146. Der Mönchsbrunnen.

[56] Als das Kloster Himmelpforte bei Wernigerode zerstört war und die Mönche flüchtig wurden, nahm vorher der Mönch Waldamus die heiligen Geräthe und viele andere Kostbarkeiten aus dem Kloster und floh damit, nicht wie die andern Mönche dem Brocken zu, wo diese auf der Mönchen-Lagerstätte zuerst Halt machten und sich von dort nach einigen Tagen vereinzelt trennten, sondern er nahm seinen Weg über Hasserode durch's Papenthal nach dem Markquardtsberge. Ganz erschöpft und entkräftet legte er sich hier zwischen zwei mit Moos überwachsenen Klippen nieder und schlief ein. Beim Erwachen fand er sich in einer geräumigen Höhle, auf deren Eingange er eingeschlafen und wo er versunken war. Diese Höhle war aber der Aufenthaltsort einer alten Hexe, die unter dem Namen Großmeime bekannt war. Hier verbarg er seine Schätze in einer Felsenspalte und legte einen großen Stein[56] darauf. Endlich wagte er sich, um mit Beeren seinen Hunger zu stillen, aus der Höhle und verdeckte den Ausgang sorgfältig mit Moos. Nicht weit von der Höhle, nach Wernigerode zu, traf er eine holde Jungfrau, ebenfalls mit Beerensammeln beschäftigt. Auf sein Befragen: Wer bist du, und wie heißt du? antwortete das holde Mädchen: Ich bin die Tochter des Pfarrers zu U.L. Frauen in Wernigerode, und man nennt mich Papen-Annecke. O, du unglückseliges Kind, entgegnete der Mönch, dann bist du zu allem Guten unfähig und die Hölle ist dein Loos. Annecke erwiederte: »Verdammet nicht, so werdet ihr auch nicht verdammet; ich hoffe, aus Gnaden selig zu werden. Was aber das Gutesthun betrifft, so hoffe ich mit Gottes Beistand selbst den Feinden wohlthun zu können.« So wärest du wohl gar im Stande, mir Gutes zu erweisen? fragte weiter der Mönch. Wohlan, so bringe mir täglich auf den kleinen Berg, der hier vor uns liegt, drei Eier, etwas Mehl und ein wenig Butter, davon ich mir ein Mahl bereiten und meinen Hunger stillen kann, sage aber Niemandem etwas davon; wenn du dies thust, so werde ich dich nicht mehr für eine verlorne und verdammte Ketzerin halten. Jeden Tag nun brachte Annecke diese verlangten Lebensmittel und legte sie oben auf dem Kopfe des kleinen Berges in einem irdenen Teller nieder. Der Mönch holte sie dann zwischen 11 und 12 Uhr Nachts ab, legte aber allemal ein Goldstück auf die Stelle. So vergingen mehrere Monate und Niemand hatte von dieser Geschichte etwas erfahren, bis es endlich Anneckens Bräutigam auffiel, daß sie täglich so allein, selbst bei schlechtem Wetter spazieren ging. Er drang hart in sie, und sie sollte gestehen, wohin und zu welchem Zwecke sie heimlich und allein ihren Spaziergang mache. Endlich gestand sie und erzählte alles, was sie von dem Mönch wußte, bat aber den Bräutigam, dem Pater nichts Leides zu thun. Den Abend ging der Bräutigam heimlich nach dem kleinen Berge. Als die Glocke auf dem Burgthurme 11 schlug, kam der Mönch an; da er nichts fand und eben deshalb wieder fortgehen wollte, rief ihm Anneckens Bräutigam entgegen: Räuber und Verführer werden todt und lebendig hier auf dieser Welt keine Ruhe finden! – Und die Unbarmherzigen werden wachsen, aber nicht gedeihen! erwiederte der Mönch und entfernte sich. In seine Höhle zurückgekehrt sah er zum erstenmale die[57] Bewohnerin derselben: eine grauenhafte Frauengestalt mit großen feurigen Augen; die Nase – ein großer langer Rabenschnabel; die Füße – Katzenkrallen; die Ohren lang und mit Federn, wie die Gösseln (jungen Gänse) haben, bewachsen. Wie kannst du es wagen, meine Behausung zu betreten? dafür sollst du schwer büßen! krächzte sie ihm entgegen. Habt Erbarmen, Mütterchen, mit einem Flüchtling, mit einem hungrigen Bettler, dem die letzte Hoffnung genommen ist, bat der furchtsame Mönch. Es sei dir gewährt, sagte die Alte, wenn du hier unten im Thale den Armen ihr Brot nimmst und die Reichen verwünschest und verfluchst, wozu ich dir die Kraft geben werde. Der Mönch versprachs und ging nun alle Morgen zur Gleie, welche dicht an der Höhle vorbeizog, zum Zwölfmorgenthal hinunter, setzte sich im Sommer um 4 Uhr, im Winter um 6 Morgens an einen kleinen Brunnen, der mitten im Thale lag, wo er wußte, daß die armen Leute, welche ins Holz gingen, zu ihrem Stück eitel Brot einen Trunk Wasser thaten. Statt aber den armen Leuten ihr Brot gewaltsam wegzunehmen, bat er sie um die Hälfte. Wer nun gern und willig mit ihm theilte, dem gab er einen Edelstein oder ein Stück Gold dafür. Als dies unter den armen Leuten bekannt wurde, kamen alle Morgen so viel durch das Thal, daß er das Brot nicht forttragen und nicht verzehren konnte. Er beschloß daher, nur Dienstags und Freitags am Brunnen sich sehen zu lassen. Bald nachher kamen an den übrigen Tagen keine Holzgänger mehr durch das Thal; Dienstags und Freitags aber desto mehr. Hiervon hatten auch Papen-Annecke und ihr Mann gehört und nahmen sich vor, gleich am nächsten Dienstag hinzugehen und jeder ein ganzes Brot mitzunehmen und für Gold und Edelsteine an den grauen Mönch zu verkaufen. Sie hatten schon eine geraume Zeit am Brunnen gewartet, als der Mönch zur Gleie herunter und in ihre Nähe kam. Als sie ihm aber das Brot zum Verkauf anboten, verwünschte und verfluchte sie der Mönch und sagte: Die Unbarmherzigen und Geizigen werden wohl wachsen, aber nicht gedeihen und verzauberte sie Beide; ihn verwandelte er in einen Eichenbusch und sie in einen wilden Rosenstock, welche noch beide verkümmert in der Nähe des Brunnens jetzt stehen. Der Mönch hat sich seitdem nicht wieder sehen lassen. Die alte Hexe soll ihn, weil er ihren Befehl nur halb ausgerichtet, in[58] eine Schlange verzaubert haben. Auch die Höhle ist nicht mehr zu finden, und das Mütterchen, die Großmeime, ist verschwunden. Aber der Ort, wo der Mönch die holde Jungfrau zuerst sah, heißt noch heut zu Tage »Papenannecke,« der Berg, wo sie die Eier, das Mehl und die Butter hinlegte, »Eierkuchenkopf«; und die Gleie, wo hinunter der Mönch zum Brunnen ging, »Großmeimentreppe.« Der Brunnen mitten im Zwölfmorgenthal, wo der Mönch so vielen armen Leuten Gutes that, wurde nach ihm »Mönchsbrunnen« genannt und heißt heute noch so. Auch wurden von der Zeit an nur die beiden Tage, Dienstag und Freitag, zum Holzlesen bestimmt und sind auch bis jetzt als freie Holztage geblieben.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Unterharzische Sagen. Aschersleben 1856, S. 56-59.
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