41. Eneus Florianus, Centurio der Leibwache des Cäsars Constantius, an Constantin.

[18] Eboracum1, im März 302.


Wenn ich dein Herz nicht kennte, und von der Billigkeit sowohl, als dem Ernste deiner Denkungsart überzeugt wäre: so würde ich gewiß Bedenken tragen, ich, der Mann, den Jüngling, der Lehrer den Zögling, zum[18] Vertrauten einer Angelegenheit zu machen, die sonst nur der junge Mann mit seines Gleichen auszumachen haben sollte.

Noch mehr sollte mich die Rücksicht abhalten, daß du selbst, obgleich in der Blüthe der Jugend, und mit allen Ansprüchen auf ein Glück begabt, dem, in deinen Jahren, so Manches aufgeopfert wird, dies nie dafür erkannt, und den Neigungen von einer weicheren zärtlicheren Art nie Eingang in deine. Seele gestattet hast. Doch, mit aller dieser Kälte gegen die Liebe weiß ich doch dein Herz der Freundschaft fähig, und so lege ich meine Sorgen und mein Bekenntniß offen in deine Hand.

Du wirst dich des Asinius Ponticus erinnern, den seine Geschäfte oft mit uns in Verbindung brachten. Als du Britannien verlassen, und mein Herz und meine Zeit öde gemacht hattest, besuchte ich zuerst aus Bedürfniß der Zerstreuung sein Haus öfters. Er und seine Frau waren Heiden, aber rechtliche und einfache Menschen; sie erzogen eine Pflegetochter, Valeria, ein liebliches Geschöpf auf der Grenze zwischen Kind und Jungfrau, mit großer Sorgfalt und Liebe. Des Schulmeisterns gewohnt, zog ich bald dies Kind an mich, und es war mir eine angenehme Beschäftigung, dieses empfängliche Gemüth zum Guten zu bilden. So vergingen drei. Jahre in ungestörter Ruhe; aber unbemerkt war während meinen Anweisungen das Kind ganz verschwunden, und die Jungfrau stand blühend, verschämt und bedeutend vor mir. Es waren andere Regungen, die nun mein Herz gegen sie bewegten, und ich fühlte die Nothwendigkeit, hier mit Ernst und Festigkeit abzubrechen. Aber bei dem ersten Versuche entdeckte ich, daß auch das[19] ihrige sich seiner bewußt zu werden anfing, und daß Dankbarkeit, täglicher Umgang, und das überströmende Bedürfniß, sich innig an ein theures Wesen anzuschließen, alle edleren Neigungen desselben auf den nächsten Gegenstand, den überraschten Lehrer, geheftet hatten. Mich hatte in Rücksicht ihrer der große Unterschied der Jahre und der Gedanke sicher gemacht, daß ein Mann von meiner Denkart und meinem Betragen keine Ansprüche an die zärtliche Empfindung eines Mädchens von sechzehn Jahren machen könnte. Desto heftiger und tiefer war der Eindruck, den diese Entdeckung in mir hervorbrachte, und ich erröthenicht, zu gestehen, daß ich, im achten Lustrum2 des Lebens, Valeriens Gefühle mit gleichem Feuer erwiederte. Ich erwog ihre Umstände, die ich genau zu kennen glaubte, ich stellte ihr Herz auf mehr als Eine Probe, ich durchspähte jede Falte des meinigen, und nach einer besonnenen Ueberlegung, wie sie dem Manne wohl ziemt, gab ich mich endlich dem reizenden Zuge hin, der mit jedem Tage mich fester an das holde Mädchen, sie inniger an mich band.

