79. Agathokles an Phocion.

[32] Nikomedien, im April 303.


Seit acht Tagen bin ich mit meiner Theophania vermählt. Der höchste Wunsch, der meine Brust bewegte, ist erfüllt, und wenn Sterbliche sagen können, daß sie glücklich sind, so können wir es, wenigstens sind wir es ganz in uns. Kein leises Verlangen, keine Ahnung nach[32] höherer Seligkeit läßt irgend eine Saite unserer Herzen leer und unberührt. Alle beben in vollen Schwingungen, alle vereinigen sich zur reinsten Harmonie, und unser Leben könnte ein Bild jenes goldenen Zeitalters werden, an dessen Daseyn der Mensch, von den Greueln der Wirklichkeit ermüdet, und voll Sehnsucht nach einem vollkommenern Zustand, so gern glaubt.

Aber dazu ist der Pilger dieser Erde nicht bestimmt, und damit er nie sich übernehme, fehlt es auch in seinen glücklichsten Lagen nicht an dunkeln Schatten, die den allzuhellen Glanz mäßigen. Unser Loos ist Arbeit und Kampf mit uns, mit der Welt, damit es uns und den Brüdern besser werde. Wohl dem, der das erste bestanden, der Friede mit sich selbst hat, und in seinen Wünschen, Ansichten und Grundsätzen ein beschlossenes Ganzes findet! Ich hoffe, wenigstens zum Theil diese Stufe erreicht zu haben. Es ist stille in mir. Larissens Besitz war eine wesentliche Bedingung dieses Friedens, ohne sie war mein Daseyn halb und unvollendet. Sie allein versteht mich ganz, ihr kindlicher Sinn faßt, was der Verstand sonst würdiger Männer, in Weltansichten verstrickt, nicht immer zu begreifen fähig ist. Auch Constantin, der nächst dir mein Innerstes am tiefsten erkannte, und in den wichtigsten Dingen mit mir gleich denkt, empfindet nicht gleich mit mir.

Du weißt, daß ich gesonnen war, Alles anzuwenden, um meinen Vater zu versöhnen. Es ist keiner der unbedeutendsten Vorzüge des Christenthums, daß es unter seinen göttlichen Gesetzen eines ausspricht, das sonst nie eine Religion gab, ein Gebot, das, wenn wir die menschliche Natur und den Gang der Empfindungen betrachten,[33] höchst weise und nützlich ist; auch ist es das Einzige, das Verheißung hat. Ehre Vater und Mutter, auf daß es dir wohlgehe, und du lange lebest auf Erden. So spricht das Gesetz, das Gott auf Sinai unter den Schrecken des Gewitters und seiner Herrlichkeit dem sinnlichen Volke der Wüste verkündigen ließ. Väter- und Mutterliebe hat die Natur in unsere Herzen gepflanzt, sie braucht kein Gesetz einzuschärfen. Aber der erwachsene Zweig sondert sich vom Mutterstamm, wurzelt für sich allein, und wird zum Baume. Das junge Thier entläuft der älterlichen Pflege, so bald es fähig ist, sich selbst zu erhalten; denn der Trieb der Natur wirkt vorwärts, nicht zurück. Nur der Mensch steht höher, von ihm fordert die Welt und sein Schöpfer mehr, er soll, wenn er selbstständig ist, die Urheber seines Lebens nicht vergessen, er soll die Pflege seiner Jugend ihrem Alter vergelten, und da kein eingepflanzter Trieb ihn hierzu führt, so müssen Dankbarkeit, Ehrfurcht, Gewohnheit, Alles bewirken. Darum erweiterten die Gesetzgeber das Ansehen der Eltern bis zum Rechte über Leben und Tod; aber Furcht gebiert keine Neigung, und nur in edeln Gemüthern treibt Dankbarkeit zur Wiedervergeltung. Da gab die höchste Weisheit dem Menschen das Gesetz der Liebe und Achtung für die Eltern, knüpfte den Lohn daran, der für die Stufe der Entwickelung, auf welcher damals das Menschengeschlecht stand, der höchste war, und ordnete das Gesetz, das Ehrfurcht für die sichtbaren Urheber des Lebens gebot, unmittelbar nach den Gesetzen, die die Verehrung für den unsichtbaren Urheber desselben enthalten.

