77. Calpurnia an Sulpicien.

[20] Nikomedien, im März 303.


Hat ein Gott dir mein Geschick geoffenbaret? Ist dir, als du nahe an der Pforte der Unterwelt warst, die Gabe der Weissagung verliehen worden? Ja, meine Hoffnungen sind zernichtet, und die schwarze Gestalt ist mein böser Dämon – sie ist – das Aergste, was für mich auf Erden lebte!

Dein Brief hat mich sehr traurig gemacht. – So waren auch meine trüben Ahnungen über dein Schicksal wahr! Du standest am Rande des Grabes, und ich bin getrennt von dir, und viele Tage vergehen, bis ich Nachricht von dir erhalten kann! Längst kann ein unglücklicher Zufall die günstige Kunde Lügen gestraft haben, die ich vielleicht in diesem Augenblicke mit Freuden lese, und indem ich mit Vergnügen an deine Besserung glaube, hat ein neuer Anfall dich in Gefahr gesetzt.

Du sprichst von meinem Verhältniß zu Agathokles mit[20] düsterm, aber nur allzu wahrem Tone. Ja, es ist entschieden – für immer, und unwiderruflich! Wenn ich hier noch zweifeln oder hoffen könnte, würde ich dem Wahnsinnigen gleichen, der sich einbilden könnte, das Schiff, das er in diesem Augenblick vom Sturm an den Felsen zertrümmern sah, werde in wenig Tagen wohlbehalten mit günstigem Winde in dem Hafen einlaufen. Jetzt erst, Sulpicia – jetzt, wo Alles klar und entschieden ist, fühle ich, daß der Eindruck tiefer war, als ich glaubte!

Larissa ist gefunden, sie und Theophania sind eine Person. Nun ist mir ihr ganzes Betragen in Synthium, seine Bewegung, als er ihre Briefe sah, seine Nachforschungen nach der räthselhaften! Fremden begreiflich, in der sein ahnendes Herz die frühe Geliebte errieth. Sie lebt jetzt mit ihm in einem Hause, sie pflegt seine Wunden, sie ist den ganzen Tag um ihn, er wird sich unauflöslich mit ihr verbinden, er wird sein ganzes Glück in ihren Armen finden, und die übrige Welt wird aus seinen Blicken verschwinden.

Beim Jupiter! Eine seltsame Geschichte! Und warum muß die Laune des Schicksals mich, gerade mich in das wunderbare Geschick dieser schwärmerischen Menschen verwickeln? Warum mußte ich ihn kennen lernen? Ich war so glücklich vor diesem Zeitpunkt. Habe ich ihn nach Rom beschieden, ihn angezogen, daß ich nun so bitter gestraft worden?

Du wirst dich erinnern, daß ich mich belauert glaubte, aus Vorsicht nahm ich das nächste Mal Phädo und seinen Sohn mit mir. Ich fand Agathokles wirklich gebessert, seine Stimme war stärker, sein Blick heiterer, aber mit der Kraft des Körpers schien auch die ganze Strenge[21] seiner Gesinnungen wiederzukehren. Er hatte des Gespräches vom vorigen Abend nicht vergessen, er fing davon an, er drang mit hohem Ernst in mich, dem Höchsten und Heiligsten, wie er die Vorstellungen von unserer Bestimmung, der Zukunft, dem Schicksale nennt, meine ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Die Harte in seinen Aeußerungen überhaupt, sein Tadel meines Leichtsinnes, wie er es nannte, hätte mich aufbringen können. Aber die schöne Warme, der innige Antheil an meinem Wohl, der wie ein milder Sonnenstrahl aus dieser Strenge hervorbrach, sein Blick, der bald strafend, bald freundlich auf mir ruhte, bewegte mich wunderbar. Es erhob sich ein unruhiger Kampf in mir, ich wußte nicht, ob ich ihm zürnen, ob ich von seiner Freundschaft gerührt werden sollte. Das allein fühlte ich dunkel, was dein Brief so deutlich ausspricht – so hätte ich nicht von ihm empfangen werden, diese Gespräche hätten in unserer Lage nicht geführt werden sollen, wenn Alles gewesen wäre, wie es sollte! Der letzte Grund aller meiner Empfindungen war Schaam und gekränkter Stolz, dem es an schicklichem Anlaß zum Ausbruch mangelte. Er deutete das Unentschiedene meines Benehmens falsch, er glaubte, mein Verstand schwanke zwischen meinen und seinen Vorstellungen, indessen Stolz und Zuneigung in meinem Herzen stritten. Er zog mich näher an sich, er beschwor mich um meiner selbst willen, um des Antheils willen, den er, so lange er mich kannte, an meinem wahren Glücke genommen habe, meine Ansichten zu berichtigen, und ernsthaft über so wichtige Gegenstände nachzudenken. Ich wurde gerührt, ich drückte seine Hand – ich weiß nicht, Sulpicia, wozu der Mann mich in diesem Augenblicke[22] hätte bereden können! Es war ein seltsames Verhältniß von mir zu ihm. Nicht Er – wie ich es sonst gewohnt war zu sehen – Ich war der untergeordnete, der zurechtgewiesene, der nachgebende Theil, und eine Stimme in der innersten Tiefe meines Herzens erhob sich immer lauter und lauter, um mir zuzurufen, daß ich noch nie so glücklich gewesen war, als in diesem Augenblicke. Was war das, Sulpicia? Welche wunderbare, welche unerhörte Erscheinung! Ich setzte mich neben ihn, meine Hand ruhte in der seinigen, sein glühendes Auge, die seine Röthe, die beim lebhaften Gespräche sein blasses Gesicht überflog, sein rundlächelnder Mund, unser ganzes Verhältniß – ach, Alles war so anziehend, so gefährlich! Zur guten Stunde rettete mich Urania! Man meldete den Prinzen. Ich warf Mantel und Kappe über. »Du kommst doch Morgen wieder?« rief er mit einem Tone, der mehr als freundlich war. »Gewiß, gewiß, mein theurer Freund!« Ich drückte seine Hand, und entfloh schnell neben Constantin vorbei, der bereits durch den Porticus herauf kam.

