Sechster Auftritt.

[20] Die Vorigen. Ascalax. Eurydice.


ASCALAX.

Schau, welche Botschaft ich dir bringe!


Er führet Eurydice verhüllt her zu.
[20]

Aus Hochachtung für deine Lieder

Schenkt Pluto dir die Eurydice wieder.

Jedoch mit dem Bedinge:

Du sollt allein mit ihr von hinnen gehn;

Wirst du dich aber unterstehn,

Bevor du dich in jener Welt befindest,

Sie auch nur einmal anzusehn:

So solls zum letzten mal geschehen,

Und wirst du, weil du lebst, sie niemals wieder sehen.

ORPHEUS zu Eurydice.

Bist du es, liebster Schatz? bist du es, werthe Sele?

Wie ängstlich sehn' ich mich nach dir?

EURYDICE.

Doch welch ein harter Zwang verbietet mir,

Dich zu umarmen, dich zu küssen?

EURYDICE.

Lasst uns der Götter Wolthat preisen,

Auf was für Ahrt sie auch uns ihre Huld erweisen!

Mir ists genug, daß ich nur bey dir bin.

Aria.


DER CHOR.

Mit dir mich zu ergetzen /

Ist einzig meine Lust.

Nichts / das dir gleich zu schätzen /

Ist meiner Treu bewust.

ASCALAX.

Folgt diesem Wege nur! der führt euch hin,

Wo ihr des Himmels Licht erblicket.

Doch, daß euch nicht der Königinn

Vergällter Sinn

Itzt wiederum dieß euer Glück verrücket;

So lässt euch Pluto noch zur Nachricht wissen:

Orasia liebt Orpheus inniglich,

Und bloß aus Eyfersucht hat Eurydice müssen

Die kalte Grube küssen.

ORPHEUS.

Ist sie's, die das verübt? Wolan, ich will es rächen.

EURYDICE.

Laß uns doch nicht itz und, mein Schatz, von Rache sprechen!

Wie gern verzeiht mein Herz es ihr,[21]

Vornemlich, weil sie mir

Hiedurch die Macht von deiner Treu gewiesen.

ASCALAX zu Orpheus.

Beglückter Mensch, dein Leiden endet sich;

ORPHEUS.

Dein Lieben ist vollkommen.

Du hast das Schicksal selbst besieget,

Und wirst nach deinem Wunsch vergnüget.

CHORPHEUS.

Du hast das Schicksal selbst besieget /

Und bist nach deinem Wunsch vergnüget.

ASCALAX.

Geht nun, verdammte Geister, geht,

In eure Fessel euch zu schmiegen!

So bald ihr Orpheus nicht mehr seht,

Soll eure Qual so fort euch wiederum besiegen.

Aria.


DER CHOR.

Was hilfts / von kurzer Freude sagen /

Wenn gröss're Qual darauf erfolgt?

Viel besser / stets geplagt zu seyn /

Als daß / nach Anstand unser Pein /

Die Last nur schwerer zu ertragen.


Quelle:
Georg Philipp Telemann: Die wunderbare Beständigkeit der Liebe, [Hamburg] [1726], S. 20-22.
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