I.

[319] Die Sachsengänger waren an ihrem Bestimmungsorte eingetroffen. Leiterwagen vom Rittergute Welzleben hatten sie an der Station abgeholt und nach dem Vorwerke Kabeldamm gebracht. Hier waren sie vom Inspektor in ihre Kaserne angewiesen worden.

Am nächsten Morgen bereits ging's mit der Feldarbeit los.

Die Rüben waren eben erst aufgegangen; an ihnen gab es also noch keine Arbeit. Die Mädchen wurden daher mit Behacken des Wintergetreides beschäftigt, während die Männer bei der Frühjahrsbestellung zu helfen hatten.

Es waren völlig neue Verhältnisse hier im Westen, in welche diese Ostländer ganz unvermittelt versetzt wurden. Weit und breit fruchttragende ebene Fluren. Feld an Feld, Schlag an Schlag, die das Auge kaum zu übersehen vermochte, durchquert von geradlinigen Kunststraßen und Obstalleen. Jede Handbreit Land war hier ausgenutzt. So kostbar schien dieser Boden, daß man keinem wilden Baum, keinem Strauch in der Feldmark das Leben gönnte. Nirgends fiel der Blick auf Unkraut. Sorgfältig waren die Steine aus dem Acker entfernt. Am Horizonte fehlte der Kiefernbusch,[319] der im Osten fast überall das landschaftliche Bild einrahmt. Kein Wald, kein Gebüsch, keine Hutung zu erblicken. Wenig Wiese; die Ackerscholle beherrschte hier alles. An Stelle des buntscheckigen Planes von winzigen Fleckchen und Streifchen, wie es die Sachsengänger von ihrer Heimat her gewöhnt waren, breitete sich hier das Zuckerrübenfeld mit den endlosen Reihen der gedrillten Rübenpflänzchen; giftgrüne Streifen auf dunkelbraunem Untergrunde.

Und nun erst die Bestellung! Spatenarbeit kannte man hier nicht, der Handpflug war an vielen Stellen vom Dampfpfluge verdrängt. Das Getreide wurde mit der Dampfmaschine ausgedroschen, die Saaten mit der Drillmaschine bestellt. Und in der Wirtschaft war auch alles nach neuestem Zuschnitt. Das Rindvieh bekam Rübenschnitzel als Futter. Trotz der vielen Kühe und großartigen Stätte war die Milchwirtschaft doch nur unbedeutend. Das Vieh kam von auswärts in großen Transporten herein und stand nur zur Mast da. Kälber wurden nicht angebunden. Nur des Düngers wegen schien man Rindvieh zu halten.

Und die Dörfer! Da kam man sich vor wie in der Stadt. Die Häuser eng beieinander, den Nachbarn gleichend wie ein Ei dem anderen, weißgetüncht, kahl, mit Ziegeln abgedeckt. Kein Fachwerk, keine Holzgalerie, kein Strohdach. Hin und wieder war ein mal der Ansatz zu einem Gärtchen zu erblicken, hinter steifem Staketenzaune. Der Grasgarten, die Obstbäume, die der ärmste Häusler des Ostens gern um sein Anwesen hat, fehlten ganz. Und wo waren die Düngerstätten, das Göpelwerk, der Taubenschlag, die Entenpfütze? Diese Menschen hier nannten keine Kuh, kein Schwein, kein Federvieh ihr eigen.[320]

Dabei schien es hier eigentliche Armut nicht zu geben. Die Leute ließen sich nichts abgehen. Sie gingen einher in städtischer Kleidung. Bloße Waden gab's hier freilich nicht zu sehen; selbst die Kinder liefen nicht barfuß.

Die wenigen Bauern waren große Herren. Sie ritten und fuhren einher wie die Rittergutsbesitzer, wohnten in großen stattlichen Häusern und schickten ihre Kinder in die Stadt zur Schule. Wenn sie untereinander waren, redeten sie sich mit »Sie« an, und an einem Tische mit seinem Gesinde wollte von diesen großen Herren auch keiner mehr zum Essen niedersitzen.

Da es keine Berge hierzulande gab, die Bäume in der Landschaft selten und die Kirchtürme klein und unansehnlich waren, so hätte es eigentlich nichts in die Augen Fallendes gegeben, wären nicht die Essen gewesen, die sich allerorten neugierig und gleichsam waghalsig emporreckten. Hier eine von einer Zuckerfabrik, dort von einer Ziegelei oder Brennerei.