Kaum war ich, verloren in tausend süße Vorstellungen, ein Paar hundert Schritte gegangen, als die verhüllte Gestalt, die mir schon zweimal gefolgt war, schnell auf mich zutrat, mich bei der Hand faßte, und mit einer bekannten Stimme sagte: So trifft man die spröde Larissa, in dieser Kleidung, und um diese Zeit? – Der Name wirkte in diesem Augenblicke schrecklich auf mich – ich vergaß, daß ich verborgen bleiben wollte. – Larissa! rief ich, fuhr empor, und sah den Fremden erstaunt an. Er warf in eben dem Augenblicke seine Kappe ab – und so gerechte Götter! Marcius Alpinus stand vor mir, der Mensch, von dem ich unter allen Sterblichen am letzten[23] und unliebsten entdeckt werden wollte! Auch er schien betroffen, mich zu erblicken, es war deutlich, daß er Jemand andern zu sehen gehofft hatte! Also Larissen. Also lebte sie – also war sie in der Nähe! Ich fühlte, daß mir eine Ohnmacht nahe war. Marcius Betroffenheit gab mir Zeit, mich zu sammeln. Ob er die wahre Ursache meiner Verkleidung errieth, weiß ich nicht, aber ich habe Grund es zu glauben, obwohl der schlaue Höfling sein genug war, mir eine vollendete Beschämung zu ersparen. O er war sich nur zu gut bewußt, daß er die Faden des Gewebes, das ihm ein unseliger Zufall in die Hand spielte, dadurch nur fester um mich zog! Er bot mir seine Begleitung an – wie konnte ich sie ausschlagen? Es lag mir auch zuviel daran, durch ihn etwas Bestimmteres von dieser Larissa zu erfahren. Er hatte sie in Nicäa, unter dem Namen Theophania kennen gelernt, und ich müßte mich sehr irren, wenn sie nicht einigen Eindruck auf ihn gemacht hat. Wie sie den Händen der Gothen und dem Tode entgangen ist, wußte er nicht zu sagen, oder wollte es nicht. Genug sie lebte, und trieb mit seiner Kunst ihr Spiel so lange und so geschickt, bis sie endlich, ohne sich blos zu geben, in Agathokles Nähe, und zu der Möglichkeit gekommen war, ihre alten Ansprüche geltend zu machen. Er hat ihr in Nicäa nachforschen lassen – sie spielte die Spröde, entfloh ihm, um ihn mehr zu reizen – und ließ sich endlich hier von ihm finden. Die Heuchlerin!

Ich schlief die Nacht wenig. Entgegengesetzte, quälende Empfindungen durchkreuzten mein Innerstes. Ich beschloß, meinem Vater die ganze Sache zu entdecken. Er nahm sie so auf, wie ich besorgt hatte – nicht hart,[24] aber streng. Was mich am tiefsten verwundete, war die Wahrnehmung, daß nicht meine Neigung für Agathokles, nur mein gewagter Schritt seinen Tadel erregte. Eine unverhehlte Achtung, eine väterliche Zuneigung sprach sich unwillkührlich in seinen Aeußerungen aus, und ich fühlte mit tiefem Schmerz, daß ihm dieser Schwiegersohn vor allen Andern lieb gewesen wäre.

