59. Agathokles an Phocion.

[22] Nikomedien, im December 302.


Es werden beinahe zwei Monate vergangen seyn, seit du keinen Brief mehr von mir erhalten hast, und da jetzt meine Zeit wieder freier ist, hast du wohl gegründetes Recht, Nachricht von mir zu fordern. Ich bin mit dem Cäsar, Constantin und Tiridates seit einigen Tagen hier. Der Kaiser hat mich zum Tribun unter den Jovianern ernannt. Bis in dem Quartiere der Leibwache Platz für[22] mich gemacht wird, wohne ich bei meinem Vater, der Mich mit besonderer Güte behandelt, seit mein Verhältniß zu Constantin, und glückliche Umstände mir eine bedeutendere Existenz verschafft haben. Uebrigens ist mein Leben wie vorhin. Ein trüber Gedanke verläßt mich nie, und vergebens suche ich ernstlich, mich in dem Umgange einer liebenswürdigen Freundin zu zerstreuen, deren Vorzüge vermögend wären, vielleicht in jedem andern Herzen frühere Eindrücke zu verlöschen. Bei mir ist ihr Zauber verloren. Ich achte ihre Verdienste, ich erkenne die seltne Macht ihrer Reize, ich fühle mich erheitert, so lange ich um sie bin; aber die Leere meiner Brust auszufüllen, vermag sie nicht.

So von der Wirklichkeit abgestoßen, und unfähig, in irdischen Gütern Glück zu suchen und zu finden, ergreift der Geist desto heftiger die Ideen, die sich ihm darbieten. Und so höre nun, Phocion, was eigentlich mich abhielt, dir schon längst zu schreiben. Glaube nicht, daß es Mangel an Erinnerung oder minderes Verlangen war, dir alle meine Gedanken mitzutheilen; es war Unschlüssigkeit, Furcht, möchte ich beinahe sagen. Es ist eine peinliche Lage, wenn verschiedene Schicksale zwei Freunde zu sehr verschiedenen Arten der Ausbildung und Ueberzeugung führen, so, daß dem Einen zuletzt nichts übrig bleibt, als dem süßen Trost zu entsagen, mit dem geliebten Freunde über den wichtigsten Punkt der Erkenntniß gleichstimmig zu denken. Dann zögert der Mund, das auszusprechen, was schon längst in Beider Herzen bereit lag, und die Hand weigert sich, der Tafel die inhaltschweren Worte einzugraben.

Doch muß es geschehen. Höre denn, mein Freund[23] mein Geständniß, und laß mich hoffen, daß der Zwiespalt in unsrer Erkenntniß keinen Zwiespalt in unsern Empfindungen hervorbringen werde.

Ich bin ein Christ. Vor vier Wochen habe ich vor einer kleinen Anzahl meiner Glaubensgenossen feierlich das Bekenntniß jener Wahrheiten und Lehren abgelegt, die längst schon mein ganzes Wesen mit inniger Ueberzeugung ergriffen hatten. Daß es so kommen würde, war mir langst gewiß, und auch dir wird diese Nachricht nicht unerwartet seyn; aber meines Vaters wegen bleibe dieser Schritt noch so lange verborgen, bis nicht dringende Umstände mein öffentliches Bekenntniß fordern. Das bin ich ihm schuldig.

Nun habe ich errreicht, was ich so lange als das Ziel dunkler heftiger Wünsche suchte, das Höchste, Beste, was der Mensch erreichen kann. Ich bin einig mit mir selbst, gewiß über meine Bestimmung in diesem, mein Loos im andern Leben; jeder Zweifel ist gelöset, und jede Pflicht liegt klar und deutlich vor mir.

Um meine Ueberzeugung so viel als möglich in deinen Augen zu rechtfertigen, wende ich mich zur Beantwortung der neuen Anklagen und Vorwürfe, die deine letzten Briefe, welche ich in Nisibis empfing, gegen meinen Glauben enthalten.