Auch auf dem Vorwerke Habeldamm gab es solch eine Esse, die zur Brennerei gehörte. Der Wirtschaftshof wurde von lauter neuen einstöckigen Gebäuden gebildet. Wie auf dem Präsentierbrett lag das ganze da, mit seinen blitzblanken, gekalkten Wänden, hellroten Ziegeldächern, mitten in den grünen Rübenfeldern, die sich bis dicht an die Gebäude zogen. Eine Feldbahn verband das Vorwerk mit dem Hauptgute Welzleben. Eine größere Bahn ging in weiter Kurve über andere Rübengüter nach der Zuckerfabrik. Diese Fabrik war, ein Aktienunternehmen der umliegenden Grundbesitzer.

Etwas abseits vom eigentlichen Wirtschaftshofe lag die Wohnung der Wanderarbeiter, die »Kaserne« wie sie kurzweg bezeichnet wurde. Es war ein mäßig großes,[321] einstöckiges Haus, »genau nach der polizeilichen Vorschrift erbaut«, wie der Inspektor nicht zu bemerken verfehlte, als er Gustav mit seinen Leuten einwies. Zu ebener Erde befanden sich zwei saalartige Räume, der größere für die Mädchen zum Wohnen und Speisen, der andere für die Männer bestimmt, ferner eine Küche mit neumodischem Herd und eine Wasch- und Spüleinrichtung. Im ersten Stock waren die Schlafräume untergebracht, die Mädchenkammer getrennt von der der Männer durch die Wohnung des »Aufsehers« wie Gustav jetzt tituliert wurde.

Der Inspektor, ein jüngerer Herr, dessen Schnurrbart und schneidiger Ton keinen Zweifel darüber auf kommen ließ, daß er Reserveoffizier sei, führte Gustav in sämtlichen Räumen umher, übergab ihm den Hauptschlüssel und machte den Aufseher darauf aufmerksam, daß man sich von seiten der Gutsverwaltung für jede »Schweinerei«, die hier etwa vorkommen würde, an ihn halten werde.

Gustav fand die Einrichtung, in der sie fortan hausen sollten, weit besser, als er's erwartet hatte. Die kasernenartige Einteilung des Hauses heimelte ihn wie eine Erinnerung an die Soldatenzeit an. Pauline hätte sich freilich mehr Traulichkeit gewünscht in ihrer Stube, die außer Bett, Schrank, Tisch und Stühlen nichts enthielt. Aber man mußte schließlich froh sein! Hatte man doch ein Dach über sich und eine Diele unter den Füßen. –

Mit dem Küchenherde konnte sie auch zufrieden sein. Gut, daß ihr die neumodischen Kochvorrichtungen vom Rittergute daheim einigermaßen bekannt waren. Der Inspektor hatte sie darauf hingewiesen, daß hier das zukünftige Feld ihrer Tätigkeit sein werde. Die[322] Kartoffeln werde sie wöchentlich zugemessen erhalten für die »ganze Gesellschaft«. Was sie damit anfange, sei ihre Sache. »Darum können wir uns nicht auch noch scheren; da hätten wir viel zu tun!« hieß es in kurzer, schneidiger Ansprache.

Von den Arbeitern fanden sich nicht alle sofort in die neuen Verhältnisse.

Der Pole Rogalla räsonierte laut, allerdings auf polnisch, was niemandem etwas tat, weil niemand es verstand. Bedenklicher war, daß er sich weigerte, in dem gemeinsamen Männerschlafsaale zu übernachten. Häschke sprach die Vermutung aus, daß dem Polacken die gewohnte »Bucht mit den Reichskäfern« fehle. Gustav redete ein Wörtlein deutsch mit dem Polen. Rogalla suchte daraufhin zwar die gemeinsame Bettstatt auf, in der Nacht aber stahl er sich hinweg. Er mußte irgendwo eine seinem Geschmacke mehr zusagende Schlafstätte ausfindig gemacht haben.

