66. Theophania an Junia Marcella.

[51] Nicäa, im Jänner 303.


Auch in den trübsten Stunden meines Lebens war es mein eifrigstes Bestreben, mein Herz mit den Fügungen der Vorsicht zufrieden zu sprechen, und mich ihnen unbedingt in Allem zu unterwerfen. So erhielt ich mir mitten unter Trübsalen den heiligen Frieden, den unser göttlicher Lehrer seinen Jüngern als das schönste Geschenk hinterließ. Bisher hatte ich es immer vermocht; denn bisher hatte ich meine Leiden als unmittelbare Schickungen Gottes betrachten können – ich hatte noch nicht durch die Bosheit und Verderbtheit der Menschen gelitten. Jetzt, wo diese neue Art von Bedrängniß über mich kommt, und mir das letzte Gut, was ich auf Erden besitze, meine Verborgenheit und meinen unbescholtenen Ruf zu rauben droht, jetzt empört sich mein Herz in wilden Schlägen, zum ersten Mal mischt sich der Zorn in meinen gerechten Schmerz, und die stille Ergebung entflieht aus meiner Brust. Solltest du es für möglich halten, daß ich den Nachstellungen eines Bösewichts ausgesetzt bin, daß meine Gestalt die wilde Sinnlichkeit des verächtlichen Marcius Alpinus gereizt hat, der zuerst sich mir unter der Hülle der Achtung und Freundschaft näherte, dann seine niedrigen Absichten durchscheinen ließ, und als er[51] entschlossenen Widerstand fand, seine Zuflucht zur List und Nachstellungen nahm?

Schon lange merkte ich, daß er mich auszuforschen suchte; seit einigen Tagen fühle ich mich auf jedem Schritt von seinen Spähern belauscht, beobachtet. Ich fürchte, er ahnet, wer ich bin. So viel ist gewiß, daß man sich genau nach meinen Schicksalen, nach meiner Hierherkunft, meinem Verhältniß zur Familie des Lysias, sogar nach meinem Aufenthalt in Synthium erkundigt. Von wem anders, als von ihm, können diese Verfolgungen herrühren? Er möchte gern Meister meines Geheimnisses, und mit ihm Meister meines Willens seyn. Schlechtdenkend, wie er ist, kann er, wenn er vermuthet, wer ich bin, mir keine andre, als eine niedrige Ursache oder Absicht meiner Verborgenheit zutrauen, er muß nothwendiger Weise glauben, mich in seine Gewalt zu bekommen, wenn er mein Geheimniß weiß. Das soll er nicht hoffen, der Bösewicht. Er ist mächtig – sein Einfluß ist wieder groß, und das Laster findet überall Gehülfen. Dennoch, wer sterben kann, ist unüberwindlich. Ich werde nie zugeben, daß die Welt und Agathokles mein Daseyn erfahre. Drängt er mich aber, und bleibt mir kein Ausweg übrig, mein Leben oder mein Geheimniß zu retten; so wird ja wohl der Schöpfer nicht zürnen, wenn das geängstete Geschöpf zu ihm flieht, und das letzte Mittel, das mich bei den Gothen in gleicher Gefahr hätte retten sollen, mich auch jetzt von den Tücken dieses Ungeheuers befreit. Bin ich todt, dann mag Agathokles wissen, daß die vergessene Larissa noch lange genug lebte, um zu erfahren, daß ein Band, das sie für mehr als Eine Welt geknüpft glaubte,[52] durch die Gewalt einer leichtsinnigen Schönheit zerrissen werden konnte.

Sie lieben sich, das ist gewiß, darüber kann auch die kühnste Hoffnung keinen Zweifel nähren. Ich weiß das aus sichern Quellen, und was ihnen mangelte, ersetzte Sulpiciens Brief. Sie hat mir die Zeichnung geschickt. Calpurnia macht mir ein Geschenk damit. O allmächtiger Gott! Sein Bild aus ihrer Hand! Sie bedarf dessen nicht mehr, schreibt die Königin, da das Original beständig um sie lebt! Und Calpurnia schwebt, wie eben der Brief sagt, mitten im Geräusch und Schimmer glänzender Feste, und dorthin folgt er ihr! Er, dessen Wesen sonst dieser Art von Freuden zu widerstreben schien, er verläugnet seine bessere Ueberzeugung, er ist nicht mehr Agathokles, er ist der gefällige, tändelnde Liebhaber der reizenden Calpurnia, die er, wie ihr Schatten, überall hin begleitet!

