Zweiter Auftritt

[172] Herr Gotthart. Heinrich, der hereingestolpert kommt.


HERR GOTTHART erschrickt. Heinrich, seid Ihr's?

HEINRICH stutzt. Ei ja, Herr Gotthart, sind Sie's?

HERR GOTTHART. Was habt Ihr denn so eilig zu laufen? Ihr seid ja kein Mediziner. Wo sind denn die Doktores geblieben?

HEINRICH. Ja, das mag der Geier wissen! Sie kamen die Treppe herunter gerennet, als wenn der Henker sie jagete. Drauf flogen sie zur Türe hinaus, der eine zur Rechten, der andre zur Linken, als wenn sie Quecksilber im Leibe hätten. Gelt! dachte ich, mein Herr wird seine Karbatsche bekommen und sie beide tüchtig ausgeklopftet haben!

HERR GOTTHART. Ach was wollte er doch! die Gelehrten sind wunderliche Köpfe.

HEINRICH. Oder vielleicht haben Sie sie wohl selbst die Treppe hinuntergeprügelt?

HERR GOTTHART. Nun, das wäre noch besser! Ich glaube gar, Ihr denkt, ich kriege noch auf meine alten Tage solche Raptus als Euer junger Herr?

HEINRICH. Sie fluchten aber gar zu sehr, etwas muß ihnen doch widerfahren sein. Ich bleibe darbei, sie haben Stöße gekriegt. Aber der eine muß mehr bekommen haben als der andere: denn sie brummten beständig, daß einer nicht besser wäre als der andere.

HERR GOTTHART. Narr! Ihr habt auch mein Tage nichts anders im Kopfe als von Prügeln und Stößen. Und wenn es nun Schläge gesetzt hätte; warum kommt denn Ihr gelaufen? wollt Ihr etwa auch welche haben?

HEINRICH. Nein, gehorsamer Diener! Ich wollte Ihnen nur melden, daß ich meinen Herrn werde anbinden, ihm Messer, Gabel, Degen, Hirschfänger, Strumpfbänder, Halstücher, ja Lichtputzen, Tabakspfeifenräumer, Schuhschnallen, Nähnadeln und alles, was ich nur finden kann, wegnehmen müssen.

HERR GOTTHART. Und warum denn das?

HEINRICH. Darum, daß er sich damit nicht umbringen könne.

HERR GOTTHART. Was das nun für närrische Einfälle sind!

HEINRICH. Ja, Herr Gotthart, Sie glauben es nimmermehr! Es ist ein ganz anders mit Leuten, die im hitzigen Fieber oder in einer Raserei[173] liegen und mit Ihrem Herrn Sohne. Er ist gar nicht krank; er steht und geht; er ißt und trinkt. Er kriegt nur zuweilen eine Karbatsche zu packen; und dann tauget er den Teufel nicht! Dann muß ich ihm nur alles aus den Augen schaffen, was nur einigermaßen einer Spitze oder Schärfe oder einem Bande ähnlich sieht; daß er sich nur kein Leid damit tue. Und auch dann fürchtet er sich noch, er möchte irgend mit dem Kopfe wider die Wand laufen: daher hat er mich oft selbst gebeten, ich sollte ihn nur im Bette anbinden.

HERR GOTTHART. Wie? Heinrich, könnt Ihr meiner und Eures Herrn so spotten? Ist es nicht genug, daß sich die ganze Stadt mit allerhand Lügen von ihm herumträgt? Ihr dürft wahrhaftig keine neue darzu erdenken! Wie kann doch ein Mensch, der nur noch eine Unze gesunde Vernunft im Kopfe hat, solch närrisches Zeug anfangen?

