Zweites Kapitel.

[39] Einstmals hatte die Königin den ganzen Tag vergebens auf ihren kleinen Gesellschafter gewartet, als er plötzlich spät abends hereinstürzte, eine Rosenknospe in der Hand, die er, trotz seiner Eile, sehr sorfältig zu tragen schien. »Hier nehmt, schöne Frau,« sagte er, indem er ihr die Knospe überreichte, »bewahrt sie gut, gebt ihr täglich frisches Wasser, sie wird der Trost Eures Alters sein. Lebt wohl, meine Feinde verfolgen, laßt Euch ja die Rose nicht abnehmen. Wenn sie verwelkt ist, aber nicht eher, öffnet diesen Brief, den ich Euch hier gebe. Lebt wohl!«

Drauf stürzte er eilig fort und ließ die Prinzessin ganz erstaunt in ihrem Gemache zurück. Sie hielt die Knospe noch betrachtend in der Hand, als eine ganze Schar von Zwergen hereinkam, und einer fragte: »Habt Ihr nicht einen mißgestalteten Zwerg hier gesehen, der seit langem schon in diesem Walde herumspukt?« »Jetzt seh' ich ihrer wohl zwanzig«, antwortete die Königin, ganz entrüstet über die dreisten Figuren. »Ei seht doch,« sagte ein anderer, »da hält sie die Rosenknospe in der Hand, um derentwillen wir ausgeschickt sind. Gebt sie her, schöne Frau, es soll Euch kein Leids geschehen, es ist für unsere mächtige Gebieterin.« »Diese Rose ist aus meinem eignen Garten,« erwiderte Gyrmantis, »und ihr sollt sie nimmermehr erhalten. Was aber eure Gebieterin anbetrifft, so will ich nichts mit ihr zu schaffen haben.«

Da drangen die Zwerglein auf sie ein, um mit Gewalt zu nehmen, was sie nicht gutwillig lassen wollte; sie aber nahm ihren Fächer und schlug sie damit so derb auf die Köpfe, daß einer nach dem andern hinauswischte. Drauf schöpfte sie Wasser am Brünnlein in einen Kristallbecher und setzte die Knospe hinein, die nachgerade sich zu entfalten anfing.

Da trat eines Tages eine Alte herein, grüßte, und als[39] sie das halbgeöffnete Röslein sah, sagte sie: »O geht mir doch das prächtige Röslein dort im Winkel, meine Enkelin hält morgen Hochzeit, und da möcht' ich ihr doch eine Rose in den Kranz flechten. Sie sind in allen Gärten schon abgeblüht, dies ist die einzige. Wollt Ihr mir sie geben? Seht, diesen Beutel eitel Gold sollt Ihr dafür bekommen!« Die Königin aber ließ sie kaum gewähren und erwiderte: »Ihr macht es gar zu plump, Alte. Geht nur wieder, woher Ihr gekommen seid. Wenn aber Eure Enkelin ohne Rosen nicht kann Hochzeit machen, so soll sie warten bis ins nächste Frühjahr, wo's Rosen wieder die Hülle und die Fülle gibt.« Aus den Augen der Alten funkelte der Zorn, und scheltend verließ sie die Stube.

Quelle:
August Graf von Platens sämtliche Werke in zwölf Bänden. Band 11, Leipzig [1910], S. 39-40.
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