Sulpicia hat mir sehr freundschaftlich, aber in einem höchst schwermüthigen Tone geantwortet. So hat denn auch sie der Besitz des Geliebten, der Thron, die Erfüllung aller ihrer Wünsche nicht glücklich gemacht! Sie lud mich ein, mit ihr nach Ecbatana zu gehen. Ich erkenne ihre Güte mit dankbarem Gemüth, ich habe ihr Alles geschrieben, was mein wahrhaft gerührtes Herz mir darüber eingab, aber ich habe ihr Anerbieten standhaft abgelehnt. Ach, wenn ich meinen Zufluchtsort verlassen dürfte, wohin auf der weiten Welt würde ich am liebsten fliehen, als in deine Arme!
[53]

Zwei Tage später.


Und doch muß ich fort. Das erzürnte Schicksal gönnt mir keine Ruhe. O womit habe ich diese Härte verschuldet! Das Gewitter ist ausgebrochen – auch du wirst seine Wirkungen empfinden – unsre Kirchen sind geschlossen, viele unsrer vornehmsten Mitbrüder sind in Verhaft genommen. Auch dem würdigen Lysias, der einer der Aeltesten der Gemeinde, und ein thätiges, eifriges Mitglied derselben ist, droht dasselbe Schicksal. Indessen ist er entschlossen zu bleiben, und Alles standhaft abzuwarten, was Bosheit oder Rachsucht über ihn zu verhängen beschlossen hat. Er hat Feinde, und weiß nur zu wohl, daß Religionshaß nicht zum ersten Male zum Deckmantel kleinlicher Rache dienen mußte. Heliodor geht von hier nach Nikomedien, wo unter den Augen des Augustus der Verfolgungsgeist minder gesetzlos wüthet. Unter diesen Umständen bleibt dies Haus keine sichere Zuflucht mehr für mich. Allein zu reisen wage ich nicht, da ich mich so wenig persönlicher Sicherheit erfreuen kann. Es bleibt mir also kein Ausweg übrig, als mit Heliodor zu gehen. Marcius Alpinus ist in diesem Augenblick nach Cäsarea zum Galerius berufen, vielleicht ist dies der einzige Zeitpunkt, der mir zur Flucht übrig ist. Auch haben Heliodor und Lysias mich überzeugt, daß man in einer großen geräuschvollen Stadt viel eher hoffen kann, unbemerkt zu bleiben, als an einem kleinen Orte, wo jeder Nachbar um jeden Schritt des andern weiß. Ueberdies werde ich nicht in der Stadt selbst wohnen. Eine Viertelstunde davon, am Eingang eines kleinen Gehölzes, liegt ein Dörfchen, dessen ich mich noch wohl aus meiner Kindheit erinnere. Hier von Lärmen und Zerstreuung[54] geschieden, bewohnen einige christliche Wittwen ein einsames kleines Haus, und widmen, da sie in der Welt nichts mehr zu wirken und zu hoffen haben, den Rest ihrer Tage den Uebungen der Frömmigkeit und Menschenliebe. Sie verfertigen die Geräthe und Kleidungsstücke für die Kirchen, und dienen in denselben als Diaconissinnen1; aber ihr schönster Wirkungskreis ist die Unterstützung der Armen, der Unterricht der Mädchen, die ihrer Aufsicht übergeben sind, und die Pflege der Kranken, die theils in's Haus gebracht, theils in ihren Wohnungen von den wohlthätigen Frauen besucht werden. Zu ihnen wird mich Heliodor bringen. In den Mauern dieses Hauses, das ich nicht verlassen muß, wenn ich nicht will, kann ich ganz unbemerkt und verborgen leben, und der Beruf dieser Wittwen gibt meinem gehaltlosen Daseyn Zweck und Werth. Morgen reise ich ab. Wir werden, um alle Nachforschungen zu täuschen, die Straße nach Apamäa einschlagen, und von dort erst auf einem Umwege nach Nikomedien gehen. Sobald ich in meiner stillen Freistätte angelangt bin, werde ich dir schreiben. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Diaconissinnen waren christliche Wittwen, welche in den Kirchen, besonders bei der Taufe weiblicher Katechumenen dienten.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 51-55.
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