HEINRICH. So wahr ich lebe, Herr Gotthart, es ist die lautere Wahrheit! Sie wissen meines Herrn Zustand noch lange nicht recht; und wer wollte es Ihnen auch so gut sagen können als ich? Ich weiß wohl, wie sauer mir mancher Tag bei ihm wird. Bald muß ich ihm das Fenster zunageln aus Furcht, daß er Lust kriegen möchte, herunterzuspringen. Herr Gotthart schlägt die Hände zusammen. Bald sitzt er in tiefen Gedanken wie ein Stock, und dann fährt er auf und fragt mich: ob er auch was gesprochen hätte. Wenn ich ihm nun genug zugeschworen habe, daß dies nicht geschehen ist, so glaubt er mir es doch kaum. Schreibt er irgendeinen Brief, so bricht er ihn wohl zehnmal wieder auf und sieht nach, ob er auch was Unrechtes hineingeschrieben hat, oder ob er ihn mit Tinte begossen habe.

HERR GOTTHART. Das ist ja entsetzlich!

HEINRICH. Geht er einmal aus, und ich bin hinter ihm gegangen, so fragt er mich, wenn wir nach Hause kommen, bald aufs Blut: ob er auch einen jeden tief genug gegrüßt hat, ob er irgendeinem Bauern zu nahe gekommen oder sich mit einem Gassenjungen geprügelt habe, und was der Lappereien mehr sind, dergleichen einem kaum im Fieber träumet. Gehe ich aber nicht mit ihm, so ist der Henker gar los! denn da hat er keinen, den er fragen kann. Da kriegt er denn einen Raptus nach dem andern. Dann weiß ich mir keinen bessern Rat, als daß ich ihn geschwinde im Bette anbinde und ihm nur alles aus den Augen trage. Endlich, wenn er lange genug phantasiert hat, so muß er doch einschlafen.

HERR GOTTHART schlägt die Hände zusammen. Nun, das sei dem[174] Himmel geklagt! Ich armer Vater! Gott bewahre doch alle Menschen vor solchem Hauskreuze!

HEINRICH. Ja, mein lieber Herr Gotthart! woher kömmt's? ist er nicht selbst schuld daran? Das haben wir von unserm Reisen! hätten wir nicht zu Jena so oft ... Er zeigt, wie man aus einer großen Humpe säuft. und als wir zu Halle waren so fleißig ... Er zeigt, wie man zu Dorfe reitet und fähret. so hätten wir einen gefunden Leib und ein gutes Gewissen nach Hause gebracht. Aber so geht's! die hinkenden Boten kommen alle nach.

HERR GOTTHART zornig. Heinrich! ich habe es Euch wohl hundertmal befohlen, Ihr sollt mir den alten Unrat nicht wieder aufwärmen. Ich habe es ihm vergeben und vergessen: so könnt Ihr's auch vergessen. Es ist ihm Strafe genug, daß er sich selbst und andern Menschen eine Last ist.

HEINRICH. Es ist ja aber die lautere Wahrheit. Woher hat er die närrischen Zufälle alle bekommen, als daß er auf Universitäten seine schöne Natur in den Grund verderbet hat? Lunge und Leber sind ihm angestecket. Der Magen ist verschrumpft. Das Eingeweide ist verschränket: Und wenn ihm die Kolike denn einmal bis an den Hals steigt, so meint er gleich, jetzt wird's aus sein.

HERR GOTTHART. Hört, Heinrich, ich befehle es Euch jetzt zum letzten Male: Laßt mir meinen Sohn mit seiner Krankheit zufrieden und haltet das Maul, bis ich Euch frage! Ihr seid sein Diener und nicht sein Hofmeister. Ich glaube, Ihr wollet seine Krankheit noch besser einsehen als die beiden Doktors, die doch auch auf Universitäten gewesen sind.

HEINRICH lacht. Oh, hoho! Haben sie die Krankheit noch nicht eingesehen? Das müssen die rechten Doktors sein!

HERR GOTTHART. Ja freilich! Erst waren sie wegen der Krankheit eins; hernach zankten sie sich wieder drüber wie die Fischerweiber, und endlich bissen sie sich wie ein paar tolle Hunde.

HEINRICH. Da hätte ich einen Zahnbrecher holen lassen, der ihnen das Gebiß ausgebrochen hätte; so wären sie doch ohne Schaden voneinander gekommen.

HERR GOTTHART. Ach! ich war froh, daß sie sich nur so zum Hause hinauspackten!

