78. Agathokles an Phocion.

[27] Nikomedien, im März 303.


Constantins Brief, den ich in meinem Namen an dich zu schreiben bat, wird dich von Allem unterrichtet haben, was seit einigen Wochen mit mir vorgegangen ist. Jetzt ist meine Wunde am Arm, die unbeträchtlichste[27] von allen, ganz geheilt, und der erste Gebrauch, den ich von dieser Genesung mache, ist, dir zu sagen, daß ein wunderbares Verhängniß mich plötzlich an das Ziel geführt hat, das beinahe, seit ich lebe, der Gegenstand meiner heißesten Wünsche, meines Entzückens, und oft meiner Verzweiflung war. Larissa ist mein. Sie lebt, sie ist frei, und in wenig Tagen wird eine heilige Ceremonie die Gefühle weihen und rechtfertigen, die unsere Herzen seit unserer Kindheit zu Einem Wesen gemacht haben! Wie sie dem Tod und der Gefangenschaft entgangen ist, warum ihr feines Gefühl sie bewog, sich durch sechs Monate meiner heißen Sehnsucht zu entziehen, wird dich die Abschrift ihrer Erzählung belehren, die ich hier beischließe. O Phocion! Welch ein Gemüth! Welche himmlische Sanftmuth im Handeln, welche stille Kraft im Dulden der schwersten Schicksale! Nun ist sie mein, und nun sey es meine heiligste Pflicht, dies zarte Leben, das mir, seit ich denken kann, geweiht war, zu leiten, zu verschönern, und vor jedem Ungemach treu zu bewahren.

Es wäre vergeblich, wenn ich dir meine Gefühle schildern wollte, als Constantin, dem sie sich entdeckt hatte, mir die erste Ahnung ihres Daseyns gab, als er mich nach und nach errathen ließ, daß sie Wittwe, daß sie mir unverbrüchlich treu, in meiner Nähe, unter Einem Dache mit mir sey. Die Schwache meines damaligen Zustandes, und dies längst aufgegebene Entzücken beraubten mich des Bewußtseyns. Mit heißem Ungestüme verlangte ich sie zu sehen, sobald ich meiner Sinne mächtig war. Man wollte das nicht, man fürchtete, eine solche Scene würde nachtheilig auf meine Gesundheit wirken.

O der schwachen Furcht! wie könnte die Vereinigung[28] der zwei Hälften eines Wesens, die getrennt ohnmächtig traurend dahin schmachteten, etwas Anderes als ihr höchstes Glück seyn! Sie kam. Erröthend, zitternd, weinend blieb sie von ferne stehen. Ach, sie hatte es vermocht, an meiner Treue zu zweifeln! Sie hatte es vermocht, vier Tage mit mir in Einem Hause zu seyn und sich zu verbergen! Ich rief sie. Mit dem Tone erwachte das Vergangenheit in ihrer Seele. Alles, was Mißverständniß und Bosheit zwischen uns gelegt hatte, verschwand. Sie sank an mein Herz, unsere Blicke sprachen, jeder Zweifel entwich. Rein, wie entkörperte Geister ungehindert von irdischen Beschränkungen, senkte mit einem Blick sich Seele in Seele, verstanden sich die unsterblichen Bewohner unserer Hüllen – bedurfte es keiner Worte, um sich anschauend zu erkennen, und im eigenen Gemüthe Alles zu finden und zu fühlen, was in dem andern vorging! Sie ist mein – im höchsten ausschließendsten Sinne des Worts mein – mein Geschöpf, wie sie sich selbst nannte!

Als ich das erste Mal mein Zimmer verlassen durfte, leitete sie meine Schritte. Sie hatte ein Fest veranstaltet, wie nur die innigste Liebe es ersinnen kann. Mit allen Blumen, die der Frühling jetzt in's Leben ruft, war das freundlich helle Gemach geschmückt, in das sie mich führte. Ihre zarten Gestalten, ihre Düfte umfingen mich ebenfalls in's Leben Zurückgekehrten – und in welches Leben der Seligkeit! Laue Lüfte, milde Strahlen der Frühlingssonne drangen aus dem Garten durch die offene Thüre in das duftende Zimmer. Hier hatte sie mir ein Ruhebett bereiten lassen – hier athmete ich an ihrer Brust zum ersten Mal die freie Luft, traf mich zum ersten Mal der Strahl der Frühlingssonne.[29]

