Nr. 61. Bericht vom heiligen Blute zu Wasserleben.

[35] Es haben im Dorfe Wasserleben zwei Schwestern gewohnet, die eine reich, die andere arm, die arme hieß Armgart, selbige[35] fragte ihre Schwester, wie es doch kommen möchte, daß, obgleich sie sich es schon sauer werden ließe, sie dennoch immer sehr arm bliebe, sie aber hingegen reich würde, und doch nicht halb so sehr arbeitete; worauf die reiche geantwortet und gesagt, sie hätte unsern Herrn Gott im Kasten. Wie nun diese Armgart am heiligen Ostertage zum Sakrament gegangen und die Hostie in ein rein Tüchlein ausgespeiet mit sich nach Hause genommen, und in selbigem Tüchlein in ein klein Schränklein gethan und in einen großen Kasten verschlossen, hernachmals aber zu einer Zeit darnach sehen wollen, hat sie die Hostie mit dem Tüchlein ganz blutig befunden und sich dafür entsetzet, es aber ihrem Manne gezeiget, der sich denn noch mehr darüber erschreckt, es auch sofort dem Pfarrherrn geklagt, welcher sich nicht wenig mit Schrecken darüber verwundert und vorher benamten Bischofe Friederico hinterbracht; worauf derselbe mit aller seiner Geistlichkeit in einer großen Prozession nach Wasserleben kommen, Gott zu Lob und Ehren allerhand geistliche Lobgesänge, unter an deren auch sonderlich dieses gesungen: Christe, du bist mild und gut, hilf uns durch dein heilig Blut, durch deine heiligen fünf Wunden, daß wir im rechten Glauben stets werden empfunden. Kyrie, Eleison. Und wie die ersten zu Wasserleben einkamen, waren die letzten noch zu Halberstadt im Tum. Als nun der Bischof Friedrich das wunderbarliche Sakrament mit dem blutigen Tüchlein in aller Ehrerbietung und mit gebogenen Knieen empfing, legte er es in einen silbernen vergoldeten Kelch und wollte solches mit der Prozession nach Halberstadt in den Tum tragen; wie er aber zu Heudeber in die Kirche kommt, daselbst man etliche Lobgesänge gesungen, und den Kelch vom Altar wieder aufnehmen und nach Halberstadt tragen wollte, hat das heilige Blut im Kelche angefangen zu quellen, als wollte es gar übergehen, worüber der Bischof und seine Klerisei samt dem Volke sehr erschrocken, und vermahnete sie alle mit Thränen, Gott um seine Gnade zu bitten, und daß er ihnen hierinnen seinen Willen offenbaren wollte, wie sie sich in diesem großen Mirakel und Wunderwerke verhalten sollten, damit sie selbigem recht nachkommen möchten. Da nun solches geschehen, sprach der weise Meister Johannes Semeca Tum-Propst zu dem Bischof: Lieber Vater, es dünket mich billig[36] zu sein, daß dies Wunderblut an dieser Stätte bleibe, da Gott also seine Wunder gezeiget und erwiesen hat zu seinem ewigen Gedächtnis. Ließen es also dar, und ward hernach solche große Wallfahrt und Zulauf des Volkes aus allen Landen, daß daselbst geopfert wurden sechs Himten Pfennige, wovon der Bischof das Jungfrauen-Kloster zu Wasserleben zu bauen angefangen, welches nach dessen Tode vom Bischofe Ludolpho größer gemacht und vollends ausgebauet worden. Es mißfiel aber Johanni Semecae dieser Konkurs des gemeinen Volkes allezeit, und hätte ihn gerne gestillet, darum mußte noch ein Priester die blutige Hostie sumieren, den Kelch aber ließ er im angefangenen neuen Tum zu Halberstadt in einen Pfeiler vermauern und sprach: es ist der Leichnam und das Blut Christi uns zu einem anderen Gebrauche verordnet und eingesetzet. Das blutige Tuch aber blieb zu Heudeber und Wasserleben vor Heiligtum, doch kriegten die Braunschweigischen Herren auf dem Grubenhagen etwas davon, welches sie nach Eimbeck in St. Alexanders Münster brachten, und allda in großen Ehren hielten, in einer sonderlichen Kapelle.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 35-37.
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