Eilfter Auftritt.

[14] Orpheus. Eurimedes.


ORPHEUS.

Was habt ihr doch,

Ihr Himmel, über mich versehn?[14]

Es konnte ja Beständigkeit und Freude

Bey mir nicht einen Tag beysommen stehn.

Soll ich nun auch zu desto grosserm Leyde,

Da Eurydice todt, mich noch lebendig sehn?


Es zeiget sich von ferne der Schatten der Eurydice.


Allein wie ist mir? soll ich nicht

Hier Eurydice sehen?

Betriegliche Gedanken!

Was stellt ihr mir für süsse Schatten vor?

EURIMEDES.

Gewiß, mein Freund, du weichest aus den Schranken

Der Großmuht und Vernunft. Stell itzt dein Trauren ein,

Und, kanns nicht anders seyn,

So sey vielmehr bedacht, den Riß, der dich betroffen,

Anfs allererste zu ersetzen!

ORPHEUS.

Was kann ich ferner hoffen?

Kürzt mir der Tod doch alle Hoffnung ab!

EURIMEDES.

Reisst der dein Eh-Gemal ins Grab:

So geh, und hole sie aus seinen Klauen wieder!

Du kennest ja den Nachdruck deiner Lieder,

Und wie du oft dadurch manch rohes Herz bemannt.

Es kann dein lieblicher Gesang

Und deiner Saiten holder Klang

Vielleicht den Pluto selbst ergetzen.

Drum nimm sie alsofort zur Hand;

Drum geh, und hol nun Eurydice wieder!

ORPHEUS.

Wolan! ich folge diesem Raht,

Mich in die Unter-Welt zu wagen.

Ich thue, was Alcides that,

Um die zum Lohn davon zu tragen,

Die mir aus meinem Arm der Tod entrissen hat.[15]

Quelle:
Georg Philipp Telemann: Die wunderbare Beständigkeit der Liebe, [Hamburg] [1726], S. 14-16.
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