Sie hängt an mir mit allen Kräften ihres Wesens, mit allen ihren Gefühlen und Gedanken. Ich weiß, daß es nur eines Wortes, einer leisen Anregung bedürfte, um sie zu jedem Opfer zu vermögen; aber eben in dem Bewußtseyn dieser unumschränkten Gewalt über ihr Gemüth liegt für mich die heiligste Verbindlichkeit, ihrer nie zu mißbrauchen, und jeden Schein von Uebergewicht zu vermeiden. Diese heilige Scheu von einer Seite, und die innigste Hingebung von der andern erzeugt ein Verhältniß, dessen Reinheit und zartes Leben unserer Verbindung einen Reiz gibt, den Witz, Schönheit und Leidenschaft vergeblich nachzuahmen streben würden. Was ist aller Zauber äußerlicher Reize, was die Lebhaftigkeit eines leichtbeweglichen Sinnes, und die Abwechslung, die nur von Absicht oder Laune zeugt, gegen die unwiderstehliche Gewalt der Sanftmuth, und des innigsten Zutrauens? Und sie ist auch schön, – sie ist es nicht blos in meinen Augen! Mir zu Liebe putzt sie sich wieder. Ich äußerte neulich den flüchtigen Wunsch, sie einmal anders, als in dem gar zu schlichten Anzuge der Bewohnerin dieses Hauses zu sehen. Am andern Morgen trat sie zwar einfach, aber höchst edel gekleidet in den Garten, wo ich ihrer Ankunft länger als gewöhnlich geharrt hatte. Ein goldner Gürtel faßte das blendendweiße Gewand unter dem keusch verhüllten Busen, goldne Spangen umzirkelten die schönen Arme, und über den hellbraunen Locken floß ein nebelartiger Schleier bis zu ihren Füßen nieder, und folgte ihr bei jedem Schritte in langsamen Bewegungen, Freude und Liebe hatten ein feines Röth über ihre Wangen gehaucht, das große dunkle Auge strahlte Seligkeit und Ruhe. So stand sie vor mir,[30] und erweckte zartes Verlangen, und stille Hoffnung, aber keine Begierde.

Mein Vater ist noch nicht versöhnt, er hat den Fluch noch nicht von meinem Haupte genommen, und Theophaniens reine Seele zittert vor einer Verbindung, die unter solchen Vorbedeutungen geschlossen werden soll. Es ist mir heilige Pflicht, sie zu beruhigen, und so will ich zu meinem Vater gehen, und wenn noch ein Funken väterlicher Liebe in seiner Brust lebt, ich will ihn finden, und wieder erwecken. Was ich vielleicht um meiner selbst willen nicht thun würde, muß um Theophaniens willen geschehen. Ich habe geschaudert, als mein Vater seinen Zorn so fürchterlich aussprach, aber mein Herz gab mir das Zeugniß, daß ich ihn nicht verdiente, daß es eine höhere Pflicht gäbe, als selbst die kindliche, die, der einmal gefaßten Ueberzeugung von Recht und Wahrheit treu zu bleiben.

Dann bleibt noch ein seltsames Verhältniß zu lösen übrig – das von Calpurnia zu mir. Am ersten Tage, nach jener Nacht, wo ich verwundet in das Haus der gütigen Pflegerinnen gebracht wurde trat sie unvermuthet in Knabenkleidern, ich kann wohl sagen, zu meinem Schrecken in's Zimmer. Im ersten Augenblicke fürchtete ich, zu große Güte gegen mich, Mitleid, Ueberraschung, habe sie hingerissen, diesen gewagten Schritt zu thun. Ihr leichter Ton, ihr munteres Betragen zeigte mir bald, daß nur eine unverzeihliche Eitelkeit von meiner Seite diesen Gedanken hätte festhalten können. Liebe – solche Liebe, die ein Wagniß dieser Art rechtfertigen könnte, wohnt nicht in dieser luftigen Brust, in der jede Laune, jeder augenblickliche Eindruck offenen Eingang und willige[31] Aufnahme finden! Calpurnia liebt nur sich selbst, und Andere nur, in so weit sie ihr angenehme Empfindungen, Zerstreuung u.s.w. gewähren. Kein ernsterer Gedanke, keine bessere Ansicht vermag etwas über ihr leicht flatterndes Wesen. So habe ich sie hundertmal, so jetzt wieder erkannt, und alle Macht ihrer Reize gleitet von meinem Herzen ab. In jenen Augenblicken des rührenden Wiedersehens, wie hätte ein liebendes Weib sich betragen! Sie that den ungeheuern Schritt, um etwas Seltsames zu thun. Die einzige Triebfeder, die ihn entschuldigen konnte, fehlte, so bleibt er nichts als eine Wirkung der Laune und Absicht. Ihr Leichtsinn ist unbegreiflich, es gibt durchaus nichts, das ihren flatternden Geist festhalten könnte. Constantin hat auf mein Bitten mit ihr gesprochen, und ihr erzählt, daß ich meine Theophania wieder gefunden habe; seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen, und erwarte jetzt nicht ohne unangenehmes Gefühl die Entscheidung dieses Verhältnisses.

Meine Hand ist müde, ich habe zwei Tage an diesem Briefe zugebracht, denn ich kann weder oft noch anhaltend den Griffel führen. So bald ich, mehr schreiben darf, sollst du wieder von deinem glücklichen Freunde hören.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 35, Stuttgart 1828, S. 27-32.
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