Du schilderst mir in dem ersten derselben mit wahrhaft dichterischem Feuer die Lieblichkeit der griechischen Mythologie, und die schönen Bilder, die sie den Sinnen in jeder Art der Wahrnehmung darbietet. Nicht fähig, ihren Werth für die Ueberzeugung und Moralität der Menschen auf der jetzigen Stufe ihrer Bildung zu beweisen, bemühst du dich, ihnen einen höhern, bessern Sinn unterzulegen[24] und deutest in diesen Fabeln, was nie darin lag, und was nur Geister, wie der deinige, die denn ohnedies dieses Behelfes nicht bedürfen, hineinlegen können. Warum das, mein Freund? Die Mythen unserer Voreltern waren in ihrem Ursprung ganz löbliche und nützliche Erfindungen für die Menschheit in ihrer damaligen Lage. Sie enthielten naturgeschichtliche Wahrheiten, in liebliche Bilder verhüllt, die Geschichte der Erde, ihre Revolutionen, den Einfluß der Gestirne, der Jahreszeiten auf ihre Bewohner. So waren sie dem eingeweiheten Priester ehrwürdige Symbole der Alles erzeugenden Natur, dem Laien aber bald nichts anders, als widersinnige Repräsentanten eben so vieler über- oder untergeordneter Gottheiten, die bald einig, bald kämpfend, sich in die Herrschaft der Welt theilten, und so den erhabnen Begriff eines einzigen Schöpfers verdrängten. Das heranreifende Menschengeschlecht entwuchs diesen kindischen Begriffen. Der Weise fing an zu grübeln, die Menge zu spotten; und nun sind wir dahin gekommen, daß kein verständiger Mensch einen erhebenden Sinn mit diesen Mährchen verbinden, kein Herz durch ihren Anblick zu höherm Schwunge geweckt werden könnte, wenn auch alle schönen Künste sich um die Wette beeiferten, Götterbilder und Tempel mit Allem auszustatten, was die Sinne reizen, die Einbildungskraft vergnügen kann.

In wessen Herz strömt jetzt noch ein Tempel, wo die verspottete Gottheit wohnt, heilige Schauer? Wer fühlt noch etwas Anderes bei dem Anblick eines schönen Götterbildes, als daß es ein treffliches Werk der Kunst sey? Und selbst diese Künste! Die Zeiten des Perikles sind dahin, die Jugendblüthe der Menschheit ist vorüber, und[25] mit ihr die Blüthe der Kunst. Kein frisches lebendiges Geschlecht trägt Göttergestalten in seiner Brust, und stellt in Marmor oder Erz dar, was seine Seele begeisternd erfüllt. An den zügellosen Hofhaltungen verächtlicher Wollüstlinge oder blutdürstiger Tyrannen verstummen die Gesänge der heiligen Dichter; und wie könnte ein Imperator, der im wilden Lager ausgearteter Legionen erzogen wurde, mit Lust und Geschmack den Liedern horchen, die einst einen August entzückten? Jene Zeiten sind vorbei, und mit ihnen die Fähigkeit, jene Fabeln und Bilder für etwas zu halten, und sie zu verehren. Würdest du wohl die Leidenschaft des erwachsenen Jünglings durch den Aesop oder Phädrus zu zähmen wähnen? Oder könntest du dich mit der Hoffnung täuschen, die Wuth der empörten Prätorianer mit einer Fabel zu beschwören, wie Minenius Agrippa?1 Andere Zeiten erzeugen andere Sitten, andere Menschen, und diese haben andere Bedürfnisse. Eins der ersten des aus Geist und Körper zusammengesetzten Geschöpfes ist Religion. Der Hang dazu liegt in ihm, und äußert sich bei den rohesten Völkern im kindischesten Weltalter. Ihnen genügt die todte Natur nicht, sie beseelen sie, und beten den Geist an, den sie ahnend entdecken. Tiefer als mancher Philosoph, mancher herzlose Spötter wähnt, liegen diese Gefühle in unsrer Brust, und verkünden sich bald als erhabene Gottesfurcht, bald als Neigung zum[26] Wunderbaren, Gespensterfurcht, Glauben und Ahnungen, Träume u.s.w. Der Mensch, seines unsterblichen Gefährtens sich bewußt, sucht diese wunderbare Vereinigung von Geist und Materie überall, ahnet in jeder außerordentlichen Begebenheit viel lieber die Einwirkung eines höhern Wesens, als die Folge todter kalter Gesetze, und fühlt sich nirgends allein, wenn Alles um ihn her von einer unsichtbaren denkenden Kraft geleitet wird. Aber die Dryaden und Hamadryaden, die Nymphen der Quellen, die Satyren und Faunen sind aus den Wäldern entflohen, zum Theil vor der Stimme der Vernunft, zum Theil vor dem Hohngelächter, womit der unüberlegte Spott die fromme Einfalt schreckt. Statt ihnen wohnt in dem einsamen Dunkel der Wälder und in der erhabnen Stille der Natur das Gefühl der allgegenwärtigen Gottheit, die das Moos am Baume mit eben der Weisheit schuf, als das Auge des Beobachters, und den denkenden Geist, der fähig ist, diese Betrachtungen anzustellen. Der einige, allwissende, allmächtige Schöpfer erfüllet das Ganze, sein Hauch schwebt in den säuselnden Lüften um uns, seine väterliche Fürsorge offenbaret sich in dem Instinkte jedes Thiers, dem Bau jedes Nestes. Scheint dir dieser Ersatz zu gering für jene fabelhaften Wesen? Und warum bemühest du dich, dem Glauben an sie einen neuen Sinn unterzuschieben? Laß sie entfliehen mit dem Strom der Zeit, der sie der Vergangenheit zuträgt – sie gehören nicht mehr in unser Zeitalter. Ein neues besseres System steht da, die Menschheit soll es ergreifen, oder es ergreift sie mit mächtigem Arm; denn es ist ein Kind des Geistes der Zeit, und unwiderstehlich wie er.[27]