Auch einige von den Mädchen stellten sich äußerst gefährlich an. Vor allem ein Schwesternpaar Helfner. Sie stammten aus dem Armenhause. Helfners waren eine berüchtigte Familie in Halbenau. Gustav hatte sich daher längere Zeit bedacht, ob er das Schwesternpaar mitnehmen solle. Aber sie hatten die heiligsten Versprechungen gegeben, sich gut aufführen zu wollen. Jetzt fanden sie alles schlecht: die Wohnung, das Essen. Die Arbeit war ihnen zuviel. Als Gustav sie etwas scharf 'rannahm, verschwanden sie in eine Kammer und schlössen die Tür hinter sich zu. Da blieben sie und kamen nicht zur Arbeit. Gustav war ratlos. Männer zu kommandieren, das hatte er als Unteroffizier gelernt, aber mit widerspenstigen Frauenzimmern fertig werden, das war noch ein ander Ding. Pauline konnte ihm dabei nicht[323] helfen, sie war zu weich, um ihresgleichen zu beherrschen.

Da fand der Aufseher unerwartete Hilfe und Unterstützung in seiner kleinen Schwester. Schon auf der Reise hatte es sich gezeigt, daß Ernestine unter den Mädchen die Führerrolle an sich gerissen habe, obgleich sie eine der jüngsten war. Die anderen, unter denen manches bärenstarke Frauenzimmer sich befand, beugten sich doch der Energie und Klugheit dieser kleinen Person. Jetzt war Ernestine die einzige, die sich Eingang zu dem aufsässigen Schwesternpaare zu verschaffen wußte, ja, die Helfners schließlich dazu bewog, die Arbeit aufzunehmen.

Eine äußerst brauchbare Zugabe für den Aufseher bildete auch Häschke. Das war ein hartgesottener Sünder, der schon durch manches enge Loch in seinem Leben hindurchgekrochen sein mochte, der mit allen Hunden gehetzt war. So einen konnte man hier gegebrauchen. Dabei war Häschkekarl ein grundgutmütiger Geselle und seinesgleichen gegenüber stets zur Hilfe bereit. Aber Häschkes freundschaftliche Gesinnung verwandelte sich sofort ins Gegenteil, wenn er es mit einem Höhergestellten zu tun hatte. Da wurde aus diesem lustigen Bruder ein mißtrauisch hämischer Geselle.

Auf den Inspektor hatte Häschkekarl sofort seinen ganzen Haß geworfen. Er lag Gustav in den Ohren, daß er sich von dem »Affen« ja nichts gefallen lasse. »Der großschnäuzige Kerl« werde sie noch lange nicht »dumm machen«.

Sehr schnell hatte es Häschke hingegen verstanden, sich drüben im Vorwerk beim Gesinde gute Freunde zu machen. Von dort brachte er allerhand interessante Nachrichten mit: Herr Hallstädt, der Besitzer von Welzleben,[324] sei mehrfacher Millionär. Sein Vermögen habe er durch Rübenwirtschaft und Zuckerfabrikation gemacht. Er selbst sei ein Geizhalz, aber seine Söhne, die Offiziere waren, sorgten dafür, daß das Geld ihres Alten unter die Leute komme. –

Auch über den Herrn Inspektor wußte Häschkekarl allerhand zu berichten. Den Knechten gegenüber sei der ein Wüterich, gegen die Mägde hingegen oftmals nur allzu freundlich. Im vorigen Jahre sei der Mann aber mal an den Richtigen gekommen. Ein Knecht, der nicht mit sich hatte spaßen lassen, habe hinter dem Pferdestalle eine Unterredung unter vier Augen mit dem Inspektor gehabt. Danach hätte der junge Herr acht Tage lang das Zimmer gehütet, während der Knecht auf Nimmerwiedersehen vom Hofe verschwunden sei. Die Großmagd aber, die den Inspektor gepflegt, habe ganz eigenartige Dinge über den Körperzustand des Kranken zu berichten gehabt.

Die Wanderarbeiter kamen übrigens nur wenig mit dem Beamten in Berührung, mit Ausnahme von Gustav, der sich täglich bei ihm den Dienst zu holen hatte. Die Arbeiten wurden meist in Akkord gegeben. Der Stücklohn spornte selbst die Trägeren an, soviel wie möglich zu leisten. Besonders die Mädchen waren groß in ihrer Emsigkeit. Selbst das Schwesternpaar Helfner wußten die Mitarbeiterinnen, welche aus der Trägheit einzelner Mitglieder keine Einbuße erleiden wollten, zur Tätigkeit anzuhalten. Von den Männern drückte sich nur der Pole Rogalla soviel wie möglich um die Arbeit herum.

