43. Calpurnia an ihren Bruder Lucius Piso in Rom.

[25] Nikomedien, im April 302.


Wenn der Mensch nur nichts erwartete! Wenn man sich nur abgewöhnen könnte, der Zukunft mehr zuzutrauen, als der Gegenwart! Aber so sind wir nun. Immer blicken wir in die Ferne, vorwärts, und kein Besitz wirklicher Güter dünkt uns so reizend, als die schimmernden Freuden, die uns von Weitem im magischen Lichte der[25] Einbildungskraft entgegenglänzen. Was ich mir mit recht kindischem Sinne für Vorstellungen von diesem Nikomedien und den Freuden machte, die ich hier finden würde! Was ich mir für Geschichten erzählte, für Scenen träumte! Es ist nichts, eitel Nichts. Ich bin hier keinen Augenblick besser daran, als in Rom, schlimmer vielmehr, denn ich bin hier fremd und allein. O wer mir das gesagt hätte, als ich mit fröhlichem Muthe in das Schiff stieg, als nur der Abschied von dir mich Thränen kostete, und ich mit hoffnungsreicher Seele die schönen Ufer Hesperiens1 nach und nach verschwinden sah! Ja, das ist's eben, der Mensch ist zur Täuschung geboren. Das wahre Glück ist nirgends als in seiner Einbildungskraft; in dieser genießt er es voraus, so darf er es denn von her lauen unbedeutenden Gegenwart nicht fordern. Er hat seinen Lohn dahin, wie die Christen zu sagen pflegen.

Hier gibt es erstaunlich Viele von dieser Secte; selbst die Gemahlin des Cäsar Galerius, Valeria, soll dazu gehören. Das ist auch eine Ursache mehr, die mir den hiesigen Aufenthalt verleidet. Es sind kopfhängerische traurige Menschen, die in den unschuldigsten Vergnügungen Gift finden, und sich aus den unbedeutendsten Handlungen ein Gewissen machen. Auch nur ein Körnchen Weihrauch auf den Altar einer unsrer Gottheiten zu streuen, auch nur einen Bissen Opferfleisch zu essen, ist ihnen ein todeswürdiges Verbrechen. Auch leiden ihn Manche lieber, als sie das thun. Ihr Gott muß ein strenges, eifersüchtiges Wesen seyn. Da lobe ich mir unsre Götter und Göttinnen. Eine unzählbare Menge dieser harmlosen[26] Wesen bevölkert Himmel, Erde und Meer. Sie streiten nicht unter einander, sie beneiden einander ihre Opfer nicht, sie nehmen gastfrei jeden Fremdling ihrer Art aus den entferntesten Gegenden unter den abenteuerlichsten Gestalten auf, sey es Zwiebel, Sperber, Affe2, ein Ungeheuer mit hundert Brüsten, oder ein Ideal menschlicher Schönheit. Alles dulden sie, jedem gönnen sie ein Plätzchen; dafür duldet man auch sie. Glauben kann sie kein vernünftiger Mensch; aber der Pöbel bedarf dieses Spielwerks. So laßt es ihm, und thut, was euch euer Herz zu thun erlaubt.

Doch was ereifere ich mich um Dinge, die mich nichts angehen, die ich mir eben aus dem Sinne schlagen will? Ach lieber Bruder! das ist die Wirkung der nikomedischen Luft. Wenn man von nichts als Religionsstreitigkeiten hört, wenn diese Ideen alle andern verschlingen, jedes Gespräch verderben: so wird man zuletzt selbst mit hineingezogen, und nimmt, so ungern man es auch thut, doch endlich Partei, dafür oder dawider.

Auch Agathokles ist von diesem Schwindel ergriffen, und ich fürchte fast, er ist weit mehr Christ, als er selbst gesteht. Du solltest ihn jetzt für die Reinheit und Erhabenheit dieser Lehre, für die beseligenden Wirkungen sprechen hören, die er sich von ihr für die Menschheit verspricht! Oft muß ich lächeln, noch öfter ärgere ich[27] mich, zuweilen gelingt es aber dem Schwärmer, mich für einen Augenblick hinzureißen. Meinen Vater hat er schon ziemlich auf seiner Seite. Uebrigens hat er nur den Gegenstand gewechselt, und was ihm sonst das alte Rom und die Republik war, ist ihm jetzt das Christenthum, von dessen Verbreitung er sich Ersatz für jene verlornen Tugenden, und die Anregung aller bessern Kräfte im Menschen verspricht.

