96. Constantin an Agathokles.

[33] Nikomedien, im März 305.


Nach einer sehr langsamen, und sehr unangenehmen Reise bin ich endlich vor einigen Wochen mit dem Augustus hier eingetroffen. Sein Zustand ist bedenklich, obwohl für den jetzigen Augenblick ohne Gefahr. Die Aerzte oder vielmehr sein Leibarzt, der durch sie spricht, derselbe, den ihm Galerius überlassen hat, erklären, daß nur Entfernung von allen Geschäften, wenigstens auf einige Zeit, nur vollkommene Ruhe seine ganz zerrüttete Gesundheit wieder herstellen kann. Ob sie in der Tiefe ihrer Kunst, oder in der Politik des Galerius diese Kunde geschöpft haben, entscheide ich nicht. Dieser, der[33] uns von Syrmium auf dem Fuße hierher gefolgt ist, um keinen Augenblick zu versäumen, und überall selbst gegenwärtig zu seyn, steigert seinen Ton und sein Betragen an Bestimmtheit und Hoheit mit jeder schlimmen Nachricht von des Augustus Befinden, und zwischen den Höfen von Nikomedien und Mailand waltet ein ununterbrochener Briefwechsel.

Nicht umsonst wird Salona, wie ich mich selbst überzeugt habe, mit kaiserlicher Pracht erbaut und eingerichtet. Es ist ein äußerst lieblicher Aufenthalt, reizend zwischen sanften Hügeln und dem Meer, in der schönsten Gegend von Dalmatien gelegen. Diocletian schien mit auffallender Vorliebe und allem Eifer, den ihm seine Schwachheit übrig ließ, die Vollendung dieses Baues zu betreiben, der so ganz das Gepräge einer stillen Freistatt nach den Stürmen und Mühseligkeiten eines thatenvollen Lebens trägt. Ich sehe im Geiste Alles vor, es ist, als ob eine geheime Stimme mir es zuflisterte. Freiwillig oder halbgezwungen, aus Philosophie, oder um das untergehende Gestirn dem bösen Einfluß des gewaltsam empordringenden zu entziehen, wird Diocletian die Zügel der Regierung niederlegen, Galerius – Augustus heißen, und wie Diocletian, Herr der Welt seyn wollen. Auch spricht man am Hofe und in der Stadt zu viel, zu allgemein, zu laut von dieser wahrscheinlichen Zukunft, als daß dies Gerücht blos der aufgetriebene Schaum des Müßigganges und der Langeweile seyn sollte, die schon so manches Gerede erzeugt haben. Heimliche Boten sind ausgesendet, um im Gespräch gleichsam zufällig die Nachricht zu verbreiten, und die Welt auf das seltsam wichtige Schauspiel vorzubereiten. Man erwartet das jüngst[34] kaum Geglaubte, das halb Unmögliche, fast schon als gewiß. Der Ehrgeiz, die Ruhmsucht, der Eigennutz in seinen innersten Tiefen durch neue Hoffnungen, Besorgnisse und Aussichten geweckt, kommt in gährende Bewegung, die Neugierde zermartert sich in Vermuthungen und Erwartungen, und der müßige Pöbel des Hofes und der Stadt sieht mit gespannter Aufmerksamkeit dem großen Ereigniß, wie einem interessanten Schauspiel, entgegen, von dem er sich Zerstreuung und Zeitkürzung erwartet. So stehen die Sachen hier. Seit dem diese Gerüchte anfangen laut zu werden, und vom Hofe aus ihnen Niemand widerspricht, handelt und befiehlt Galerius als Einer, der bald allein zu handeln und zu befehlen haben wird. Er möchte sich doch verrechnet haben. Der Titel eines morgenländischen Augustus enthält noch nicht den Titel des Herrschers der Welt, nicht jeder Augustus ist ein Diocletian, und gerechte Ansprüche zu sichern, und von ihnen geleitet und geschützt so weit zu gehen, als Sterblichen möglich ist, ist der hohe Beruf, den die Natur in manche Seelen legte, und den zu überhören, sie eben so unwürdig als unmöglich dünken würde.

Was mein Vater für mich im Stillen bereitet hat, was mir aus jenen Gegenden droht, und was ich dort durch seine und deine rastlose Sorge und Anstrengungen zu hoffen habe, habe ich theils durch deine geheimen Briefe, die mir der treue Vipsanius aus Laureacum brachte, theils durch die mündlichen Nachrichten erfahren, die mir die edle Valeria, als das letzte Vermächtniß ihres und meines sterbenden Freundes, mitgetheilt hat. Ich habe sie in Byzanz gesehen, und auf den ersten Blick die Landsmännin in ihr erkannt. Sol che schlanke weiße Gestalten,[35] so gelbes Haar, so dunkelblaue Augen erzeugt nur Britanniens lieblich düsterer Himmel. Sie ist sehr unglücklich. Eine ihrer ersten Bitten an mich, dem sie als einem Bruder sich mit schöner Zuversicht offen nahte, war, wenn sie stürbe, ihre Ueberreste nach Laureacum zu senden, und sie an unsers verehrten Lehrers Seite begraben zu lassen. Sie scheint nur Raum für diesen Gedanken zu haben, und in ihm allen Trost zu finden, dessen ihre Lage fähig ist. Schmerzlich hatte ihr Anblick, ihr Gespräch jene alten Wunden wieder in mir erneuert, ihr Umgang mich weich und wehmüthig gestimmt, und ich fand es bald nöthig, meine Einbildungskraft mit Gewalt von diesen Bildern abzuziehen, deren lähmende Wirkung ich mit Verdruß in meiner Empfindungs- und Handlungsweise empfand. Die hiesigen Angelegenheiten boten mir bald würdige Gegenstände, und Valeria, die ich übrigens so sehr achte, als es ihre Vorzüge und ihr Unglück verdienen, wird mich, wie ich hoffe, nicht verkennen, und nicht glauben, daß das Andenken unsers verklärten Freundes darum in meiner Seele schwächer fortlebt, weil ich selten und mit mehr Ruhe, als sie vermag, von ihm spreche.

