42. Constantin an Eneus Florianus.

[23] Nikomedien, im April 302.


Es gibt Verhältnisse im menschlichen Leben, besonders in den höheren Regionen desselben, die, wie die Flügel des Schmetterlings, von weitem mit schönen Farben prangen, die man aber nicht kräftig anfühlen und untersuchen muß, wenn nicht der Glanz verschwinden, und ein trübes unscheinbares Gewebe übrig bleiben soll. Von dieser Art, mein väterlicher verehrter Freund! ist mein Verhältniß an dem hiesigen Hofe zu den Menschen, die den nächsten und unmittelbarsten Einfluß auf mein Schicksal haben. Schon lange fühle ich das, und daß ich es weder dir, noch meinem geliebten Vater entdeckte, war – vielleicht Stolz, vielleicht die Erkenntniß, daß diese Entdeckung zu nichts führen könnte, als Euch am fernen Ufer der Thamisis über Umstände zu beunruhigen, die nur der Gegenwärtige mit Bestimmtheit durchschauen, und mit Kraft zu seinem Vortheil lenken kann. Dein Brief, in welchem du so Manches von meinem Einflusse zu hoffen scheinst, bläst die Asche vom der verborgenen Gluth, und ich zeige dir nun mich selbst, und meine Verhältnisse, wie sie sind. Mein Vater hat mich dem Schutze, der Sorge des Cäsar Galerius übergeben, und es sind, seit ich aus deinen Armen schied, drei ganz leidliche Jahre verstrichen, in welchen er so ziemlich die Rolle eines zwar strenge, aber besorgten Vaters gegen mich behauptete. Auf die[23] Länge wurde ihm entweder die Rolle zu lästig, oder er fand den Pflegesohn nicht ganz so geschmeidig, als er sich im Anfang den unerfahrnen, im Schatten des Privatlebens aufgewachsenen, brittannischen Jüngling gedacht haben mochte. Die Sorge verschwand, die Strenge blieb, und aus dem Vater würde nach und nach ein despotischer Herr geworden seyn, wenn nicht zu diesem Verhältniß zwei Wesen erforderlich wären: ein Gebietendes, und Eines, das sich gebieten läßt. Der Sohn des abendländischen Cäsars fühlte sich durch Geburt, Natur und Glück nicht so tief unter dem morgenländischen; er sah eine ruhmwürdigere Aussicht vor sich aufgethan, als sein Leben im Sonnenschein fremder Hoheit zu verflattern, und sich mit dem hohlen Ansehen, und kindischen Schimmer zu begnügen, mit dem ihn Galerius so schlau als verschwenderisch umgab. Das erzeugte Furcht, und Furcht gebiert den Haß. Galerius haßt mich, aber er fürchtet mich auch. Er umgibt mich mit Spionen, es kostet manchmal Nachsinnen und gespannte Aufmerksamkeit, einen Brief von hier aus durch die weiten römischen Provinzen, die seinem Scepter gehorchen, bis nach Eboracum unentdeckt, unerbrochen zu bringen. Dieser ist einer von den glücklichen, der seinen Spähern entgehen wird, und darum enthalte er, was viele seiner Vorgänger nicht enthalten konnten.

Du hast in dieser treuen Schilderung meiner Lage zugleich die Ursache, warum es mir nicht möglich war, in deiner Angelegenheit thätig zu seyn. Diocletians vorzüglichste Tugend ist Verschlosseuheit; indeß soll die Kaiserin Prisca mit der ehemaligen Königin des Olymps nicht blos die Eigenschaft gemein haben, die Gattin des Weltgebieters[24] zu seyn, und der Augustus soll sich öfters gezwungen gesehen haben, manche seiner Freuden vor dem Blicke seiner Juno geheim zu halten. Unter diesen Verhältnissen ist es schwer, Erkundigungen über eine so verborgene Geschichte einzuziehen, besonders dort, wo jeder Schritt belauscht, und jeder entdeckte zu den unangenehmsten Verwickelungen führen würde. Ich kann nur mit der größten Vorsicht zu Werke gehen, und Alles, was ich bisher erfahren konnte, ist, daß Asinius Ponticus mit zwei Frauen, die man nicht kannte, bei den letzten Saturnalien in Coloniä Agrippinä gesehen wurde. Von dort soll er sich nach Mantua gewendet haben. Sobald ich mehr erfahre, wird es mir das theuerste Geschäft seyn, dich zu benachrichtigen, wo ich mich auch immer befinden möge; denn wir brechen in drei Tagen auf, um uns zu dem Heere zu begeben. Dein Vertrauen hat mich sehr geehrt, ich werde desselben würdig zu bleiben streben, und jede Gelegenheit er greifen, um dir zu beweisen, wie unauslöschlich das Gefühl ist, das in meiner Brust gegen dich glüht, dem ich die zwei köstlichsten Gaben danke, die der Mensch dem Menschen geben kann – freie Liebe, und Anleitung zum Guten. – Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 33, Stuttgart 1828, S. 23-25.
Lizenz:
Kategorien: