Gesang der Polen

[151] Bei dem Vernichtungsmanifeste des Selbstherrschers. Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor!


(3. Februar 1831.)


Mächtiger, der du als Empörer

Uns verdammst, und weit und breit

Würger sammelst und Zerstörer,

Heischend Unterwürfigkeit:

Deine heiligen Herrscherrechte,

Legst du nicht zuvor sie dar?

Sind wir wirklich deine Knechte,

Sind wir deine Sklaven, Zar?


Wähnst du so die Schuld zu sühnen,

Die an uns, o Autokrat,

An den, ach! vergeblich Kühnen

Jene Frau begangen hat?

Weil wir innern Streit gefristet,

Welcher stets Verderben kocht,

Hat ein Weib uns überlistet,

Hat ein Weib uns unterjocht.


Sendend ihre Mordgesellen,

Die geschlachtet Alt und Jung,

Ließ sie mit Geschütz umstellen

Unsre Reichsversammelung!

Schweigend saßen unsre Väter

In dem ringsbedrohten Haus:

Sei es früher, sei es später,

Rache sann sich jeder aus!


Brüder, kommt, es sei versammelt

Jedes Alter, jeder Stand,

Jeder, dessen Lippe stammelt[151]

Deinen Namen, Vaterland!

Sei's, daß unsres Rechts Verpöner

Tausend über Tausend wirbt:

Stirbt sich's nicht in Waffen schöner,

Als sich's auf der Folter stirbt?


Weil der Docht nicht ewig lodert,

Den ein Gott dem Menschen gab,

Weil ja Poniatowski modert,

Weil Kosciusko liegt im Grab,

Möchten wir, wie jene, trinken

Ruhm noch aus dem Kelch der Not:

Soll der Freiheit Sonne sinken,

Folgt ein langes Abendrot!


Deutsches Volk, das kalt und müßig

Unsern Untergang beschaut,

Mache deine Seele flüssig,

Deren Eis noch nie getaut!

Deines eignen Reichs Ruine

Stürzte bald dem unsern nach;

Eine künftige Katharine

Wird vollenden deine Schmach!


Sei dem Leben hold der Feige;

Aber wer den Tod begehrt,

Flicht mit Mut Zypressenzweige

Um das vaterländische Schwert.

Während unsre Feinde schießen,

Werden froh wir sein und frei;

Während unsre Wunden fließen,

Jubelt unser Schlachtgeschrei!


Aber als vor jenem Throne

Tiefgebückt wir uns gesträubt,

Stets belauert durch Spione,

Durch der Ketten Klang betäubt:

Da verzagten wir, es schmeckte

Bitter jeder Bissen Brot,

Mitten zwar im Frieden, weckte

Stets die Furcht uns vor dem Tod.
[152]

Könnt ein Autokrat vermuten,

Wie der Tod dem Helden lacht,

Der, fürs Vaterland zu bluten,

Wandelt durch die Männerschlacht;

Ach, er würde bald empfinden,

Wie vergeblich ein Tyrann

Strebt im Kampf zu überwinden,

Was er nie besiegen kann!


Mag zu Staub uns auch zerschmettern

Jener Sklaven Legion,

Unter morscher Särge Brettern

Keimt die neue Blume schon.

Wann das letzte Schwert zerbrochen,

Laßt zu Grab uns freudig gehn;

Aber einst aus unsern Knochen

Wird ein Rächer auferstehn!


Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 151-153.
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