Vierter Auftritt.

[30] Orpheus allein.


Hier sitz' ich in der Einsamkeit,

Und werde bloß durch meine Qual vergnüget,

Da alle Lust von meiner Lebens – Zeit,

Da Eurydice, todt und ohne Leben lieget.

Sie war zu meinem Glück geboren;

Doch zweymal, zweymal hab' ich sie verloren.


Das Echo aus dem benachbarten Walde wiederholet einen Theil seiner Klage


Vergebens suchst du, Echo, mir

Dein zärtlichs Beyleyd anzubringen.

Ach könntest du dafür

Durch jenes Felsen off'ne Thür,

Durch jenen Schlund, zu Plutos Ohren dringen:

So mögtest du vielleicht mir Eurydice wieder bringen.


Die wildesten Thiere finden sich ein dem Orpheus zuzuhören.


Was führt euch für ein Trieb, ihr Bestien, hieher?

Wollt ihr mehr Leid mit mir, als Pluto selber, tragen?

Ach Eurydice war mein Trost und mein Behagen.

Sie war zu meinem Glück geboren;

Doch zweymal, zweymal hab' ich sie verloren.


Er wirft seinen Lorbeer-Cranz nebst der Leyer weg und die Symphonie höret auf.


Verhasster Zeit-Vertreib, dich brauch' ich nun nicht mehr.

Geh, oder bring durch deine Lieder

Mir eiligst Eurydice wieder!

Doch ich beschwere mich

Ohn' Ursach' über dich.

Ich hab' es selbst versehn, und meine Augen müssen

Dieß ihr Versehn in Blut und Thränen büssen.

Aria.


DER CHOR.

Fliesst / ihr Zeugen meiner Schmerzen!

Fliesst ihr Zähren! tröpfelt Blut!

Quillt hervor aus meinem Herzen!

Badet mich in eurer Flut![30]

Nun, alle Hoffnun ist vorbey!

Ach was verharrt ihr noch, ihr Tyger, Bär-und Löuen,

Von meiner Qual mich zu befreyen?

Zerreisset mich: so werd' ich frey!

Doch ach ihr wollt, zu meiner Pein,

Bey eurem Mitleyd selbst noch grausam seyn.

Komm doch, gewünschter Tod! wie sehn' ich mich nach dir?

Durch deine Gunst werd' ich der Qual entnommen.

Durch dich kann ich allein

Zu Eurydice wieder kommen.


Quelle:
Georg Philipp Telemann: Die wunderbare Beständigkeit der Liebe, [Hamburg] [1726], S. 30-31.
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