So trieb nebst Theophaniens Wunsch auch das Gefühl[34] der Pflicht mich zu diesem Schritt, aber ich wollte es nicht wagen, mich unvorbereitet dem erzürnten Vater zu zeigen, den selbst der drohende Tod nicht an das Daseyn seines Sohnes erinnert hatte. Constantin ging zu ihm. Er fand ihn seltsam, nicht erzürnt, zuweilen sogar gerührt, aber unschlüßig, wankend – so daß er seine Antwort erst am folgenden Tage zu schicken versprach. Sie lautete also: Wenn ich mich entschließen könnte, gesetzmäßig und feierlich allen Ansprüchen auf sein Vermögen zu entsagen, weil er nicht gesonnen sey, seine Reichthümer zum Besten einer Christengemeinde verwenden zu lassen: so wollte er mich wieder als seinen Sohn erkennen, und seine Einwilligung zu meiner Vermählung geben. Meine Wahl blieb keinen Augenblick zweifelhaft. Ich unterschrieb das Instrument, das mir Constantin unwillig gab, und noch denselben Abend eilte ich, meine vollkommene Verzeihung selbst von meinem Vater zu erhalten. Ich ließ mich in einer Sänfte hintragen; ich trat in's Atrium, und befahl dem Sclaven, mich zu melden. Der Anblick unserer Ahnenbilder, die in langen Reihen die Halle zierten, das Andenken an meine Jugend, an meine theure Mutter, an so manche Scenen, die hier vorgefallen waren, das Sonderbare meiner jetzigen Lage, vielleicht auch die höhere Reizbarkeit meines Wesens, eine Folge meiner überstandenen Gefahr, stimmten mich zu ungewöhnlicher Rührung, und als endlich, statt des Sclaven, den ich erwartete, um mich zu meinem Vater zu führen, dieser selbst mit sichtbarer Eile in's Atrium trat, auf mich zuging, und mit Mühe die tiefe Bewegung verbarg, die dennoch jede seiner Mienen verrieth – da überwältigte mich mein Gefühl, ich zog meines Vaters Hand[35] an meine Lippen, eine Thräne fiel darauf, ich war nicht fähig, meinen Dank auszusprechen; aber er verstand meine wortlose Rührung. Als er selbst sich gesammelt hatte, erkundigte er sich höchst gütig nach meiner Gesundheit, meinem Zustande, er fand mich noch sehr bleich und entkräftet, und faßte meinen Arm, um mich zu unterstützen, und in die inneren Gemächer zu führen. Er that dies mit so sichtbarer Schonung meiner Wunden, daß ich wohl fühlte, er sey von meiner Lage viel besser unterrichtet, als er scheinen wollte. Ich war unaussprechlich gerührt, ich küßte seine Hand von Neuem, ich drückte sie an meine Brust. Er schien mit Gewalt seine eigene Bewegung zu unterdrücken, dennoch nannte er mich sein Kind – eine Benennung, die lange nicht zwischen uns gehört worden war – er ließ mich an seiner Seite niedersitzen, er überhäufte mich mit allen Bequemlichkeiten und Erfrischungen, die er mir in diesem Augenblick verschaffen konnte, und entließ mich erst nach zwei Stunden mit dem Auftrag, ihm des andern Tages meine Braut vorzustellen. Des Instruments wurde nicht gedacht, es schien, als scheute sich mein Vater, seiner zu erwähnen. Irre ich nicht ganz, so waren hier Rathgeber und Freunde thätig, die ihn zu einem Schritte beredet haben, den er selbst vor seinem Gfühl nicht rechtfertigen kann.

So glücklich, so kindlich froh, als Theophania durch die Nachricht von meiner Aufnahme bei mei nem Vater wurde, hatte ich sie niemals gesehen. Eine drückende Last schien von ihrer Seele genommen, sie scherzte, sie tändelte, und diese Aeußerungen einer schuldlos reinen Freude, je seltener sie bei ihr sind, gaben ihrem ganzen Wesen einen neuen eigenthümlichen Reiz. Der Abend,[36] den ich mit ihr zubrachte, war einer der schönsten meines Lebens. Sein Andenken wird, wie ein strahlender Stern, künftig durch meine Vergangenheit glänzen, und das Bild seines Glückes vielleicht manche trübe Stunde der Zukunft erhellen.