Noch habe ich einen Einwurf zu beantworten. Das Christenthum, sagst du, ist den Künsten nicht günstig. Ein Theil der Antwort liegt schon im Vorhergehenden. Das Zeitalter ist ihnen ungünstig. Es ist wahr, das Christenthum duldet nicht Bilder und Zeichen desjenigen, der weit über alle Vorstellung, über jeden Begriff erhaben ist. Schließen doch selbst die wilden Germanier ihre Gottheit nicht in Tempel, als in eine unwürdige Beschränkung ein: so darf und muß der Christ auch seinen Gott auf die höchste, reinste Weise verehren. Aber das Rad der Veränderung wälzt sich unablässig fort, und der menschliche Geist steht nie stille. Es werden Zeiten kommen, wo in sicherer Ruhe der thätige Trieb sich erfindend, bildend entfalten wird. Wenn einst nach Jahrhunderten die Stürme vertobt haben, deren Beginn wir nun erleben, wenn alle wilden Nationen, die jetzt über die gesittete Welt hereinzubrechen, und Cultur, Künste, Wissenschaft und Ordnung zu stürzen drohen, sich unter einander bekämpft, verjagt, und blutig aufgerieben haben werden: dann wird in dem allgemeinen Schrecken nur die Religion allein aufrecht stehen, sie wird das Heiligste und Höchste des Menschen bewahren, sie wird dem Uebermuth roher Barbaren Ehrfurcht gebieten, ihre sanfte Macht der wilden Gewalt das Gleichgewicht halten, in die Hallen ihrer Tempel werden sich Künste und Wissenschaften vor dem Sturm retten, und wenn es auf dem müden Erdkreis stille geworden, wird ein schönerer Tag aus ihnen über die neugeborne Welt hervorgehen. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Als das Volk in den ersten Zeiten der Republik einst gegen den Senat und die Reichen aufgebracht war, und sich außer Rom auf einem Berge gelagert hatte, brachte es der Consul Menenius Agrippa durch die bekannte Fabel von dem Magen und den Gliedern des Leibes wieder zur Ordnung, und in die Stadt zurück.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 22-28.
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