HEINRICH. Aber Herr Gotthart, warum haben Sie auch zween Doktores holen lassen? Zween Meister vertragen sich ja niemals bei einer Arbeit.[175]

HERR GOTTHART. Ich habe nicht gedacht, daß die Gelehrten auch der Handwerksneid plagte.

HEINRICH lacht. Ach! wohl noch ärger.

HERR GOTTHART. Nun, es ist einmal geschehen. Ich habe es zu meines Sohnes Bestem getan. Vier Augen sehen ja besser als zwei.

HEINRICH. Ja, aber viele Köche versalzen auch den Brei. Zween Mediziner, zwo Krankheiten mehr!

HERR GOTTHART. Nun, es ist einmal vorbei, ich wünsche nur, daß sie niemals mögen wiederkommen.

HEINRICH. Dafür stehe ich Ihnen, mein Herr Gotthart! Sie verschworen sich gar zu sehr, daß Sie Ihre Schwelle nicht wieder betreten wollten.

HERR GOTTHART. Nun, so laßt sie laufen, daß ihnen die Beine abfallen! Ich habe mir ohnedem vorgenommen, meinen Sohn selbst zu kurieren.

HEINRICH. Da tun Sie wohl am allerbesten, aber wie wollen Sie das machen?

HERR GOTTHART besinnet sich eine Weile. Höret, Heinrich! seid Ihr mir auch treu?

HEINRICH bestürzt. Mein Herr Gotthart! Ihr Wort in Ehren! Wo Ihnen jemand gesaget hat, daß ich Ihnen je was gestohlen, so schaffen Sie mir meinen Mann: Ich will's ihm ins Gesichte sagen, daß er ein Schelm ist.

HERR GOTTHART. Wie? wacht Euch etwa das Gewissen auf wie Eurem hypochondrischen Herrn?

HEINRICH. Ach nein! ich habe ein rechtes gutes Gewissen!

HERR GOTTHART. Nun, so seid nur stille; aus die Tortur sollt Ihr nicht kommen. Ich frage nicht, ob Ihr reine Finger habet, sondern ob Ihr reinen Mund halten könnet, wenn man Euch was offenbaret?

HEINRICH. Von mir soll nichts zuletzt auskommen: sonst will ich hier nicht gesund stehen!

HERR GOTTHART. Ich muß es nur wagen: denn zu der Sache, die ich vorhabe, werde ich Euch auch mit brauchen müssen. Wißt Ihr das?

HEINRICH. Ich? Nein.

HERR GOTTHART. Ei, so hört doch und laßt mir Zeit, mich ein wenig zu bedenken. Ich will Euch die ganze Sache mit zwei Worten ausführlich erzählen. Seht nur, ich habe einen alten Vetter ...[176]

HEINRICH. Ja, Herr Gotthart!

HERR GOTTHART. Er ist so ungefähr von meinem Alter.

HEINRICH. Ja, ja.

HERR GOTTHART. Er wohnt ...

HEINRICH. Hier in der Breitengasse.

HERR GOTTHART. Nein, der ist es nicht: der hat ja keine Tochter.

HEINRICH. Ja so! er soll eine Tochter haben?

HERR GOTTHART. Ja, der hat eine Tochter.

HEINRICH. Ist sie auch hübsch?

HERR GOTTHART. Ja doch, ja! habt doch nur Geduld und laßt mich ausreden!

HEINRICH. Nun denn?

HERR GOTTHART. Seht nur, der Mann ist vor diesem ebenso gewesen wie mein Sohn.

HEINRICH. Hat er sich auch umbringen wollen?

HERR GOTTHART. Ja freilich; er hat sich siebenmal erhenken, neunmal erstechen und fünfmal ersäufen wollen.

HEINRICH. Und hat gewiß niemals dazu kommen können?

HERR GOTTHART. Ach ja doch! er ist schon einmal so weit gewesen, daß er sich eingebildet hat, er wäre tot.

HEINRICH. Und lebt doch noch diese Stunde?

HERR GOTTHART. Ja, ja!

HEINRICH. Nun, das gestehe ich! schon einmal tot zu sein und noch itzt zu leben? Das ist ein bißchen viel.

HERR GOTTHART. Ja, höret nur, wie er sich kurieret hat?

HEINRICH. Darnach verlanget mich recht sehr.

