60. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus.

[28] Nicäa, im December 302.


Du willst Nachrichten, Neuigkeiten von mir hören. Was, bei allen Göttern, soll ich dir aus diesem Neste von Stadt schreiben? Es geht Alles seinen langsamen regelmäßigen Gang fort, und da eine große Anzahl der hiesigen Einwohner Christen sind, so ist dieser Gang so stille und erbaulich, daß Jemand, der aus einem raschern abwechselndern Leben kömmt, hier Gefahr läuft, vor langer Weile zu sterben. Zwei Monate bin ich hier – sie dünken mich zwei Jahre – und bin entschlossen, nicht mehr lange hier zu seyn. Es bereiten sich wichtige Vorfälle im Stillen vor, es sind viele Hände geschäftig. Daß meine Freunde unter der Zahl sind, ist natürlich. Aber nicht allein, was für mich gethan wird, soll mir zum Nutzen gereichen, auch was meine Feinde wider mich zu thun meinen, soll sich unter ihren Händen in Waffen gegen sie verkehren. Man hat mich vom Hofe entfernt, und glaubt mich auch von jeder Einwirkung entfernt zu haben. Ich lasse sie bei dem Glauben, der sie vergnügt und sicher macht, und spiele hier die Rolle des gestürzten Günstlings mit Anstand und Demuth. Galerius kann meiner nicht entbehren, das weiß ich. Constantin haßt mich, und braucht mich vielleicht doch einst. Diocletian ist ein untergehendes Gestirn. Die Christen arbeiten in Geheim für sich, Galerius offenbar gegen sie, der Augustus schwankt, – ein böses Anzeichen bei einem Manne, der sonst den Zweifel nicht kannte. Eine Partei muß siegen. Es kommt nur darauf an, sich die Hände so frei zu erhalten, daß man sie zur rechten Zeit ohne Schande ergreifen kann, und dafür wollen wir sorgen.[29]

Du willst wissen, was ich von Galerius Maaßregeln gegen die Christen denke? Sie scheinen mir, wo nicht ganz zwecklos, doch zweckwidrig. Sollte es möglich seyn, die christliche Religion auszurotten, woran ich je mehr und mehr zweifle, nicht aus Achtung für sie – eine solche Abgeschmacktheit wirst du mir nicht zutrauen – sondern weil ich sie zu fest begründet glaube: so müßte es nicht mit offenbarer Gewalt geschehen. Verfolgung, Strafen, Gefahren exaltiren solche Menschen noch mehr, sie machen sie eigensinnig, unüberwindlich. Von innen, in ihren edelsten Theilen müßte diese Secte angegriffen, in sie der Keim des Verderbens gelegt werden, der dann den ganzen Körper langsam vergiften, und zur Auflösung bereit machen könnte. Aber ein solches Mittel wird ein Mensch, wie Galerius, nie ergreifen.

Constantin wird eine bedeutende Rolle spielen, die Natur hat ihn dazu bestimmt, er kann nicht untergeordnet bleiben, und es ist ein sicheres Zeichen seines Scharfblickes, daß er es mit den Christen hält, und also den Geist der Zeit für sich hat. Das ist auch wohl bei einem so klugen Mann, wie er, der wahre Beruf zu diesem Glauben. Er sammelt jetzt schon Menschen und Hülfsquellen um sich, die er zu seiner Zeit in Bewegung setzen wird. Ihm können auch Schwärmer nützen, und so hat er einen der entschiedensten, jenen Agathokles um sich, den neulich der Schwindelgeist seiner Kameraden zum Tribun machte. Ich hasse den Menschen aus mehr als Einem Grunde, und nehme mir vor, ihm nächstens einen empfindlichen Streich zu spielen. Es ist eine lächerliche Geschichte, die ich vielleicht in Nikomedien keiner Aufmerksamkeit gewürdigt hätte, die aber dazu dienen soll,[30] mir die lange Weile zu vertreiben. Ich war kaum acht Tage hier, als mir eines Morgens in der Nähe eines Christentempels ein Frauenzimmer begegnet, dessen guter Anstand und tiefe Wittwentrauer meine Blicke flüchtig auf sich ziehen. Sie kommt näher, ich betrachte sie genauer, und obwohl der schwarze Schleier ihr Gesicht halb verbirgt, erkenne ich mit Erstaunen Larissa, die Wittwe des Demetrius, die man schon lange für todt gehalten hatte. Als ich nach Nisibis kam, um den Heerbefehl zu übernehmen, war sie schon abgereiset; aber ich kannte sie von frühern Zeiten, und war öfters auf Reisen mit ihr zusammengetroffen. Wie sie den Händen der Gothen entgangen, wie sie hierher gekommen, weiß ich nicht; im Grunde liegt auch nichts daran. Genuß sie ist hier, und lebt im Hause eines gewissen Lysias, eines der angesehensten Bürger dieser Stadt, unter dem Namen Theophania, als Wittwe eines byzantinischen Kaufmanns. Diese geheimnißvolle Verborgenheit fiel mir auf, denn ich weiß, daß sie die heißgeliebte Jugendfreundin jenes Agathokles war, der Alles, was er auf Erden besitzt, darum geben würde, wenn er erfahren könnte, daß sie lebt, und ihn noch liebt. Ich mußte der Sache auf die Spur kommen, und führte mich unter einem leichten Vorwande bei Lysias ein; da sehe und spreche ich sie nun täglich, ich stelle mich, als kennte ich sie nicht, begegne ihr mit großer Achtung, schone ihre Vorurtheile, und habe nun schon so viel herausgebracht, daß sie ihren Agathokles für untreu hält, und deßwegen ihre Verborgenheit nicht verlassen will. Das hat sie mir nun freilich nicht so geradezu erzählt, aber ihre Fragen und Erkundigungen sagten mir Alles, was ich wissen wollte. Sie[31] ist leicht zu bethören, wie alle die frommen und arglosen Menschen ihrer Art, aber sie gefällt mir, und ich hätte Lust, sie in mich verliebt zu machen. Schön ist sie nicht, aber, beim Jupiter, kein gemeines Geschöpf. Eine kleine Narbe auf der einen Wange entstellt sie ein wenig, aber ihr Wuchs ist edel, ihr dunkles Auge, das sich langsam unter seidenen Wimpern wendet, hat einen sehnsüchtigen anziehenden Ausdruck, ihre Arme sind vorzüglich schön, überdies ist sie eine Christin, und eine höchst andächtige. Es wäre doch lustig zu sehen, welchen Contrast die irdische Venus mit allen diesen Erhabenheiten machen würde, und zu versuchen, ob es nicht möglich wäre, den phantastischen Jugendgeliebten aus ihrem Herzen zu verdrängen. Der Spaß lohnt wohl die Mühe einer kleinen Vorstellung, und belustigt mich im Voraus. Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 28-32.
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