Uebrigens habe ich ihn sehr verändert gefunden, so verfallen, so bleich, daß ich über seinen ersten Anblick erschrak. Das hat die Liebe aus diesem Manne gemacht; und sie sollte eine beglückende Empfindung seyn? Nimmermehr! Ich habe nur erst kürzlich noch ein trauriges Beispiel von ihren Verheerungen gesehen, und hätte ich sie je für etwas Gutes halten können, so würden Sulpicia und Agathokles meinen Wahn heilen. Es sind nun zehn Tage, als Tiridates zu uns kam. Er sieht blühend und schön aus, schöner als ich ihn je sah, und aus den jugendlichen Zügen strahlt Kraft, Muth und Lebensfreude. Er brachte mir einen Brief von Sulpicien. Ein seltsames Gemisch von anscheinendem Glücke, und geheimer Wehmuth sprach aus ihm. Sie bat mich, sie das einzig ungetrübte Glück der Freundschaft genießen zu machen, und sie zu besuchen. Sie schrieb mir, daß sie zu krank sey, um zu mir zu kommen. Mein Entschluß war schnell gefaßt. Mein Vater hatte nicht Zeit, mich zu begleiten. Ich sagte dem Prinzen von Armenien, daß ich am folgenden Tage nach Synthium zurückkehren würde; um aber doch nicht ganz allein mit ihm zu seyn, bat ich Agathokles, mich zu begleiten. Der seltsame Mensch! Statt sich durch das Vertrauen geehrt zu finden, das ich auf[28] ihn, und die Achtung, in der er überall steht, zu setzen schien, wagte er es, einige Bedenklichkeiten gegen die Reise eines jungen Mädchens mit zwei unverheiratheten Jünglingen vorzubringen, und ergab sich nur, als er mich unerschütterlich und unempfindlich gegen Alles fand, was die Stadt über mich zu klatschen belieben würde. Dennoch gefiel mir diese Sorge für meinen Ruf, die Freimüthigkeit, mit der er sich äußerte, und mehr noch als vorhin fühlte ich mich, von diesem Augenblicke an, durch seine Begleitung geehrt, und vor jedem ungerechten Tadel geschützt. O wie liebenswürdig könnte er seyn, wenn er minder vollkommen, minder überspannt seyn möchte!

Wir reisten nach Synthium. Mich trugen meine Cappadocier3 in einer offenen Sänfte, meine Gefährten ritten langsam neben mir. Es war ein lieblicher Frühlingsmorgen, die Gegend um uns freundlich, die Luft lau, der Himmel heiter, Alles zu Lust und Fröhlichkeit gestimmt. Scherz und Lachen verkürzte die lange Zeit der Reise, sogar der ernste Freund widerstand nicht dem Zauber, der durch alle Sinne in sein Herz drang; er gab sich dem fröhlichen Zuge hin, der ihn mit fortriß; und so kamen wir Alle vergnügt und heiter in Synthium an. Ach, die schöne Stimmung verschwand bald! Sulpicia kam uns entgegen, ein Bild des geheimen Grams, in der kurzen Zeit um zehn Jahre gealtert. Nun ward mir auf einmal Vieles klar. Ich war kaum einige Tage in Nikomedien gewesen, als das Stadtgeschwätz mich von einigen neuen Liebesgeschichten des leichtsinnigen Tiridates unterrichtete, und zugleich mit lieblosem Spotte seines[29] abenteuerlichen Verhältnisses mit einer entlaufenen römischen Matrone erwähnte. Man wußte nicht, wie nahe mich das Verhältniß anging, sonst würde man wohl vor mir geschwiegen haben. Hier fand ich die Bestätigung von dem, was ich früher nicht glauben wollte. Doch muß ich Tiridates die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er wenigstens in Sulpiciens Gegenwart keinem Tadel unterliegt. Er begegnet ihr mit der zartesten Achtung, und der liebevollsten Aufmerksamkeit. Sie scheint auch vollkommen zufrieden, es entwischt ihr keine Klage, kein Blick, der auf den wahren Zustand ihres Herzens schließen ließe. Selbst als wir allein waren, und ich sie dringend befragte, gestand ihr Mund nichts, aber eine heftige Bewegung, ein leises Zittern, das ihren ganzen Körper ergriff, zeigte nur zu deutlich, wie sehr sie ihre Lage kennt und fühlt. Aber gestehen wird sie es nie, so kenne ich sie, und sich lieber in stillem Gram verzehren, als zugeben, daß ihr Schritt, mit Tiridates zu entfliehen, unüberlegt war.