HERR GOTTHART. Als ihm das Ding endlich zu tolle wird, so geht er aus Verzweiflung hin und freiet. Hört Ihr's?

HEINRICH schüttelt den Kopf. Ja, ja!

HERR GOTTHART. Und zwar das lustigste Mädchen aus der ganzen Stadt.

HEINRICH. Nun! nun! hier in der Stadt sind ihrer endlich eine Menge, man darf sie nicht weit suchen.

HERR GOTTHART. Nun, ich sage Euch's, das lustigste Mädchen hat er sich zur Frau genommen!

HEINRICH. Und die hat ihn wieder vom Tode erweckt?[177]

HERR GOTTHART. Ja, die hat ihn aus dem Grunde kurieret.

HEINRICH. Ei! so geben Sie Ihrem Sohne auch ein so lustiges Mädchen: vielleicht kuriert sie ihn auch!

HERR GOTTHART sieht ihn an. Ich glaube, Ihr habt einen Affen gesehen, daß Ihr so gut raten könnet. Das ist eben meine Meinung, meines Vetters aus N. Tochter soll er haben.

HEINRICH. Ist sie aber auch so lustig?

HERR GOTTHART ganz lustig. Freilich! Sie will vor Freuden aus der Haut fahren. Sie hüpft, sie tanzt, sie springt, sie singt und ist eine lebendige Unruhe.

HEINRICH. Nun, das ist gut! das ist recht schön! Allein, mein Herr Gotthart! zum Kaufe gehören ihrer zween. Es ist die Frage, ob diese Jungfer einen so mürrischen, tiefsinnigen, ja ich möchte wohl sagen unsinnigen Menschen zum Manne haben will, als mein Herr ist? Der wird ihr wahrhaftig die Lustigkeit bald vertreiben!

HERR GOTTHART. Ei! darum bekümmert Euch nur nicht. Es ist alles schon richtig!

HEINRICH. Ja, vielleicht zwischen den Eltern! Aber die Töchter wollen heutigestages auch gefraget sein.

HERR GOTTHART. Ich sage Euch, die Tochter hat selbst Lust dazu. Sie hat sich's vorgenommen, einen Mann zu nehmen, den sie auch so kurieren könnte, wie ihre Mutter ihren Vater kurieret hat; und wenn er auch noch ärger wäre.

HEINRICH. Ei, mein Herr Gotthart! so lassen Sie sie ja morgen herüber kommen und übermorgen Hochzeit halten: denn ich fürchte, ich fürchte! wo sie meinen Herrn erst kennenlernet, sie nimmt ihn nicht!

HERR GOTTHART. Drum vertraue ich Euch eben die Sache: daß Ihr im Anfange dann und wann manche von seinen Grillen bemänteln helft oder nur nicht viel Wesens davon machet.

HEINRICH. Ich will es schon machen. Wenn sie nur bald hier wäre!

HERR GOTTHART. Ich sage es Euch noch einmal, plaudert's nur nicht aus.

HEINRICH. Herr, das Plaudern ist meine Sorge.

HERR GOTTHART. Denn mein Vetter will ganz inkognito kommen.

HEINRICH. Inkognito? Ist das nicht rotwelsch?

HERR GOTTHART. Ei! das heißt verstohlen.[178]

HEINRICH. Nun verstehe ich's. Aber warum das? Sie werden ja ehrliche Leute sein; und was sie vorhaben, das ist auch kein Schelmstück.

HERR GOTTHART. Das hat alles seinen guten Grund. Mein Sohn kennet weder Vater noch Tochter, und da sollen sie als Fremde, aber Bekannte bei mir einkehren. Da will ich nun sehen, wie sich die jungen Leute miteinander vertragen. Hernach will ich meinem Sohne das Geheimnis entdecken.

HEINRICH. So? so soll mein Herr selbst noch nicht wissen, daß er Bräutigam ist?

HERR GOTTHART. Beileibe nicht! denn ...


Quelle:
Die bürgerliche Gemeinschaftskultur der vierziger Jahre. Herausgegeben von Prof. Dr. Brüggemann, Leipzig 1933, S. 172-179.
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