Eines Tages kam ein offener Wagen von Welzleben her auf das Vorwerk zu gefahren. Das sei Herr Hallstädt, hieß es. Gustav gab gerade mit seinen Leuten[325] auf einem großen Rübenschlage den jungen Pflanzen die erste Hacke. Herr Hallstädt ließ auf dem Wege halten und betrachtete sich das Arbeiten eine Weile. Soviel man auf die Entfernung erkennen konnte, war er ein älterer Herr mit grauem Backenbart, der eine Brille trug. Das war also der reiche Herr Hallstädt-Welzleben, ihr Brotherr!

Gustav erwartete bestimmt, der Herr werde ihn rufen lassen oder werde selbst zu ihm und den Leuten herankommen. Sie standen doch bei ihm in Brot und Arbeit, sie bestellten doch seinen Grund und Boden. Auf sein Geheiß waren sie so viele Meilen weit hierher gekommen. –

Aber Herr Hallstädt-Welzleben ließ nach einer Weile weiterfahren, ohne Gruß, ohne ein Wort mit seinen Arbeitern gewechselt zu haben.

Häschkekarl spuckte aus. Das war Wasser auf seine Mühle. Die Großen taugten alle nichts; überall war es dieselbe Geschichte! Und Gustav mußte an die Worte des Agenten Zittwitz denken: »Der eine gibt die Goldstücke, der andere seine Kräfte. Das ist ein Geschäft, klar und einfach. Alles wird auf Geld zurückgeführt. Das nennt man das moderne Wirtschaftssystem.« So ungefähr hatte der sich geäußert, und er schien recht behalten zu sollen.

Jeden Sonnabend erhielt Gustav den Lohn für die Arbeit der Woche ausgezahlt. Ein Bruchteil des Geldes wurde zurückgehalten als Deckung für den Fall, daß ein Arbeiter den Dienst vorzeitig verließ. Auch Strafgelder waren vorgesehen, und im Kontrakte fehlte die Klausel nicht, daß jeder Arbeiter ohne weiteres entlassen werden könne, ohne Anspruch auf Lohn, falls er sich den Anordnungen des Arbeitgebers und seiner Beamten nicht[326] füge. Kurz, man war, wie Häschke sich ausdrückte, »in seinem Felle lebendig verkauft«.

Mit der Ernährung der Leute gab es im Anfange Schwierigkeiten. Die Feuerung war frei, Kartoffeln lieferte das Gut. Um alles übrige sollten sich die Wanderarbeiter selbst kümmern. Auf dem Vorwerke war ein Wächter angestellt, der gleichzeitig Kramhandel betrieb. Von diesem Manne hätten die fremden Arbeiter von jeher genommen, hieß es. Die Waren dieses Kleinhändlers waren schlecht, seine Preise aber um so höher. Der Mann wußte nur zu gut, daß er weit und breit keinen Konkurrenten hatte. Auf diese Weise gingen die Sparpfennige der Sachsengänger für Nahrungsmittel drauf. Gustav sah das voll Verdruß, aber was wollte man denn machen!

Da war es Häschkekarl, der Vielerfahrene, welcher Rat zu schaffen wußte. Eines Nachmittags bat er sich ein paar Stunden Urlaub aus, borgte etwas Geld von Gustav und erklärte, er wolle sich mal ein bißchen in der Gegend umsehen. Spät Abend erschien er wieder in der Kaserne, einen vollgepackten Sack auf dem Rücken schleppend.

Er hatte Einkäufe gemacht. Nun legte er eine Vorratskammer an und verkaufte den Arbeitsgenossen die Waren zum Einkaufspreise. Für seine Mühe nahm er keinen Verdienst; er erklärte, der Ärger jenes gaunerischen Krämers sei ihm Lohnes genug.

Das Kochen besorgte Pauline, die nicht mit aufs Feld ging. Sie hatte Arbeit genug. Den Jungen, der jetzt ins dritte Jahr ging und schon ganz hübsch laufen konnte, hatte sie stets um sich. Das Kind mußte ihr viel ersetzen.