Am andern Morgen schickte mein Vater Larissen sehr kostbare Geschenke. Mehrere Sclaven brachten sie. Die väterliche Liebe wußte das selbstgegebene Gesetz zu umgehen; was dem Sohne nicht werden durfte, sollte die künftige Tochter erhalten. Es waren reiche Gewände, Geschmeide aller Art, köstliche Schleier u.s.w. Auf mein Bitten schmückte sich Theophania sogleich damit, und wir traten in Umgebungen, wie ich sie den Wünschen und Ansichten meines Vaters am entsprechendsten fand, unsern Weg zu ihm an. Er schien angenehm durch Theophaniens Gestalt und Betragen überrascht, das man ihm vermuthlich ganz anders geschildert haben mochte. Er empfing sie als die Wittwe des Demetrius mit unverstellter Achtung, und als seine künftige Tochter mit eben so unverkennbarem Wohlwollen. Mir trug er an, so bald ich ganz hergestellt, und der sorgsamen Pflege nicht mehr bedürftig seyn würde, in seinem Hause zu wohnen. Das war ich beinahe, und so nahm ich mit Dankbarkeit seine Güte an, so wenig mich die Entfernung von Theophanien freuen konnte, die vor der Hand bis zu ihrer Vermählung in dem Wittwenhause blieb. Ich begleitete sie also blos zurück, und kehrte zu meinem Vater wieder, wo ich bereits meine gewohnten Gemächer mit allen meinen Sachen, die er schnell aus dem Quartier der Leibwache hatte abholen lassen, und noch überdies mit allen Bequemlichkeiten versehen fand, die meine Lage jetzt vielleicht nothwendig machen konnte.[37]

Mein Vater machte glänzende Anstalten zu unserer Vermählung. Theophania und ich hätten uns mit dem zehnten Theil aller dieser Pracht begnügt, aber wir hatten uns vorgenommen, in allen solchen äußerlichen Dingen ihm, der hierin einen so großen Theil seines Glückes setzt, gar nicht zu widersprechen. Sobald Alles gehörig bereitet war, führte ich Theophanien, als meine Gattin, in das väterliche Haus. Heliodor hatte uns getraut; aber mein Vater äußerte sehr bestimmt, daß er die Braut seines Sohnes auf alt Römische Art in sein Haus aufzunehmen wünschte. Wir fügten uns auch diesem Wunsche, und so wurden Theophanien die Schlüssel des Hauses übergeben1, Feuer und Wasser überreicht, die Sclaven vorgestellt u.s.w.; und bis auf das Opfer am Altar der Laren, das ihre Religion verbot, verrichtete sie Alles mit einem Anstand und einer Liebenswürdigkeit, die, das sah ich wohl, ihr das Herz meines Vaters gewann. Seit der schwere Druck des Unglücks nicht mehr auf diesem zarten Gemüthe liegt, erhebt sie sich in stiller Heiterkeit, und einem reizenden Frohsinn, der sie zu einem von der ehemaligen Larissa ganz verschiedenen Wesen macht. Sie führt das große Hauswesen meines Vaters mit Leichtigkeit und Ordnung, und der frohe Greis scheint sich in dem Umgange seiner Kinder, deren Glück er als sein Werk betrachtet, zu verjüngen. So bin ich unaussprechlich glücklich.

Nur Constantin ist mit mir unzufrieden. Mein schnelles[38] Verzichtleisten auf die Reichthümer meines Vaters erregte einen Streit zwischen uns. Constantin's Geist, der große Absichten durch kräftige Mittel zu erreichen strebt, glaubt diese zum Theil in beträchtlichen Reichthümern zu finden. Er hat nicht Unrecht, aber mein Ziel liegt nicht ganz bei dem seinigen; und der geliebte Sohn eines sehr gütigen Vaters, den nie ein Mißverständniß von seinem Herzen riß, hat keine Vorstellung von dem Preise, um welchen ein vernachläßigtes Kind die väterliche Zuneigung gern wieder erkauft. So bleiben unsere schuldlosesten, unsere heiligsten Freuden nicht rein. Ich habe Constantin seit jenem Streite nicht wieder gesehen.

In einigen Tagen denke ich nach Synthium zu gehen, und dort in einsamer Stille und reiner Luft meine Kräfte ganz zu erholen. Mein Vater hat versprochen, mich oft zu besuchen. Dort, wo meine treffliche Mutter lebte, wo ihr schönes Daseyn so früh zerriß, wo wir als Kinder um sie spielten, werde ich mit Larissen leben – aber selbst im Arm der Liebe werde ich nie vergessen, daß du von mir getrennt bist, und Constantin mir zürnt.

Fußnoten

1 Bei den Hochzeitfeierlichkeiten der Römer wurden der Braut beim Eintritt in das Haus ihres Gemahls die Schlüssel des Hauses, und Feuer und Wasser, als Symbole ihrer künftigen Herrschaft im Hause, dargereicht.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 35, Stuttgart 1828, S. 32-39.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon