23. Gesang der Toten

[58] Dich Wandersmann dort oben

Beneiden wir so sehr,

Du gehst von Luft umwoben,

Du hauchst im Äthermeer.


Wir sind zu Staub verwandelt

In dumpfer Grüfte Schoß:

O selig, wer noch wandelt,

Wie preisen wir sein Los!
[58]

Vom Sonnenstrahl umschwärmet,

Ergehst du dich im Licht,

Doch was die Flächen wärmet,

Die Tiefe wärmt es nicht.


Dir flimmert Gleich Gestirnen

Der Blumen bunter Glanz,

An unsern nackten Stirnen

Klebt ein verstäubter Kranz.


Wir horchen, ach! wir lauschen,

Wo nie ein Schall sich regt,

Dir klingt der Quell, es rauschen

Die Blätter sturmbewegt.


Vom Hügel aus die Lande

Vergnügt beschaust du dir,

Doch unter seinem Sande,

Du Guter, schlafen wir.


Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 58-59.
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