Spät am Abend dieses Tages – du kannst denken, daß ich nicht mehr zu Agathokles ging – ließ sich Constantin melden. Sein Besuch ist eine solche Seltenheit in unserm Hause, daß mich unter den jetzigen Umständen eine schaurige Ahnung böser Neuigkeiten überlief. Sie hatte mich nicht getäuscht. Nach einer artigen Einladung kam er auf die Ursache seines Besuches. Die Gastfreundschaft, die so lange zwischen unserm und Agathokles Hause bestanden habe, lasse ihn vermuthen, daß wir Alle – merke wohl, Sulpicia, er war zartfühlend genug, um mich nicht allein zu nennen – wahren Antheil an dem Schicksal unsers Freundes nehmen würden, und er habe uns eine sehr günstige Wendung desselben zu berichten. Agathokles habe seine Larissa wieder gefunden, sie sey durch wunderbare Ereignisse, die er uns ganz vollständig erzählte, dem Tode und der Gefangenschaft entgangen, habe sich vor den Nachstellungen eines bösen Menschen hieher in das Wittwenhaus geflüchtet, ihrer Sorgfalt sey Agathokles, der keine Ahnung von ihrer Gegenwart, und kaum eine von ihrem Leben hatte, übergeben worden, sie habe drei Tage noch unerkannt mit ihm in demselben Hause zugebracht, und erst heute sich ihm entdeckt.

Wer hatte nun die Unwahrheit erzählt, Marcius oder[25] Constantin? Und war nicht vielleicht Marcius selbst der Bösewicht, dessen Nachstellungen sie entgehen wollte? Zu gut ist er nicht für diesen Verdacht. Wie dem immer seyn mag – genug, sie lebt, er hat sie wieder. Das Ende der Geschichte läßt sich an den Fingern abzählen. Einer der interessantesten Menschen seiner Zeit wird sich in dem alltäglichen Ehemann eines alltäglichen unbedeutenden Geschöpfes verlieren!

Ich hasse diese Theophania, oder Larissa, die wohl so viel Außenheiten als Namen haben mag. Ich halte sie für eine Heuchlerin. Was soll diese Komödie der Verborgenheit? Wenn sie wahrhaft liebte – wie war es ihr möglich, sich ihm zu entziehen? Aber sie will verwirren, reizen, anziehen, und da sie wohl fühlt, daß ihre höchst mittelmäßige Gestalt keinen bedeutenden Eindruck machen wird, nimmt sie ihre Zuflucht zu Künsten. Man muß sich in dichte Schleier hüllen, etwas Sonderbares, Geheimnißvolles um sich ziehen, man muß die Rolle der selbstverläugnenden, verkannten Zärtlichkeit spielen, bescheiden entfliehen, wenn die gefürchtete Nebenbuhlerin eintritt, aber durch ein wohlangebrachtes Schluchzen die Aufmerksamkeit auf die Entfliehende heften – man muß lange auf sich warten lassen, um dem Wenigen, was man zu geben hat, mehr Werth zu verleihen! O ich kenne diese Ränke, diese Miene der duldenden Sanftmuth – sie verbirgt meist ein listiges tückisches Gemüth, das jene Zwecke heimlich zu erschleichen strebt, die es offenbar nie erreichen würde; ich kenne die verfeinerte Buhlerei dieser Geschöpfe, die bei der Ohnmacht der Natur ihre Zuflucht zur Kunst nehmen! Ich habe sie von jeher gehaßt, und diese Theophania am meisten! Sie war mir widerlich,[26] als ich sie zuerst in Synthium sah. Ich bin offen, froh und heiter, wie mich die Natur gebildet hat; ich liebe und hasse, wie es mein Herz befiehlt, und verlange nicht eine Neigung zu verbergen, deren ich mich nicht zu schämen habe. Ich bin zu Agathokles geeilt, als ich ihn in Gefahr glaubte, ich habe ihm meine Freundschaft unverholen gezeigt, in allem meinem Werth oder Unwerth stand ich vor ihm, von seinem Herzen allein erwartete ich meine Würdigung, nicht von Schauspielkünsten, die ich verachte und verschmähe. Aber das wollen die Männer nicht – sie wollen getäuscht, gereizt, hingehalten seyn, und darum, wenn so ein von der Natur vernachlässigtes Geschöpf einmal sich die Herrschaft über ein Männerherz zu erobern gewußt hat, dann ist ihre Macht auch unzerstörbar, denn weder Zeit noch Alter, noch Krankheit kann den Zauber enden, der nicht auf den Einfluß der Sinne gestützt, der blos in der Einbildungskraft und dem Gemüthe gegründet ist.

Das ist also das Ende aller jener Aussichten, Hoffnungen – Erwartungen! Sulpicia! Wer mir das gesagt hätte, als ich ihm bei dem kleinen Feste den Kranz aufsetzte, als er erröthend, gerührt, betroffen, und in dieser Verlegenheit so liebenswürdig vor mir stand! – O es ist zu arg, zu arg!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 35, Stuttgart 1828, S. 20-27.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Phantasus / Dafnis

Phantasus / Dafnis

Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.

178 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon