85. Theophania an Junia Marcella.

[67] Synthium, im Sept. 303.


Mein Leben ist still und einfach, und mag in den Augen der Welt wohl einförmig erscheinen, aber in seinem verborgenen Schooße liegt ein Reichthum von kleinen Begebenheiten, von reger Abwechselung für das Herz, die uns die Geschichte manches Tages merkwürdig und unvergeßlich macht.

Einen solchen Tag verschaffte uns neulich ein Besuch, den ich wahrlich nicht vermuthet, von dem ich mir das Angenehme nicht versprochen hätte, das er mir gewährte. Calpurnia war bei uns. Ich kann dir nicht beschreiben, wie seltsam mir zu Muthe war, als Agathokles in mein Zimmer trat, um sie mir anzukündigen. Ich fühlte, daß meine innere Bewegung sich in meinen Zügen malte; Agathokles bemerkte es wohl, und eine innige Umarmung sollte mich beruhigen. »Empfange sie gütig, meine Geliebte! Sie ist, trotz ihrer von uns verschiedenen Denkart, ein edles Mädchen.« Ich faßte mich schnell. Daß Agathokles es wünschte, war mir genug, und daß sie ihn geliebt, verloren, und an mich verloren hatte, stimmte mein Herz zu ihrem Vortheil. Ich fühlte, daß ich in einer Schuld gegen sie war, und daß ich ihr durch die größte Freundlichkeit und Zuvorkommung nur einen kleinen Theil derselben abtragen konnte. So empfing ich sie, und was ich um meiner selbst willen gewünscht hatte, gelang mir vollkommen. Sie ward mir gut. O gewiß, zwei Herzen, die sich so genau, so innig in ihrer Liebe für ein Drittes begegnen, denen ein gleiches Urbild von Liebenswürdigkeit vorschwebt, können unmöglich anders, als ähnlich fühlen.[68]

Wie ganz anders erschien sie mir nun damals, wie sie mich zum erstenmale sah! Noch war sie reizend im höchsten Grade, aber dieser Reiz hatte nicht mehr den Anstrich von Leichtsinn und Flatterhaftigkeit, der mich einst so empörte. Es war ein leichter Schleier von Ernst darüber gebreitet, und manchmal glaubte ich sogar ein Wölkchen der Wehmuth in ihren schönen Augen schwimmen zu sehen. Ach wenn ich dachte, diese sanfte Trauer könnte einem verlorenen Gute gelten, das ich ihr entrissen hatte, dann schwoll mein Herz von Mitleid, und ich hätte ihr um den Hals fallen, und das anmuthige Wesen um Vergebung bitten können.

Noch zwei Tage klangen die süßen Gefühle in uns nach, die Calpurniens und ihres Bruders, eines sehr edlen Jünglings, Umgang in uns geweckt hatte. Ich sah, daß Agathokles froher athmete, seit dem seinem Herzen die Versicherung ward, ein liebenswürdiges Wesen, das sich vielleicht von ihm gekränkt glauben konnte, habe diesen Wahn aufgegeben, und ihre Achtung sey ihm unverloren. Auch sein Vater fährt fort, ihn mit großer Güte und Liebe zu behandeln, er war schon zweimal bei uns, und es scheint, als ob die Natur mit ihren einfachen Freuden ihr unverjährbares Recht selbst über die allzuverfeinerten, von ihr entfremdeten Menschen ausübte. Er scheint, so wie Calpurnia, sich auf dem Lande zu gefallen; vielleicht ist es eben um der Neuheit der Gegenstände und des scharfen Contrastes willen.

Die größte, die reinste Freude war uns noch vorbehalten. Am schwersten unter allen ertrug Agathokles seine Trennung von Constantin. Ich sah deutlich, wie dieser Gedanke an seinem Herzen nagte, und seine stillsten,[69] süßesten Freuden störte. Seine Liebe hielt diese Spannung nicht mehr länger aus, er suchte einen Anlaß, den ersten Schritt zur Versöhnung thun zu können, so sehr auch das Recht auf seiner Seite war. Es fand sich keiner, und so that er ihn denn endlich unveranlaßt, weil er liebte. Er schrieb an den Fürsten, und ich konnte wohl bemerken, wie gespannt sein ganzes Wesen auf den Erfolg dieses Briefes war. Er hatte acht Tage festgesetzt, binnen welchen er die Antwort erwarten wollte. Am Abend des Zweiten gingen wir durch thauende Gefilde von einem Spaziergange in unser Haus zurück, als plötzlich aus dem nahen Gebüsch Constantin hervorstürzte, und heftig an Agathokles Brust sank. Fest, innig, als wollten sie sich für die Ewigkeit halten, umschlangen sich die beiden Freunde, kein Laut entweihte die stille Feier dieser Scene. Endlich richtete sich Constantin auf, er wollte Etwas von Verzeihung, von Entschuldigung sagen – Agathokles legte ihm den Finger auf den Mund. »Still davon, mein Getreuer! Laß uns das Vergangene völlig vergessen. Du liebst mich noch, du hast mich nicht aus deinem Herzen geschlossen – das ist Alles, was ich zu wissen brauche, um ganz glücklich zu seyn.« Sie umarmten sich von Neuem. Ich sah Thränen in Agathokles Augen, die untergehende Sonne hatte nie aus schöneren Tropfen wiedergestrahlt. Ich war tief bewegt, meine Hände falteten sich unwillkührlich, und ich bemerkte erst, daß ich in betender Stellung dagestanden hatte, als Agathokles zu mir trat, den Arm um mich schlang, und Constantin meine Hand mit herzlichem Drucke ergriff. In ihrer Mitte kehrte ich in die Villa zurück. Constantin blieb drei Tage bei uns, und[70] nie habe ich meinen Agathokles so glücklich gesehen, als in diesen drei Tagen. So wächst meine Zufriedenheit mit jedem Tage, und in frohen Ahnungen sieht mein Herz noch schönern Zeiten entgegen. Dich noch einmal zu sehen, ist jetzt der einzige heftige Wunsch meiner sonst stillen beglückten Brust, und wer weiß, ob es mir nicht moglich wird, in Gesellschaft meines Agathokles den nächsten Frühling in deine Arme zu eilen? Dann bin ich vollkommen glücklich.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 35, Stuttgart 1828, S. 67-71.
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