unglückliche Larissa lebte.

Ach wenn ich nur sagen könnte: Dazu war ich auf der Welt! Aber ich weiß ganz und gar keinen Zweck, warum ich geboren ward, als – einst die Wärterin eines kränklichen, gebeugten Greises zu werden, der meine Dienste noch meist verkennt, und fast immer ungütig aufnimmt. Dazu ward mir dies heiße Herz? Dazu führten alle meine verworrenen Schicksale? Ach Junia! Wie viel Ergebung und Geduld brauchte ich nicht jetzt, um mich vom Murren zu enthalten!

Agathokles ist fern. Ich werde ihn nie wieder sehen. Das wußte ich, als ich mich von ihm in Nisibis trennte. Nie wieder sehen! – Nie! – Demetrius und Agathokles! Trachene und Nisibis! Laß mich einen Vorhang über meine Geschichte ziehen, die Asche nicht aufrühren, die über der schlecht gedämpften Gluth meines Herzens liegt! Ich soll, ich muß ja vergessen! O wenn es einen Lethe gäbe, und mir ein mitleidiger Engel eine Schaale davon bringen möchte! Ich will ja leiden, tragen, und alle Geduld mit Unglücklichen haben, die in ihrem Kummer Andere nicht schonen. Aber an das, was war, muß ich nicht immer erinnert werden, nicht immer fühlen, wie es ist, und wie es seyn könnte.

Mein Mann hat einen Briefwechsel mit Agathokles verabredet. Er ist zu bequem zum Schreiben, so hat er mir diesen Auftrag gegeben. Ich soll an Agathokles schreiben! Ich! Und wie? So wie Demetrius schreiben würde? Das ist unmöglich. So wie mein Herz es eingibt?[82] Das darf ich nicht! Ich zittre vor dem neuen Sturm, den meine Weigerung erregen wird. Ja, du hast recht, Junia! Ich war zu schwach, als ich meine Hand in diese Ketten fügte, aber jetzt – ist nichts mehr zu thun.

Agathokles hat mir in den letzten Tagen Einiges von Calpurnien erzählt – vielleicht nicht ganz ohne Veranlassung von meiner Seite. Ach, wie er mir das erzählte, und wie er überhaupt die letzten zwei Tage sich betrug, das hätte jeden Funken von Verdacht, auslöschen, und das argwöhnischeste Gemüth entwaffnen müssen! Ja, ich bin geliebt! – Aber still, still, nichts mehr von jenen Tagen des Himmels, hier in dem Aufenthalte der büßenden Geister! Wenn die schöne Calpurnia nach Nikomedien kommen soll – so – so will ich mich bemühen, mich darüber zu freuen. O möchte sie meinen Freund glücklich machen! Mich betrachte ich als eine schon Verstorbene, und im Grabe hört Eigenthum und Eifersucht auf. Ich will seyn, wie der Geist seiner Geliebten, und mich in den Auen des Friedens freuen, daß mein Agathokles auf der Erde noch glücklich geworden ist. Nein, was ich für ihn fühle, ist keine sträfliche Leidenschaft. Ich bin ja todt, todt für ihn, für die Welt, für mich selbst, nur nicht für meine Pflicht!

Die öffentlichen Nachrichten tragen auch nicht bei, ein düsteres Gemüth aufzuheitern. Heimlich und verborgen glimmen die Funken der Zwietracht unter denen, in deren Hände die Vorsicht das Wohl des Menschengeschlechts gelegt hat. Alle Briefe, die mein Mann von seinen Freunden am Hofe und bei der Armee erhält, bestätigen die traurige Vermuthung, daß es zum Ausbruche bürgerlicher Kriege, und der Erneuerung jener blutigen[83] Auftritte, die so lange Zeit das Unglück und die Schande des Römischen Reichs machten, nur an einer bequemen Gelegenheit fehlt. Zwischen Galerius und Diocletian sollen bedeutende Mißverständnisse walten. Dann sey uns der Himmel gnädig! Bis jetzt erhielt Diocletian wenigstens Ruhe und Frieden im Innern. Von Außen drohet uns ohnedies ein anderes Unglück. Die Gotherr, eine von jenen wilden Völkerschaften, zu welchen der fromme Heliodor zu reisen, und die rohen Gemüther durch die christliche Religion zu zähmen gedenkt, fangen an, unsere Küsten durch Streifzüge zu beunruhigen1. Sie kommen auf schlecht gezimmerten Kähnen in kleinerer oder größerer Anzahl längs dem Ufer des Euxin herabgefahren, landen an einsamen Plätzen, überfallen kleine Dörfer, einzelne Häuser, Reisende, rauben, was sie finden, ermorden, was sich widersetzt, und schleppen dann ihre Beute, auch oft Unglückliche, die lebend in ihre Hände fallen, mit sich an ihre unwirthbaren Ufer. Ihre Besuche werden immer häufiger, die Anzahl ihrer Streiter immer größer, der glückliche Erfolg gibt ihnen Muth; denn nirgends ist eine militärische Macht in der Nähe, die ihrem räuberischen Beginnen Einhalt thun könnte. Wir sind ihnen ganz preisgegeben. Ich habe meinen[84] Mann bereden wollen, unser einsames Landhaus zu verlassen, das so nahe am Ufer des Meeres, und so entfernt von aller Hülfe liegt; aber er verwarf diesen Vorschlag mit Verachtung, er hält Alles, was man erzählt, für Uebertreibungen der Furcht, er kennt die Nordischen Barbaren nicht, und hofft sie – selbst, wenn sie einen Angriff in unserer Gegend machen sollten, leicht zu überwinden. Zu dem Ende hat er seine Sclaven bewaffnet, und übt sie regelmäßig alle Tage. Welche Auftritte stehen mir bevor!

Der einzige freundliche Punkt in dieser düstern Zukunft ist die Ankunft unseres verehrten Freundes Apelles, den ich nach deinem Briefe jeden Tag erwarte. Immer wäre mir seine Gegenwart erfreulich gewesen. Jetzt werde ich ihn als einen Boten des Himmels betrachten, der Licht, Ruhe und Trost in meine traurige Einsamkeit bringen soll. Du sandtest ihn mir. Habe Dank dafür, Junia! Du wirst oft der Gegenstand unserer Gespräche seyn, mein Herz wird sich wieder dem sanften Einfluß der Freundschaft öffnen, und ich werde wenigstens auf einige Zeit minder unglücklich seyn. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Die ersten Raubzüge der Gothen, in welchen sie die Europäischen und Asiatischen Ufer des Euxin plünderten, fielen beinahe ein halbes Jahrhundert früher vor; aber diese so wie noch einige kleine Abweichungen von der Geschichte, die man weiterhin finden wird, ist wohl jeder Leser geneigt, einem Buche zu verzeihen, das gar keinen Anspruch auf gelehrte Genauigkeit macht, und in welchem die Begebenheiten derselben, oder der nächsten Zeit, nur in der Rücksicht gewählt wurden, in welcher sie in den Plan des Ganzen paßten.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 32, Stuttgart 1828, S. 80-85.
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