40. Agathokles an Phocion.

[15] Nikomedien, im März 302.


Die Friedenshoffnungen haben sich zerstreut, und der Kampf beginnt auf's Neue. Das Heer hat Befehl aufzubrechen, und ich gehe mit Tiridates, unter Galerius Fahnen zu dienen. Die Zurüstungen sind mit eben so viel Klugheit als Anstrengung gemacht. Galerius hat unumschränkte Macht, und es ist zu hoffen, daß dieses Jahr etwas Entscheidenderes vorgehen werde. Immer ist es Gewinn für den Gang her Angelegenheiten, wenn der höchste Wille, die Macht und die Ausübung sich in Einem Punkte vereinigen. Wir ziehen an das Ufer des Euphrats, dort wird wahrscheinlich der erste Schlag geschehen. Ich folge diesmal dem Heere nicht blos aus Pflicht, sondern auch in der Hoffnung, strenge Beschäftigung, und in derselben Aufheiterung zu finden. Einsamkeit und Muße sind nicht für ein Gemüth, das in dieser Stille nur an Trauer und Verlust zu denken hat.

Eine viel versprechende, sehr anziehende Bekanntschaft habe ich noch in diesen Tagen gemacht. Apelles, den ein Befehl seiner Vorgesetzten nach Apamäa zurückrief, führte mich vorher zu dem Bischofe von Nikomedien, Eutychius. Ich fand an ihm einen Mann, der seine Lebensart, Menschenkenntniß und priesterliche Würde wohl zu vereinigen weiß. Ich errieth Apelles Wunsch, Eutychius sollte vollenden, was er begonnen hatte. Noch kann ich nicht urtheilen, ob diese Wahl gut getroffen ist; aber das öffentliche Zeugniß und Apelles Meinung sprechen für Eutychius. Als ich zum zweitenmal bei ihm war, trat ein junger Mann, ungefähr von meinem Alter, ein. Eine hohe männlich schöne Gestalt, Kraft, fester Wille, beinahe[16] Härte, sprach aus den bedeutenden Zügen, den schmalen festgeschlossenen Lippen; nur in manchem Blick, in manchem Aufschlag der großen blauen Augen lag ein zarter edler Ausdruck, der höchst anziehend den festen Ernst des Ganzen milderte. Der Sohn des abendländischen Cäsars – Constantin – sagte der Bischof, als er mich ihm vorstellte, und auch ihm meinen Namen, nebst einigen Umständen von mir, sagte. Ein forschender Blick, doch nicht ohne freundliche Güte, schien mein Innerstes durchschauen zu wollen, übrigens nahm er mich sehr anständig auf. Der Bischof wurde abgerufen, Constantin blieb mit mir allein. Er sprach wenig, aber gut. Du weißt, ich bin nie sehr gesprächig, am wenigsten mit Höheren: doch selbst das Wenige, was zwischen uns geredet wurde, reichte hin, uns einander achtungswerth und bekannter zu machen, als man es sonst gewöhnlich in der ersten Unterredung wird. Als der Bischof zurück kam, fand er uns in einem Gespräch über Gegenstände, die in der jetzigen Zeit Jedem wichtig seyn müssen, der nicht blos für den Augenblick lebt. Constantins Unterhaltung straft den ersten Eindruck, den seine Gestalt macht, nicht Lügen, sie hält mehr, als jener verspricht.

Wir haben uns seitdem öfters gesehen, und werden es künftig noch mehr; denn er ist von seinem Vater dem Schutze und Befehl des Cäsar Galerius übergeben, und wir werden den Feldzug zusammen machen. Diese Aussicht ist ein Reiz mehr für mich, Nikomedien, seine Muße, und seine Verhältnisse bald zu verlassen. Ich stehe mit einem tief verwundeten Herzen seltsam unter Menschen, die eine solche gänzliche Umstaltung des Innern für Schwärmerei halten, und nicht begreifen können, daß unmöglich[17] mehr Alles so seyn kann, wie vor anderthalb Jahren. Diese Forderungen, so leise sie angedeutet werden, fühle ich doch, und sie drücken mich, besonders dort, wo ich überall kein Recht zu Forderungen sehe, sie entleiden mir den Umgang, den ich sonst gesucht haben würde, und verschließen mir die kleine Aussicht, die ich für Erheiterung und Zerstreuung vor mir sah. O daß die glücklichen, leichtherzigen Menschen so schwer die Bedürfnisse eines trauernden Gemüthes ahnen können! Ihnen ist nur dort wohl, wo Alles so leicht, so schwebend ist, als in ihrem Innern! Was diesem behaglichen Zustand widerspricht, was ihn zu stören droht, fliehen sie aus einer Art von natürlicher Antipathie, und glauben an kein tieferes Gefühl, als das, was sie begreifen können. Es wird mir sehr wohl seyn, wenn ich einmal die Stadt im Rücken haben, und mit Constantin und Tiridates dem kräftig wechselnden Spiel des Lebens im Lager zueilen werde. Du lebe recht wohl, und sieh mir freundlich nach, wenn in den geräuschvollen Stunden, die meiner jetzt warten, meine Briefe seltener und kürzer seyn werden.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 33, Stuttgart 1828, S. 15-18.
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