Die junge Frau sah trübe Tage. Ein wirkliches[327] Heim fehlte ihr. Die Arbeit zwar war nicht schlimm, daran war sie gewohnt; aber das Zusammenleben mit so vielen Fremden störte das Glück der jungen Ehe. Von Gustav hatte sie so gut wie nichts. Früh um vier Uhr stand er auf und trieb die Leute hinaus. Den Tag über war man getrennt, er auf dem Felde, sie in der Kaserne. Oftmals kamen sie nicht einmal zum Mittagessen herein, ließen sich's hinaustragen aufs Feld. Abends kam er dann nach Haus, abgehetzt, sorgenvoll, mürrisch. Frau und Kind sah er nicht an, riß sich die Kleider vom Leibe, warf sich ins Bett und schlief wie ein Toter. Es gab Tage, wo man kaum ein Wort miteinander wechselte.

Ganz anders hatte sie sich das Leben an seiner Seite gedacht in der Ehe. Denn wenn sie auch vorher einander nicht fremd gewesen waren, so legte Pauline als echtes Landkind, am Althergebrachten, Frommen und Ehrwürdigen festhaltend, der kirchlichen Trauung doch noch ganz besondere Wirkungen bei. Das Ehegelübde vor dem Altare, meinte sie, mache den begangenen Fehltritt gut, beglaubige ihren Bund, trage die Gewähr eines ganz besonderen Segens in sich. Nun durften sie sich mit gutem Gewissen lieb haben; während der Genuß bisher, so süß er auch gewesen, doch immer den Nachgeschmack eines Vorwurfs gehabt hatte.

In diesen Erwartungen schien sich die gute Seele getäuscht zu haben. Gustav war ihr fremder geworden, als er ihr zuvor gewesen. Wann wäre es früher jemals vorgekommen, daß er für ihre liebevolle Annäherung nur eine kurze unfreundliche Abfertigung gehabt hätte!

Sie weinte oft heimlich, auch zur Nachtzeit, wenn[328] er mit einer selbst noch im Schlafe düster verdrossenen Miene in seinem Bette lag. Zu wecken wagte sie ihn nicht. Durch ihren Kummer wäre sie ihm nur lästig gefallen. Er war ja selbst nicht glücklich. Daß er so häßlich gegen sie war, kam nur davon her, daß er so viel Sorgen hatte. Ihm zuliebe wollte sie ja alles ertragen, selbst die Entfremdung von ihm.

Pauline verschloß ihren Kummer ganz in sich, versteckte ihre Tränen vor ihm und war darauf bedacht, ihm nur ein lächelndes Angesicht zu zeigen. Aber er, in jenem Egoismus, den die Vielgeschäftigkeit und Arbeitsüberbürdung großzieht, sah weder ihr Lächeln noch die Tränen, die darunter verborgen waren.

Sie sorgte dafür, daß er alles so gut finden möchte, wie sie es herzurichten imstande war: das Bett, die Kleider, das Essen. All ihre große zurückgewiesene Frauenliebe wandte sie, in Ermangelung eines besseren, den Dingen zu, die ihn umgaben.

So vergingen die ersten Wochen in der Fremde.

Eines Tages gab es eine unangenehme Überraschung für den Aufseher: Rogalla, der Pole, war verschwunden. Seinen Arbeitsgenossen fehlten verschiedene Kleidungsstücke, und Häschke machte die Entdeckung, daß seine Vorratskammer um eine Wurst und zwei Speckseiten ärmer war.

Wo mochte der Vogel hin sein? Das Gerücht behauptete, er habe auf einem anderen Rübengute, wo nur polnische Arbeiter in Sold waren, Arbeit angenommen. Man stellte keine Nachforschungen nach ihm an, denn er war ein liederlicher, lästiger und fauler Bursche gewesen. Mochte er bei seinesgleichen bleiben!

Quelle:
Wilhelm von Polenz: Der Büttnerbauer. In: Gesammelte Werke von Wilhelm von Polenz, Band 1, Berlin 1[o.J.], S. 319-329.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Büttnerbauer
Der Büttnerbauer.Roman
Der Büttnerbauer
Der Büttnerbauer
Der Büttnerbauer
Der Büttnerbauer

Buchempfehlung

Aristoteles

Physik

Physik

Der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Prinzipiellen zum Indiviudellen ist der Kern der naturphilosophischen Lehrschrift über die Grundlagen unserer Begrifflichkeit von Raum, Zeit, Bewegung und Ursache. »Nennen doch die Kinder zunächst alle Männer Vater und alle Frauen Mutter und lernen erst später zu unterscheiden.«

158 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon