Über die Windeln Jesu

[258] Wie windelt man dich, Jesu, ein,

Denn alle Himmel sind zu klein,

Und der die gantze Welt bewegt,

Wird unbeweglich hingelegt.


Herr, dies macht deine Lieb' und Huld;

Wir, die die Fesseln vieler Schuld

Dem Tode längst gegeben ein,

Wir sollen ewig Schlaven seyn.


Ach, mehr als wohlverdientes Joch!

Und du gönnst uns die Freiheit doch.

Nichts halff uns auß, nichts stand uns bey,

So kömmstu selbst und machst uns frey.


Du legst die Banden wieder an,

Nachdem du uns sie abgethan

Und gehst so schwere Knechtschafft ein,

Auff daß wir Herren möchten seyn.


O, eine Freundschafft, der die Welt

Kein Beyspiel halten wird noch hält,[258]

Ja wol, die Welt, da Jedermann

Den Andern stürtzt, so gut er kan.


Gott seyn und nehmen Menschheit an,

Dem dienen, der uns unterthan,

Dem helffen, der sein ärgster Feind,

Dies thut allein ein Himmels-Freund.


Entbind mich, Jesu, meiner Sünd

Und löse mich, da ich dich bind,

So windel' ich mich zu dir ein

Und wil dir stets verbunden seyn.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 30, Stuttgart [o.J.], S. 258-259.
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