75. Sulpicia an Calpurnien.

[11] Ecbatana, im Febr. 303.


Wie vom düstern Strande des Cocyt und den Reichen der Schatten, kömmt dieser Brief zu dir. Mühsam bin ich noch diesmal dem Nachen des Charon entronnen, und zu dem Reste von Leben erwacht, der der zerstörten Maschine noch übrigt. Die Reise, die Luftveränderung, statt wohlthätig auf mich zu wirken, hatte mich ganz erschöpft. Mit Todesgedanken betrat ich den königlichen Palast, den ich wohl nicht lebend mehr verlassen werde. Nach einigen Tagen fühlte ich mich so weit erholt, daß ich, dem Wunsche meines Gemahls zufolge, die Ceremonien der Krönung mitmachen konnte. Aber sie waren kaum vorüber, so sanken meine Kräfte völlig, und ich schwebte mehr als einen Monat zwischen Leben und Tod. Ich genas endlich wieder, das heißt, ich kann in dem sonnigen Porticus meines Palastes und in den Gärten langsam herumschleichen, die eben jetzt unter dem Hauche des Frühlings zu erwachen beginnen. Bald wird auch das wieder aufhören, ich fühle das mörderische Eisen, das die Parze an den morschen Faden meines Lebens legt, und bald wird von deiner Freundin nichts mehr übrig seyn, als was eine Urne füllt.

Und warum hat ein eisernes Geschick mein Urtheil so streng, so unwiderruflich gesprochen! Warum hat mich seit[11] meiner Kindheit das Unglück unabtrennbar begleitet? Wie wenig frohe Stunden wurden mir zum Theil? Und jetzt, wo endlich alle Kämpfe aufgehört haben, alle Hindernisse besiegt sind – jetzt soll ich sterben? wie hart, wie ungerecht ist dieses Loos! Haben denn nicht alle Geschöpfe Ansprüche auf Glück? Auch das geringste Insekt ist mit den Fähigkeiten dazu ausgerüstet, und erfüllt diesen Zweck und ist in sich vollendet. Nur der Mensch allein darf sich des Vorrechts rühmen, vernünftig und elend zu seyn. So beschämt uns der Wurm, der zu unsern Füßen kriecht, und wir wären tausendmal glücklicher, wenn wir nichts als den blinden Instinkt von der Natur erhalten hätten, wenn unsere Wünsche mit unserm Vermögen gleichen Schritt hielten, und keine Voraussehung uns die Freuden der Gegenwart vergiftete.

Sage mir, Calpurnia – ich flehe dich darum an – sage mir aus Mitleid, wenn du es aus Ueberzeugung nicht kannst, daß es jenseits der Urnen noch Etwas gibt – daß wir nicht ganz vergehen. Ich habe mir den Phädon1 des großen Plato bringen lassen. Tiridates selbst las ihn mir vor. Ach so lange die Worte des Weisen mir durch seine Stimme die Seele berührten, schwiegen die Zweifel, ich hörte ihn, mein Herz ward aufgeregt, aber mein Verstand blieb müßig. Als ich allein war, und die Rolle in die Hand nahm, da suchte ich mit Mühe, mit einer Art von Angst, und fand – Vermuthungen, Wahrscheinlichkeiten, individuelle Beruhigungen, die gerade den Sokrates in seiner Lage und Gemüthsstimmung ansprachen,[12] aber nichts, das meine Zweifel löste. Alt, lebenssatt, von seiner Xantippe geplagt, und von seinen undankbaren Mitbürgern verkannt, welche Reize konnte die Erde für ihn haben? Wie leicht konnte er sich über den Abschied von ihr trösten, wie bald mit einem Zustande zufrieden seyn, der so leicht besser seyn konnte, als sein gegenwärtiger? Er hatte keine Jugend, keinen Thron, keinen geliebten Gemahl zu verlassen!

Auch du, Calpurnia, bist nicht glücklich! Das sagen mir deine Briefe. Es ist ein seltsamer Streit in deinem Herzen. Du liebst deinen Freund mehr, als du ihm zeigen darfst, mehr, als du selbst glaubst, und dennoch hindert dich theils dein altes System von Unabhängigkeit und Gleichgültigkeit, theils sein unbestimmtes Betragen, dich dem mächtigen Zuge deines Herzens zu überlassen, der dich trotz aller jener Hindernisse zu ihm führt. Was bleibt da für Hoffnung übrig, diesen Streit geschlichtet, und eure Herzen vereinigt zu sehen? Es ist etwas, das sich stets zwischen Euch legt, und eure Annäherung nie bis über einen gewissen Punkt gehen laßt. Keines hat den Muth, diese Schranken zu durchbrechen, und so quält ihr einander wechselseitig. Aber das ist Menschenloos, und ihr tragt die Schuld eures Geschlechts. Es soll nicht glücklich seyn, das steingeborne Wesen, es soll sein Leben in Kämpfen, Leiden und Entbehren zubringen, und wenn einst das Geschick, müde seine Launen an ihm zu versuchen, von ihm ablaßt, dann nimmt es der Tod zur letzten Ruhe in seine kalten Arme, und auf dem Scheiterhaufen verlodert endlich das Herz, das hier stets vergebens glühte. So wird es auch dir ergehen, wenn einst ein glücklicher Zufall dich ganz mit deinem Freund vereinigen[13] sollte. Hoffe nichts Besseres, du bist ein Kind der harten Erde! Die schwarze Gestalt, die schluchzend aus dem Zimmer stürzte, ist euer böser Genius. Als ich die Stelle las, überlief mich ein unwillkührliches Grauen. Das ist das Gekrächz der Raben, rief eine Stimme in mir. Ich kann nur wünschen, daß die Vorbedeutung trügen möge!

Ueberhaupt ist dein Schritt sehr gewagt, und ich bin weder mit deiner Kühnheit, noch mit Agathokles Betragen zufrieden. So muß der Mann, um dessentwillen ein schönes, gesuchtes, edles Mädchen so weit geht, nicht mit ihr sprechen! Er soll sein Glück fühlen, er soll davon hingerissen seyn – aber diese stolzen Männerseelen erkalten schnell, sobald sie fühlen, daß ihr Unglück, ihre Vorzüge oder sonst ein Zufall unser Herz für sie erwärmt hat. – O Calpurnia! Denke der Warnungen, die ich dir noch in Rom schrieb; denke der Fabel des Tantalus: Wir sind zum Leiden geboren!

Mein Kopf ist müde, meine Kraft erschöpft. Leb' wohl. Sobald ich kann, schreibe ich dir wieder, denn ich finde deine Briefe nicht geeignet, sie von irgend jemand Anderm lesen und beantworten zu lassen, und ich habe dir noch viel zu sagen.

Fußnoten

1 Phädon, ein Gespräch des Photo über die Unsterblichkeit der Seele – genug bekannt durch die Uebersetzung und Erläuterung des verewigten Mendelssohn.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 35, Stuttgart 1828, S. 11-14.
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