Ich beklage sie herzlich, aber ich kann sie nicht ganz entschuldigen, eben so wenig, als ich ihn ganz verdammen kann. Sieh, lieber Lucius! ich bin billig, ich erkenne alle Eure Untugenden, Schwächen und Laster, aber die Wahrheitsliebe erlaubt mir nicht, alle Schuld auf die männlichen Schultern (die zwar von der Natur eigentlich darum so stark gebaut scheinen) zu wälzen. Sulpiciens Liebe ist nicht die leichte heitere Flamme, die überall Leben und Freude verbreitet, jedes Verhältniß verschönert, den gemeinsten Dingen Bedeutung, den entferntesten eine angenehme Beziehung gibt, in deren mildem Schein der Mann sein Leben froh verflattert, und sich selbst in sei-[30] nen Entbehrungen glücklich fühlt. Ihre Liebe ist ein dunkel loderndes verzehrendes Feuer, das mit eifersüchtigem Stolz jedes Wort, jeden Blick bewacht, aus Allem Gift saugt, und ohne Rücksicht dieselbe grenzenlose Hingebung, dieselbe gespannte Aufmerksamkeit fordert, die sie selbst leistet, und über die sie sich ein hochmüthiges Zeugniß gibt. Ach, Sulpicia kennt Euer Geschlecht nicht, und hört den Rath derjenigen nicht, deren Erfahrungen sie belehren könnten! Das Weib, das dem Geliebten die ganze Fülle ihrer Liebe zeigt, handelt höchst unklug; diejenige aber, die von ihm eine gleiche Stärke und innige Erwiederung fordert, zeigt, daß sie nicht die geringste Menschenkenntniß hat.

Tiridates ist jung, schön, beliebt und gesucht, tausend lockende Abenteuer, tausend üppige Gestalten winken ihm auf allen Seiten, und er soll die herkulische Kraft besitzen, dem Allem zu widerstehen, und aus diesen schimmernden Freudenkreisen freudig und ohne Rückblick in die Arme seiner kränkelnden, verblühten, verstimmten Geliebten zu fliegen? Wahrlich, das ist zu viel von einem so gebrechlichen Wesen gefordert!

In wenig Tagen wird er zum Heere abgehen; denn der Feldzug ist schon eröffnet. Nun wird Sulpiciens Qual verdoppelt beginnen. Ich fürchte mich darauf, sie nach seinem Abschiede wieder zu sehen, wenn Entfernung, Ungewißheit und Furcht ihr ohnehin bewegtes Gemüth in noch heftigere Spannung bringen werden.

Auch Agathokles wird mit ihm Nikomedien verlassen – dann bin ich ganz einsam in der großen menschenvollen Hauptstadt. Er eilt diesmal sehr fortzukommen, es ist, als brennte hier der Boden unter seinen Füßen. Nun[31] wahrlich, von dem Fehler der Eitelkeit, wenn ich ihn je gehabt hätte, würde ich hier ganz geheilt werden müssen.

Schreibe mir bald und oft, lieber Bruder! Deine Briefe werden eine Liebe, eine höchst nothwendige Abwechslung in das tödtende Einerlei bringen, in welchem mein Leben hier dumpf verschleicht. Wahrlich, wenn sich das nicht bald ändert, so werde ich meine ganze Munterkeit verlieren, und ein Gegenstück zu Sulpicien werden. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Hesperien, ein Name von Italien.


2 In den ägyptischen Tempeln standen Symbole, die unter Thier- und Pflanzengestalten allerlei Andeutungen, und geheimnißvolle Lehren für die Eingeweihten enthielten. Der Pöbel betete sie als Götter an. Die Diana von Ephesus, als Sinnbild der allernährenden Natur, wurde als eine hohe Frau mit vielen Brüsten vorgestellt.


3 Cappadocische Sclaven wurden zum Tragen der Sänften gebraucht.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 33, Stuttgart 1828, S. 25-32.
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