74. Theophania an Junia Marcella.

Nikomedien, den 18. Febr. 303.


Junia, Junia! Ich bin glücklich, ich bin unaussprechlich glücklich! Warum kann ich diesem Brief nicht Flügel geben, um dich den Augenblick Theil an meiner Freude nehmen zu lassen! Ich bin glücklich, ich bin es so sehr, so ganz, daß ich nichts als das Uebermaß fürchte; denn unmöglich kann meine Seligkeit sich lange in dieser Stärke und Reinheit erhalten. Höre denn die frohe Erzählung, und freue dich so herzlich mit mir, als du bis jetzt herzlich mit mir getrauert hast!

Vorgestern, an dem bangen Tage, wo ich dir das letzte Mal geschrieben hatte, entwarf ich den Brief an Constantin, und harrte seiner mit hochklopfendem Herzen im Porticus des Hauses, als er von Agathokles wegging. Calpurnia war vor ihm da gewesen, sie hatte sich heute nicht so lange aufgehalten, und ihre Unterredung war nicht so laut und lebhaft als sonst. Jetzt öffnete sich die Thüre und Constantin trat heraus. Ich ging auf ihn zu, ich zitterte, als ich ihm den Brief überreichte, und ihn bat, ihn zu lesen. Er sah mich verwundert an, und fragte mich, wer ich wäre? Ich schwieg verlegen. »Mir ist, ich habe dich schon gesehen,« hub er wieder an, und sein Aug' schien mich zu durchdringen, »ja ganz gewiß,[3] in jener traurigen Nacht, als Agathokles hierher gebracht wurde.« Ich war zugegen, antwortete ich. »Du hast damal eine besondere Teilnahme an dem Verwundeten gezeigt. Er ist dir mehr als ein bloßer Bekannter. Darf ich deinen Namen nicht wissen?« Sein Auge blieb fest auf mich geheftet, es war ein Blick, den ich nicht auszuhalten vermochte, ein Blick, der des Menschen Innerstes zu erforschen vermag. Ich sammelte mich mit Mühe. »Erlaube,« stotterte ich endlich – »daß ich heute noch schweige, und mache auch du für diesen Abend keinen Gebrauch mehr von dem, was der Brief enthält. Das bitte ich dich um deines Freundes, um einer Unbekannten willen, die als Mensch wenigstens Anspruch auf deine Schonung hat.« Er hatte den Brief geöffnet. Ein Blick, den er darauf warf, mochte ihm Namen gezeigt haben, die ihm Licht gaben. »Du bist –« rief er auf einmal heftig, und ergriff meine Hand. »Laß mich,« rief ich gewaltsam, und riß mich los. »Heute darf nichts mehr geschehen.« Ich entfloh. Er blieb noch eine Weile, vermuthlich um den Brief zu lesen; nach einer Viertelstunde hörte ich seinen stolzen schnellen Tritt durch den Porticus bis an's Thor. Dies wurde geöffnet, und schnell geschlossen, und ich sah nun, daß ich für heute nichts mehr zu fürchten hatte. O ich hatte so davor gezittert, daß er noch diesen Abend zu Agathokles eilen, und so kurz vor der Nacht seine Ruhe durch eine solche Erschütterung stören würde.

Ich schlief wenig, mein Gemüth war zu bewegt. Am frühen Morgen, als kaum der Tag angebrochen war, kam Tabitha eilig in mein Zimmer, um eine stärkende Arznei für Agathokles zu holen. Ich erschrak, ich fragte. »Der Prinz ist bei ihm, er ist sehr zeitlich gekommen, ich hörte[4] sie lange eifrig reden und lesen. Plötzlich rief der Prinz nach Hülfe – ich eilte in's Zimmer. Agathokles lag ohne Bewußtseyn in seinen Armen – wir brachten ihn mit Mühe zu sich selbst. Heliodor hat mich um den Balsam geschickt.« Sie eilte fort, ohne mich zu hören, ohne sich um meinen Zustand zu bekümmern; er grenzte an Bewußtlosigkeit.

