39. Sulpicia an Calpurnien.

[13] Synthium, im März 302.


Warum kann ich nicht zu dir fliegen, an deine Brust sinken, und dich mit Thränen der Freude willkommen heißen? Ach Entbehren und Entsagen war von jeher der Wahlspruch meines Lebens, und seine Macht bewährt sich fort und fort. Ich bin krank, meine Geliebte! nicht so krank, daß ich nicht allenfalls im Hause, und an einem warmen Frühlingstage in dem reizenden Garten unseres Freundes herumschleichen, und ohne zu große Anstrengung meines Kopfes, dir, meine Theure! schreiben könnte; aber viel, viel zu schwach, um eine Reise von sechs Stunden zu dir in die Stadt zu unternehmen. Ich habe viel von der Ruhe meiner gegenwärtigen Lage, von Asiens mildem Himmel und am allermeisten von der Erfüllung meines höchsten Wunsches gehofft. Es will sich nicht ändern, ich kränkle immerfort, und so soll ich denn vielleicht im Hafen Schiffbruch leiden, und die Welt zu einer Zeit verlassen, wo mein Leben erst eigentlich beginnen, und ich nach so vielen Stürmen an's Ziel gelangen soll. Es war eine Zeit, wo ich den Tod wünschte, wo er mir als das Ende meiner Qualen erschienen wäre – aber jetzt? – Jetzt ist der Gedanke, aus Tiridates Armen, aus dem Sonnenschimmer seiner beglücken den Liebe hinabzusteigen in das Reich wesenloser Schatten – oder des wesenloseren Nichts – schauderhaft, entsetzlich! Unerfreulich und düster steht die dunkle Welt jenseits vor[13] dem forschenden Blicke, und nach tausend Zweifeln, eiteln Spekulationen und nichtigen Erwartungen bleibt dem grübelnden Verstande höchstens – der Trost der Ungewißheit. Weiter kann er es nicht bringen, weiter hat es nie ein Weiser gebracht. Was sich wider diese Ueberzeugung in uns empört, ist der Trieb der Selbsterhaltung, dem der Gedanke der Vernichtung unmöglich zu fassen ist. Ich sollte von Tiridates scheiden, ihn der düstern Verzweiflung, oder – schreckliche Wahl – den Tröstungen einer neuen Liebe überlassen, und hingehen, woher nie Jemand zurückkommt, wo keine Hoffnung des Wiedersehens ist! O nein, nein! nur jetzt nicht sterben! Die Aerzte geben mir Hoffnung, und ich ergreife sie begierig; sie sagen, und es ist auch mehr als wahrscheinlich, daß jene traurigen Erschütterungen, die Beschwerden der Reise, die Veränderung des Clima's auf meinen geschwächten Körper nachtheilig wirken mußten; sie versprechen mir viel von der Wirkung der Zeit, und der inneren Zufriedenheit; und so will ich denn geduldig seyn, und alle Gedanken und Zweifel verbannen, die noch zuweilen in mir aufsteigen wollen; ich will recht gelassen, recht ergeben seyn, sogar blind und gefühllos, wenn es die Erhaltung meiner Gesundheit fordert.

Du fragst mich, was und wie Agathokles von dir spricht? Du willst dein Betragen nach meinen Beobachtungen einrichten? So muß ich ja wohl ganz aufrichtig seyn, und nichts als strenge Wahrheit sprechen. Er achtet dich ohne Zweifel, er will dir herzlich wohl, und wenn ich seinen Kummer zu zerstreuen wünsche, kann ich es am besten dadurch, daß ich einige Bilder und Scenen[14] aus seinem römischen Aufenthalte vor seine Seele führe. Er erheitert sich dann und spricht mit Vergnügen von jener Zeit – aber das Alles sehr ruhig, und ohne daß die geringste Verlegenheit oder höhere Wärme auf eine lebhaftere Empfindung schließen ließe. Vergiß aber nicht für meine und deine Erwartungen, und für das künftige Glück unsers Freundes, daß die Wunde seines Herzens noch frisch und durch die Art des Verlusts seiner Geliebten wirklich schrecklich ist. Zudem ist er einer von jenen beneidenswerthen Schwärmern, die sich mit einem seligen Wiedersehen nach dem Tode schmeicheln können. Für ihn ist seine Larissa nicht todt, sie ist nur vorangegangen, und so muß er ihr wohl die Treue bewahren. Doch ungeachtet dieser und mancher andern Schwärmereien, die er mir aus den Lehrsätzen der Christen genommen zu haben scheint: – laß nur einige Zeit verfließen, bis die Neuheit des Eindrucks sich verliert; laß die Reize deines angenehmen Umganges seinen Verstand beschäftigen, sein Gemüth erheitern, laß ihn den Zauber deiner Schönheit empfinden – und die Liebe zu einem leeren Schattenbilde wird der Gewalt der Gegenwart weichen.

Tiridates bringt dir diesen Brief. Er freut sich sehr, dich wieder zu sehen, so sehr, daß, wärest du weniger, was du bist, ich beinahe besorgt seyn müßte. Er hat mir versprochen, dich und deinen Vater zu bereden, daß ihr mit ihm zu mir herauskommen sollt, und so erwarte ich denn in wenigen Tagen das allein ungetrübte Glück der Freundschaft in deinen Armen zu genießen. Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 33, Stuttgart 1828, S. 13-15.
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