So wie es scheint, haben ihr wirklich großer Reiz und ihre sanften Tugenden das Herz ihres Vaters ganz gewonnen; man sagt, er denke sie in seine Einsamkeit mit zu nehmen, und habe sie deßwegen schon vor einem halben Jahre zu sich kommen lassen, und als seine Tochter anerkannt. Ein neuer Beweis, daß der Plan, dem Throne zu entsagen, schon lange in seiner Seele gelegen, und er Alles geheim und langsam dazu vorbereitet hat. So handelt der kluge, der vorsichtige Mann, und gibt uns ein nachahmungswürdiges Beispiel. Auch wir sollen langsam[36] und geheim bereiten, was der entscheidende Augenblick plötzlich in seiner ganzen Größe und Vollendung der erstaunten Welt enthüllen muß. Hindernisse spornen den Eifer, und wichtige Gegner lehren uns unsre Blicke schärfen, und alle Kräfte anstrengen, in deren lebendiger Thätigkeit dem rüstigen starken Mann erst recht wohl wird. Galerius ist auch thätig, ich weiß es wohl, aber jeder Augenblick wird zeigen, wer sichere, und bessere Maaßregeln genommen hat.

Sende mir das nächste Mal Nachricht, wie es mit den Legionen steht, die mein Vater in Britannien bei sich hat. In Gallien sind mehrere Legionen, theils Römer, theils Eingeborne zerstreut, auf deren Treue ziemlich sicher zu zählen ist, und die sich, wenn es nöthig ist, leicht versammeln lassen. Es muß auf Alles gedacht, nichts dem Zufalle überlassen, und auf den schlimmsten Fall uns ein würdiger Rückzug gedeckt seyn, der keiner Flucht gleiche, und uns nur die Muße verschaffe, mit erneuerter Kraft einst wieder hervorzutreten. Auch in Italien habe ich meine Zeit nicht vergebens zugebracht. Unter Maximians Augen in seinen Provinzen wird, ohne daß er es ahnet, an dem Plane gearbeitet, dessen Vollendung den Erdkreis neu gestalten soll. Der römische Senat hat längst aufgehört zu seyn, in dem Sinne, in welchem ihn einst die versammelten Vater und der staunende Erdkreis kannten. Warum sollen wir aus altem Wahn, oder unzeitiger Schonung eine Form behalten, die längst nichts mehr als eine leere Hülle ist, aus der der Geist entfloh? Der römische Staat ist reif zur Wiedergeburt; so werde er wiedergeboren, und eine neue Aera1 beginne für die erneuerte Welt.[37]

Vor allen Dingen ist es nöthig, um jede Wurzel des Alten zu vertilgen, daß der Sitz des Reichs an eine neue Stelle komme. Dein Vorschlag wegen Byzanz scheint mir sehr klug und ausführbar. Ich habe an Ort und Stelle Alles überlegt und bedacht, was du mir früher schriebst. Wie gar kein anderer Punkt in der Welt eignet sich dieser zur Hauptstadt des Ganzen, hier, wo zwei Erdtheile einander berühren, und das freie Meer ein unmittelbares Verkehr mit dem Dritten eröffnet. Aber – Eine Hauptstadt – Ein Reich – Ein Herrscher – Ein Gott!

Ganz neu muß Alles werden, und von dem Alten auch keine Spur mehr übrig bleiben, die zur Vergleichung mit Ehemals oder zum Schlupfwinkel für Widerspenstige dienen könne. Erstaunt und betäubt sollen sie sich zuerst in der neuen Schöpfung umsehen, und dann, bis sie sich erholt haben, wird die neue Ordnung ihnen nicht mehr fremd seyn. Nur so kann man hoffen, den Keim alles alten Unglücks, das Schwankende der Verfassung, und die tausend Mißverhältnisse einer getheilten Gewalt zu heben.

Wenn dann die alte Regierungsform mit kühner Hand zerschlagen ist, folgen ihr die zertrümmerten Götzenbilder und Altäre, und ein neuer würdiger Cultus erhebe sich über der gereinigten Erde.

So steht das Bild vor mir, groß, erhaben, und alle Kräfte aufzubieten, die mir zu Gebote stehen, ist mir nicht allein Freude, ist, wie ich glaube, Pflicht, vom Schöpfer mir auferlegt, der mit diesen Kräften mir auch den Beruf zu diesem Werke gab. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Zeitrechnung.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 36, Stuttgart 1828, S. 33-38.
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