II.

[105] Im Hibichenstein wohnten Zwerge, die sollen im Grunde mitunter den Leuten die Kinder gewartet haben. Ihr König ist der Hibich gewesen, ein alter Mann mit rauhem Haar, wie ein Bär, einem sehr alten Gesichte und von kleiner Statur. Er hat einen eisgrauen Bart gehabt, der ist ihm bis auf die Brust gegangen und darin hat eine zauberische Kraft gesteckt. In der Hand hat er ein silbernes Grubenlicht getragen, das hat so hell geschienen wie die Sonne, und auf dem Haupte eine goldene Krone. So klein er gewesen ist, konnte er sich doch sehr ausrecken. Früher hat er, wie einige sagen, alle fünfhundert Jahre einmal auf die Oberwelt kommen dürfen; jetzt nicht mehr. Der Zwergkönig Hibich hat die Waldungen beschützet und spielte den Leuten, die in der Waldung Schaden anrichteten, oft einen Possen. Er zeigte sich aber auch wohlthätig gegen arme und hilflose Menschen, die in den Wald kamen und ihm treuherzig ihre Not klagten. So ging einstmals eine Bergmannsfrau aus Grund in den Wald, deren Mann schon lange hatte krank gelegen, sie wollte Tannenzapfen suchen und dafür sollte ihr der Bäcker Brot geben. Wie sie nun im Walde war, kam der alte Hibich und fragte: was sie hier suche, da erzählte sie ihm alles und der Zwergkönig gab ihr ein Kraut und sagte, davon würde ihr Mann genesen. Auch bezeichnete er ihr eine Stelle im Tannenwalde, da würde sie Tannäpfel finden, und dahin begab sich die Bergmannsfrau, fand aber anfangs keine. Da fing es plötzlich an zu werfen, wie von den Bäumen herunter, mit lauter Tannäpfel.[105] Die Frau aber ward von keinem getroffen, sondern alle flogen an ihrem Kopfe vorbei in die Kiepe. Das waren die Zwerge, die haben schon Ordre gehabt vom Zwergkönig Hibich und haben der Frau aus der jungen Grüne, worin sie versteckt waren, die Tannäpfel zugeworfen. Als die Kiepe voll war und die Frau sie aufhob, dünkte sie sogleich ihr etwas schwerer, als sonst eine Kiepe voll Tannäpfel ist. Da sie wieder an die Stelle kam, wo sie den Zwergkönig Hibich getroffen hatte, kam der wieder und fragte, ob sie Tannäpfel gefunden habe. Da sagte sie, was ihr begegnet war und da offenbarte es ihr der alte Hibich, daß das seine Zwerge gewesen seien, fügte auch hinzu, das wären silberne Tannzapfen, davon solle sie nehmen so viel, daß sie mit ihrem Manne und ihren Kindern genug hätte, von dem übrigen Silber solle sie die Kirche zu Grund neu bauen lassen, riet ihr auch noch, des Krautes nicht zu vergessen, das er ihr für ihren Mann gegeben. Wie nun die Frau nach Hause kam, da waren die Tannäpfel nichts als gediegenes Silber, von derselben Art, von dem die alten Harzgulden gepräget wurden. Und damals hatten Gold und Silber noch einen viel höhern Wert als jetzt und von dem Silber, was die Frau in ihrer Kiepe getragen hatte, ist richtig die Kirche zu Grund gebauet und von dem, was sie für sich behielt, kamen noch große Reichtümer in die Familie des kranken Bergmanns. Der aber wurde von dem Kraute, das der alte Hibich seiner Frau im Walde gegeben hatte, von Stunde an so gesund wie ein Fisch.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 105-106.
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