Ich erwachte nur durch Heliodor's Stimme, die mir rauh zurief: Theophania, folge mir! Agathokles verlangt dich zu sehen. Ich schwankte – kaum vermochte ich ihm zu gehorchen. O welcher Entscheidung ging ich entgegen!

An der geöffneten Thüre blieb ich zögernd stehen. Heliodor zog mich in's Zimmer. Ich wußte nicht, wie mir geschah – Himmel und Erde waren mir vergangen – da weckte mich die Stimme der innigsten Liebe. Larissa, meine Larissa! rief Agathokles. Ich sah empor, ich sah ihn weit vorgebeugt den Arm nach mir ausstrecken, als wollte er mir entgegen stürzen. Larissa! rief er noch einmal. – Jetzt war Alles vergessen. Ich flog an seine Brust, ich wußte nichts mehr von der Welt, ich wußte nichts, als daß ich geliebt war! Meine Freude wechselte schnell mit Schrecken. Agathokles lag bleich, mit geschlossenen Augen in meinem Arm. Ich schrie um Hülfe, da schlug er das Auge auf, und heftete einen Blick auf mich. – Ach Junia! der ganze Himmel war in diesem Blicke! »Du lebst,« begann er nun nach einer Weile: »Du lebst – du bist frei, du bist mein!« – Er legte seine Hand auf meine Stirn, auf meine Schultern, er faßte meine Hände: »Es ist kein Traum?« sagte er endlich langsam – »Nicht wahr, Constantin! es ist kein Traum?« Jetzt erst sah ich mit Erröthen, daß wir einen[5] Zeugen gehabt hatten; ich trat zurück. Constantin näherte sich, in seinem edeln Gesichte strahlte der Wiederschein von der Freude seines Freundes. – »Nein, mein Agathokles!« sagte er lächelnd, »sie lebt wirklich, du hast sie wieder, und ich freue mich herzlich darüber.« Er faßte meine Hand: »Ich habe dich schon gestern erkannt – du fühltest es wohl, ob du es schon nicht gestehen wolltest.« Ich lächelte, und bat ihn, der Sorge für seinen Freund diese Zurückhaltung zu verzeihen. Agathokles nahm jetzt unsere beiden Hände in seine Linke, und drückte sie herzlich. »O mein Constantin! meine Larissa! – Meine Theophania! denn so will ich dich fortan nennen, mit diesem Namen wurdest du für mich wieder geboren. So war es auch kein Traum, als ich deine Gestalt in der ersten Nacht zu sehen, deine Stimme zu hören glaubte? O wie konntest du so hart seyn, mir dies Glück durch vier lange Tage zu entziehen, und so kalt in meiner Nähe leben, ohne dich zu verrathen?« Ich erröthete. »Wenn Constantin dir den Brief ganz gelesen hat – sagte ich endlich – so weißt du« – Das war nicht geschehen. Agathokles Ungeduld hatte nicht so lange gewartet. Jetzt las Constantin – ich fühlte, daß heißer Purpur mein Gesicht bedeckte, meine Thränen floßen, und doch war ich selig. Mit den letzten Worten des Briefs entfernte sich Constantin schnell. Nun waren wir allein, allein mit unsern vollen Herzen, mit unserm Glück. Agathokles sagte nichts, er reichte mir schweigend die Hand, und sah mich mit einem unbeschreiblichen Blicke an. Sein Auge schimmerte feucht, ich sah Thränen darin. Ach Junia! zürne der irdisch-gesinnten Freundin nicht, ich fühlte mein Inneres gewaltsam zu ihm gezogen, ich sank[6] an seine Brust, unsere Lippen berührten sich innig und fest, unsere Seelen floßen in einander. Ach es war der erste Kuß seit jenem letzten Abschied an den Hecken in meines Vaters Garten! Aus seinem Arm glitt ich am Bette auf meine Kniee nieder, ich betete. – O, Gott kann diese schuldlose Aeußerung inniger Liebe nicht verdammen, was auch Heliodor sagen mag; denn ich konnte beten. Agathokles gab der heftigen Spannung, in der sich meine Seele befand, eine sanfte Richtung. Er zog die goldene Nadel aus meinen Haaren, und begann ein süßes Spiel damit, wie in den stillen Tagen unserer ersten Liebe, er schlang seine Hand in meine Locken, er ordnete sie, und zerstörte tändelnd wieder, was er erst gemacht hatte. Ich ließ ihn gewähren, und war so glücklich! Ich erzählte ihm von meinem Aufenthalt bei dem guten Fritiger, von Synthium, von meiner Angst meiner Eifersucht. Er lächelte, er gab mir unter tausend Liebkosungen die heiligsten Versicherungen seiner Treue. O es war schon seit seinem ersten Worte kein Zweifel mehr in meiner Brust! So schwatzten, so tändelten wir fort, glücklich wie die Kinder, und sorglos wie sie, bis Heliodor's Ankunft uns in die Wirklichkeit zurückrief. Agathokles sagte mir nun, daß sein Uebergang zum Christenthum ihn den Segen und die Reichthümer seines Vaters gekostet habe. Sein Sold als Tribun und sein mütterliches Erbtheil war Alles, was er besaß. Stockend trug er es mir vor, ich schauderte bei dem Fluche seines Vaters – aber wie konnte das Zweite mich rühren? »Wir werden miteinander leben!« rief er muthig, »wir werden Alles theilen, Glück und Unglück, viel oder wenig, was Gott sendet! Bist du's zufrieden, Theophania![7] so gib mir deine Hand am Altar, so bald ich im Stande bin, dir meine Rechte zu reichen, sobald ich genese.« Ich drückte seine Hand an meine Brust, mein Auge antwortete ihm. Heliodor wird uns vereinigen, hub Agathokles an, und sah dem strengen Greis freundlich in's Gesicht. So eisern ist seine Brust doch nicht, daß ihn eine so rein menschliche Freude nicht gerührt hätte. Ihr verdient euer Glück! sagte er, indem er nach einigem Bedenken naher trat, denn ihr seyd gut und fromm; und wenn ihr's denn in der Ehe zu finden glaubt – der Herr hat den Ehestand auch eingesetzt, und Christus ihn geheiligt – so werdet denn Mann und Frau, ich will euch trauen. Agathokles schüttelte ihm die Hand, ich küßte sie ihm mit kindlicher Rührung. So strenge er es mit mir gemeint hatte, so war er doch der Schöpfer meines Glücks geworden. Er mußte selbst lächeln, als ich es ihm vorerzählte; aber dies Lächeln verschwand bald vor dem gewohnten Ernst. Er faßte Agathokles Hand: »Dein Blut wallt fieberisch, du bedarfst der Ruhe, Theophania geht mit mir.« Er ergriff mich bei'm Arm. Nimmermehr! rief Agathokles mit einer Heftigkeit, die ich ihm kaum zugetraut hätte. Sie ist mein, meine Braut, sie bleibt bei mir. Er richtete sich schnell auf, und zog mich mit Gewalt zurück; denn gewohnt, Heliodor'n zu gehorchen, hatte ich mich bereits ein Paar Schritte entfernt. Heliodor sah uns finster an, dann schleuderte er meine Hand hin: Nun so treibt eure Abgötterei fort! rief er entrüstet, und ging aus dem Zimmer. Ich stand verlegen. Furcht vor Heliodor's Zorn, Sorge für die Gesundheit meines Freundes, und das heiße Verlangen, ihn keinen Augenblick zu verlassen, stritten in mir. Agathokles[8] sah mich ernst an: »Du wankst?« sagte er, »willst mich verlassen? So hat dieser finstere Priester mehr Gewalt über dich als dein Freund?« So hatte Agathokles noch nie mit mir gesprochen. Ich erschrak, ich sank an seine Brust: »O mache mit mir, was du willst! ich bin dein Geschöpf.