63. Sulpicia an Theophania.

[40] Nikomedien, im December 302.


Wenn schon der bloße Anblick deiner Briefe hinreicht, mir ein angenehmes Gefühl zu geben, so ist ihr Inhalt immer von der Art, um mein Gemüth auf's anziehendste zu beschäftigen. Der letzte traf mich in einer der seltenen einsamen Stunden, wo ich, müde von Pracht und gehaltlosem Gepränge, mich mit Lust in mich selbst versenkte, und die Bilder der Vergangenheit vor mir vorüber gehen ließ. Dein Brief versetzte mich um so lebhafter in jene Zeit. Der schöne Abend in Synthium, deine freundliche Erscheinung, dein Trübsinn, der meiner Schwermuth so schmeichelnd antwortete. – Alles stand wieder hell vor mir, und ich flog zu meinem Tische, um dir zu sagen, daß keine Zeit, keine Veränderung meines Schicksals dein Bild aus meiner Brust vertilgen wird, und wie[40] sehr es mich freut, daß du mir Achtung genug für's Schöne und Gute zutrauest, um mich keiner solchen Vergeßlichkeit fähig zu halten. Das Alles wollte ich dir schreiben, als mir deine Bitte einfiel, und ich mich nun bescheiden mußte, erst Calpurniens Ankunft zu erwarten. Sie kam in wenig Stunden zu mir herein gehüpft. Ich trug ihr deinen Wunsch vor, sie gewährte ihn mit der größten Willfährigkeit. Es schien sie zu freuen, daß ihre Arbeit Beifall gefunden hatte, daß man sie zu sehen wünschte, und in diesem angenehmen Gefühl beschloß sie, die Zeichnung dem Kenner Lysias, oder vielmehr dir, zum Geschenke zu machen, indem sie noch eine wohlgelungene Copie davon besitzt, und das Original der Hauptfigur ohnedies jetzt immer um sie lebt, und ihr ein Porträt überflüssig macht. Sie bittet dich, es als ein Zeichen ihrer Achtung, und ein Andenken an jenen Abend anzunehmen. Das Alles war in der ersten Viertelstunde ausgemacht; aber wie hätte, sie in dem abwechselnden Geräusch von Unterhaltungen und öffentlichem Gepränge Zeit finden sollen, an ihr Versprechen zu denken? Die Friedensfeier, die Saturnalien, und meine Vermählung haben Nikomedien in einen Schauplatz der lebhaftesten Bewegung und der lautesten Fröhlichkeit verwandelt, und in diesen Zerstreuungen, die einem ernsten Gemüthe eher Anlaß zum Mißvergnügen und zu Betrachtungen geben, lebt und webt dies leichte liebliche Wesen, wie in seinem natürlichen Elemente. So vergingen acht volle Tage, ehe ich die Zeichnung von ihr erhalten konnte. Heute endlich gab sie sie mir, und sogleich geht ein Sclave ab, um sie dir zu überbringen. Wie schön, wie beglückend[41] wäre es für mich, wenn du dich entschließen könntest – wozu der Sclave, der den Brief bringt, Befehl hat, alle Anstalten zu treffen – wenn du dich entschließen könntest, mit ihm hierher zu kommen, und mir noch einmal, wahrscheinlich das letzte Mal in meinem Leben, das Vergnügen deines Umganges zu gewähren! Ich gehe sehr bald mit meinem König und Gemahl nach Armenien. Meine Gesundheit ist zwar etwas besser, als sie in Synthium war, aber doch so gebrechlich, daß ich wenig Hoffnung habe, eine so weite Reise noch einmal zurück zu machen. Die Aerzte und auch Tiridates versprechen mir viel von der Veränderung des Klima, von der reinen Luft in den armenischen Gebirgen. Es ist möglich, daß sie Recht haben, aber es liegt ein Gefühl in mir, das allen diesen Hoffnungen widerspricht. Der tödtlich verwundete Baum prangt noch mit Blättern und Früchten, der achtlose Wanderer freut sich des Schattens, und hofft auf künftigen Genuß; aber von der Sonnenschwüle der Leidenschaft versengt, vom Gewittersturm im innersten Lebenskeime verletzt, welkt er langsam seinem Untergange zu. Wie kann er vom lauen Herbst mit seinen kurzen Tagen, seinen frostigen Lüften sich Heilung versprechen? Nur der milde Einfluß des Frühlings vermochte es vielleicht, aber – der Frühling des Lebens, der Frühling der Liebe ist dahin!

Du hast um dauerndes Wohl für mich zu deinen Göttern gebetet. Mit Rührung habe ich deiner Liebe gedankt, und dich beneidet, du Glückliche, die in tiefen Bedrängnissen, wo keine menschliche Kraft mehr ausreicht, ihre Zuflucht gläubig zu höhern Mächten nehmen kann. Ich kann nicht hoffen, ich kann nicht beten; denn ich kann[42] nicht glauben. Unsre Gottheiten sind leere Schattenbilder, und an taube Mächte, die des Sterblichen Loos nach eisernen Gesetzen lenken, kann ich kein Gebet verschwenden. O komm, Theophania! komm, und bringe mir deine sanften Tröstungen mit, flöße meinem Herzen deinen beglückenden Glauben ein! Wie gern will ich mich dir ganz hingeben! Und da dein Herz durch kein süßes Band hienieden gehalten ist, so ergreife das Einzige, was dir übrig ist, schlinge es noch fester, und folge mir nach Ecbatana. Dort soll die treueste Freundschaft sich bemühen, deine Wunden zu heilen, und dir deinen Verlust erträglich zu machen. Tiridates, dem ich von meinem Wunsch gesagt habe, läßt dich durch mich seiner Achtung versichern, und vereinigt seine Bitte mit der meinigen. Wie schön würden die letzten Tage in Nikomedien seyn, wie manche Beschwerlichkeiten der Reise würden verschwinden, wenn du sie mit mir theilen wolltest! Bedenke das, meine theure Freundin! und laß mich einer günstigen Antwort entgegen sehen.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 40-43.
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