[32] Es hatte die gefrorne Nacht
Sich mit dem schnellen Heer der Sternen,[32]
Und mit dem Monde in der Fernen,
Schon lange auf die Flucht gemacht.
Indem der Sonnen neuer Strahl
Der Schäfer muntres Volck erweckte,
Und Berge, Wiesen, Wald und Thal,
Den Augen wiederum entdeckte.
Der Reiff, der Feld und Thal erfüllt,
Ward durch die Sonn in Thau verkehret;
Und da sie alles aufgekläret,
So spiegelt sie ihr goldnes Bild
Sowohl in dieser Tropfen Naß,
Die auf dem falben Grase stehen,
Als in den Spiegeln grosser Seen.
Ihr Strahl erquickte Feld und Gras.
Die Hirten öffneten nun schon
Die Thore knarrend an den Ställen.
Drauf hörte man den Klang der Schellen,
Des muntern Viehs vermischten Ton.
Man sahe mit Vergnügen an,
Wie froh die jungen Lämmer springen,
Und wie die Schafe blökend dringen;
So geht der Bock gantz stoltz voran.
Inzwischen hatte Thirsis sich
In jenen tiefen Hain begeben,
Worinn er, bey dem stillen Leben,
Sehr oft vor sich allein entwich.
Hier pflegt er in der Einsamkeit,
In dürrer Bäume dünnen Schatten,
Mit seinem Damon sich zu gatten,
Und dieser war auch itzt nicht weit.
Sie sungen den, der in der Nacht
So mächtig sie auf dieser Erden,
Mit ihrer Hütte und den Heerden,[33]
Durch seiner Geister Schutz, bewacht.
Bald rührten sie der Saiten Chor,
Bald stimmten sie ihr Schäfer-Rohr;
Jetzt töneten des Maro Lieder
Auf ihren deutschen Flöten wieder.
Drauf höreten sie auf den Höhn
Die Doris ihrem Damon rufen
Und sahen von des Hügels Stufen
Sie eilig aus dem Wäldchen gehn.
Sie kam und schlung die weisse Hand
Um ihres Liebsten Hals mit küssen,
Und wollte liebreich strafend wissen,
Warum er sich von ihr gewandt.
Dann fragte sie, was wir denn hier
Entfernet und alleine singen,
Und wie wir hie die Zeit verbringen,
Und sprach zu uns: Gehorchet mir,
Denn heute ist das Namensfest
Der edlen Dorothee erschienen.
Wollt ihr die Freundin nicht bedienen?
Ich weiß, daß keiner dieses läßt.
Drauf setzten sie sich an die Höh
Und lehrten beyde Thal und Wälder
Den Bach, die Auen, und die Felder
Das Lob der edlen Dorothee,
Und wünschten ihr viel Glück und Heil.
Du aber laß von deinen Chören,
O Doris, auch ein Liedchen hören,
Du nimmst daran am meisten Theil.
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