« Er drückte mich fest an sich, er beruhigte mein Herz durch tausend süße Worte und theure Namen. O welche himmlischen Augenblicke waren das! dann ließ er mich an sein Bette niedersitzen, und entwickelte mit feuriger Beredtsamkeit und jener klaren Weisheit, mit welcher einst Apelles meinen jugendlichen Geist überzeugt hatte, die wahre Ansicht unserer heiligen Lehren. Weit erhabener, weit mehr eines allweisen, allgütigen Geistes würdig, erschienen sie mir in seiner Darstellung, als wie Heliodor und viele, mit denen ich in Nicäa und hier lebte, sie schilderten. Agathokles lehrte mich Menschensatzungen und Ansichten einer beschränkten Eigenthümlichkeit von dem ursprünglichen Sinn derselben unterscheiden; er zeigte mir, was eigentlich Christenthum sey, und welchen Einfluß es in seiner Reinheit auf das Menschengeschlecht haben müsse. Ich hing begeistert an seinem Munde. O wenn die Liebe zu Allem, selbst zu falschen Schritten überreden kann, welche unwiderstehliche Macht muß die erhabenste Wahrheit in dem Munde des Geliebten haben! Seine Wärme riß mich hin, ich sank vor seinem Bette auf die Kniee und rief: O sey du mein Lehrer, mein Führer, Agathokles! Verlaß mich nie wieder, ich will dir mit kindlichem Gehorsam folgen, und laß dann deine Liebe meinen Lohn seyn! Er umfaßte mich, er hub mich zärtlich auf, aber ich sah, daß die Erschütterung der Freude und des heftigen Redens ihn angegriffen hatte[9] – er sank in meinen Arm auf die Kissen zurück. Ich bat ihn nun, nicht mehr zu sprechen, und sich Ruhe zu gönnen; er folgte mir, drückte meine Hand, wir schwiegen Beide, nur unsere Augen unterredeten sich, und still und selig genoßen wir das Glück der Wiedervereinigung. Mit dem Anfang der Dämmerung fiel mir Calpurniens bevorstehender Besuch schwer auf's Herz. Das war die Zeit, wo sie zu kommen pflegte. Ich sah, daß auch Agathokles etwas unruhig und in Gedanken schien, obwohl er sich Mühe gab, es zu verbergen, und mein Herz, dessen Schwäche er kannte, auch nicht durch die leiseste Berührung zu verletzen. O wie dankte ich ihm für diese Schonung! Nach und nach verschwand meine Furcht, es ward immer später und der schöne Callias erschien nicht. Mit dem Einbruch der Nacht trat Constantin ein. In seinen Armen, in inhaltvollen Gesprächen verließ ich nun meinen Freund, um in der Einsamkeit mich zu sammeln, und Gott für mein Glück zu danken. Die folgende Nacht ließ ich mich die theure Pflicht, meinen Kranken selbst zu besorgen, ihm jede Arznei, jede Labung zu reichen, und bei ihm zu wachen, von Niemand rauben, und widerstand Heliodor'n mit Festigkeit, der als ein Sühnopfer für meine übermäßige Freude das Opfer einer freiwilligen Entfernung von Agathokles forderte. Ich blieb im Nebenzimmer, und bewachte seinen Schlummer; er war ruhig und erquickend, wie der Schlummer der Unschuld und Tugend. Am Morgen erwachte er heiter und gestärkt, sein erster Laut war mein Name. Seitdem bin ich wieder beständig um ihn. Wir haben uns so viel zu erzählen, zu fragen! Auch heute kam Calpurnia nicht! Sollte sie vermuthen oder wissen, was vorgefallen ist? Agathokles[10] nennt ihren Namen nicht, und Constantin zu fragen, habe ich nicht den Muth. Er ist jetzt bei ihm, ich habe diese Zeit benützt, um dir mein Glück zu melden, an dem du, theure treue Freundin, gewiß den lebhaftesten Antheil nehmen wirst. Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 35, Stuttgart 1828, S. 3-11.
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