Ich dachte nun darauf, sie ganz für mich zu bilden, das heißt, ich versuchte in dem heiligen und wichtigen Punkte meine Ueberzeugung zu der ihrigen zu machen. Ihr kindlich frommer Sinn kam mir auf halbem Wege entgegen, und machte mir das Vorhaben, sie in die Geheimnisse unserer Religion einzuweihen, zum anziehendsten, aber auch zum bindendsten Geschäfte. Nun erst, als unsre Seelen zu Einem erhabenen Wesen emporstrebten, und sie Theil an allen Segnungen nahm, die das[20] schöne Vorrecht der Christen sind, nun erst fühlte ich mich innig und untrennbar mit ihr vereinigt, und jetzt entdeckte ich den Eltern meine Wünsche. Der Schrecken, mit dem Asinius meine Bewerbung aufnahm, zeigte mir schnell mein Unglück. Valeria war nicht die Tochter eines seiner Verwandten, wie ich und die Welt bisher geglaubt hatten, und ihre Geburt, der Stand ihres Vaters, der noch lebte, von solcher Art, daß es eben so unmöglich war, ohne sein Wissen über sie zu bestimmen, als vergeblich, seine Einwilligung zu dieser Verbindung zu hoffen. Diocletian, als er vor achtzehn Jahren auf einem Zuge nach Britannien gekommen war, hatte ihre Mutter, die Tochter eines eingebornen Fürsten, kennen gelernt, und – geliebt kann man wohl von solchen Empfindungen nicht sagen – aber dem Präfekten der Prätorianer, in dem man mit Recht den künftigen Kaiser ahnete, widerstand vielleicht selten ein Herz oder eine Tugend. Die Fürstin starb bei der Geburt des Kindes, und Valeria wurde der geprüften Treue einer Kammerfrau übergeben. Diese reichte darauf dem Asinius Ponticus ihre Hand, und theilte sich mit ihm in die Liebe und Pflege dieser Verlassenen, die sie den Mangel der Eltern so wenig empfinden ließen. Als Diocletian den Thron bestieg, und ihm Asinius Nachricht von dem Daseyn seiner Tochter, und unbezweifelte Beweise für die Wahrheit dieser Behauptung sandte, gab ihr der Kaiser den Namen, den er selbst bei der Thronbesteigung angenommen hatte, und befahl, sie in der Stille und unbekannt zu erziehen, bis es ihm gefallen würde, sie anzuerkennen.

Ich wußte nun mein Schicksal, und beschloß es männlich zu tragen. Ich entsagte Valerien, und entdeckte ihr[21] die Ursache. Ihre Liebe war stärker, als ihre Besinnung. Sie wollte nichts von Trennung wissen, sie war entschlossen, mit mir zu fliehen, und allen schimmernden Aussichten, die ihre Geburt ihr öffnete, ohne die geringste Reue zu entsagen. Du wirst nicht fordern, daß ich dir die Kämpfe und schmerzlichen Siege dieser Zeit, die so tiefe Spuren in meinem Gemüthe hinterlassen haben, genau schildern soll. Der schwerste aus allen war der gegen Valeriens Liebe und rücksichtslose Aufopferung. Ihre Pflegeeltern sahen die Gefahr, sie fürchteten von Valeriens allzuheftiger Leidenschaft vielleicht kühne Schritte, oder zitterten vor denn Zorn des Augustus – Gott weiß, was die Ursache war – genug, vor fünf Monaten verschwanden sie sammt Valerien plötzlich aus Eboracum, und sehr wahrscheinlich auch aus der ganzen Insel. Wenigstens waren alle meine Nachforschungen, durch deines Vaters Ansehen unterstützt, vergeblich, und ich habe mehr als Einen Grund zu glauben, daß sie Britannien verlassen haben. Ich wende mich nun an dich. Ich habe alle Hoffnung aufgegeben, aber ich wünschte Valeriens Schicksal zu kennen. Du bist am Hofe des Augustus: o so suche nur zu erfahren, ob blos Besorgniß der Eltern, oder ein unmittelbarer Befehl des Kaisers die Ursache dieser eiligen Flucht war.

Ich bin versichert, daß ich Nachrichten erhalten werde, wenn du selbst dir welche verschaffen kannst. Ich weiß, daß sie zu nichts führen werden, denn ich habe entsagt: aber es stört meine Ruhe, nichts von einem Wesen zu wissen, das so innig mit mir verbunden war, das ich als einen Theil meiner selbst betrachte, und an dessen Unglück ich vielleicht die größere Hälfte der Schuld trage.[22] Das ist es, was mich quält. Leb' wohl, Constantin, und erfreue mich bald mit einem Brief! Wenn er auch nichts von Valerien enthält, so finde ich doch dein Herz darin.

Fußnoten

1 In Eboracum, dem heutigen York, war der kaiserliche Palast.


2 Lustrum, ein Zeitraum von fünf Jahren.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 33, Stuttgart 1828, S. 18-23.
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