62. Theophania an Sulpicien.

[38] Nicäa, im December 302.


Es mag vielleicht unbescheiden von mir scheinen, zu einer Zeit, wo die große Welt mit Allem, was sie Glänzendes verleihen kann, Anspruch auf dich macht, und du den erhabenen Schauplatz betreten hast, auf dem nicht mehr gesellschaftliche Verhältnisse, sondern die Schicksale von Tausenden an dein Herz sprechen, dich an ein unbedeutendes Wesen zu erinnern, das du einmal freundlich aufgenommen hast. Aber wenn ich mich schon gern bescheide, und wohl weiß, daß die Beherrscherin von Armenien, und die römische Matrone nicht mehr eine und dieselben Angelegenheiten haben können, so würde ich doch selbst der Achtung, die du mir eingeflößt hast, zu nahe treten, wenn ich dich eines unzeitigen Stolzes, und eines übermüthigen Vergessens jener Empfindungen fähig hielte, die dir noch vor einigen Monaten wichtig waren. In dieser schönen Zuversicht wage ich es, noch einmal an dich zu schreiben, und vor deiner Abreise von Nikomedien mein Andenken bei dir zu erneuern.

Du stehst nun am Ziele deiner Wünsche. Heil dir, meine geschätzte Freundin! Und möge die Gegenwart und Zukunft deinem Herzen mit Wucher die Leiden der Vergangenheit lohnen! Daß ich mich innig deines Glückes erfreut, daß ich warme Gebete für dein Wohl zum[38] Himmel gesandt, wirst du mir glauben; denn du konntest es voraussetzen. Wenn diese auch vor einem andern Altar, zu einer andern Gottheit emporstiegen, so wird doch, was auch deine Meinung von ihrem Erfolg seyn mag, deine Meinung über die Absicht derselben gewiß richtig seyn. Ja, dauerndes Glück, wie es dein Herz verdient, hat deine Freundin für dich erflehen wollen; und wenn mein Gebet nicht ganz verworfen wird, so muß es dir wohl ergehen.

In meiner Lage hat sich, seit ich Synthium verließ, wenig geändert. Ich lebe still und verborgen. Meine Ansprüche auf Glück in jedem Sinne des Wortes sind längst aufgegeben, ich verlange nichts als Ruhe und Vergessenheit, und das hoffe ich noch zu erreichen. Meine Freuden bestehen darin, daß ich Zeugin der häuslichen Zufriedenheit einer schätzbaren Familie bin, die mich als eines ihrer Glieder betrachtet, und mich mein Alleinseyn in der Welt, so wenig als möglich, fühlen läßt. Ihnen wieder Freude zu machen, ist mir eine süße Pflicht, und so wage ich es, dir eine Bitte vorzutragen, deren ich schon in meinem ersten Brief erwähnte, und deren Erfüllung du mir so gütig zugesichert hast.

Es war bald nach meiner Ankunft in Nicäa einmal die Rede von dem feierlichen Tag in Nikomedien, als der Tribun die Siegesbotschaft brachte. Ich erzählte, daß ich eine wohlgelungene Zeichnung dieser Scene gesehen, und mit Vergnügen die Richtigkeit der Umgebungen sowohl als den Ausdruck der Leidenschaft auf den Gesichtern der versammelten Menge bewundert hätte. Mein gütiger Hauswirth, der selbst Kenner und Künstler ist, äußerte den lebhaften Wunsch, dies Blatt zu sehen. Ich[39] schwieg, weil ich die Schwierigkeiten wohl einsah, die seiner Erfüllung im Wege standen; indessen hielt ich es für meine Pflicht, wenigstens Meldung davon zu machen, und ersuche dich nun, dich für mich, oder vielmehr für den achtungswerthen Lysias bei der schönen Calpurnia zu verwenden, und uns die Zeichnung für einige Tage zu senden. So bald sie gesehen und bewundert seyn wird, soll es mein angelegentlichstes Geschäft seyn, sie so wohlbehalten und schnell als möglich wieder zurückzustellen. Ich fühle wohl, daß meine Bitte etwas unbescheiden ist; aber ich hoffe, der Zweck derselben wird sie bei Calpurnien entschuldigen, und den Unmuth mildern, der vielleicht in die Seele deiner reizenden Freundin gegen mich entstehen könnte. Leb' wohl!

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Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 38-40.
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