Sechster Auftritt.

[31] EURIMEDES.

Wie pflegt nicht oft die Leidenschaft

Sich mit dem angenomm'nen Schein[31]

Des heil'gen Eifers auszuschmücken?

Lebt Orpheus gleich so fromm als tugendhaft,

Und will sich nur in unser Joch nicht bücken:

So muß er doch verkezzert seyn.

Er schilt auf Bacchus Fest, und die es feyren, nicht.

Er tadelt bloß das Greuelhafte Leben,

Da man der Völlerey, wie noch itzund geschicht,

Und allen Lastern sich ergeben.

Dieß heisst nun Bacchus Ruhm verspotten,

Und muß, statt eigner Rach', allein,

Der Vorwand seyn,

Mit Strumpf und Stiel ihn auszurotten.

Und ach wo treff' ich dich, mein Freund, doch an!

Man stehet dir, mein Orpheus, nach dem Leben.

Wie gerne mögt' ich dir hievon die Nachricht geben!

Wie gerne wär' ich auch bereit

Zu deiner Hülf' und Sicherheit!

Doch ach ich seh' hiezu ganz keine Möglichkeit.


Quelle:
Georg Philipp Telemann: Die wunderbare Beständigkeit der Liebe, [Hamburg] [1726], S. 31-32.
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