Bey Genießung des heiligen Abendmahls

[286] O Jesu, heiligs Gottes-Lamm

Das an des bittern Kreutzes-Stamm

Für uns so schmertzlich ließ das Leben,

Und für die Schuld der gantzen Welt

Das unschätzbare Sühne-Geld

An seinen Vater hat gegeben,

Ach, es verirrt sich mein Gemüth

Im Abgrund aller deiner Güt.


Du köntest nicht vergnüget seyn,

Daß mit so großer Qual und Pein

Dein theurer Leib geopffert würde;

Bestriemt, durchnagelt, auffgeritzt

Sein Blut hat überall geschwitzt

Und endlich starb in seiner Bürde;

Wie solches uns recht heylsam wär',

Herr, dies bedachtest du weit mehr.


So setztest du ein Gastmahl ein,

Vermachtest hiezu Brodt und Wein,

Nur einen Trank und eine Speise,

Die aber uns so vielfach gut.[286]

Was, Jesu, selbst dein Fleisch und Blut?

Ach, eine höchst geheime Weise,

Auff die wir, liebster Heyland, dein

Und deines Leidens theilhafft seyn.


Der letzte Tag kam schon herbey,

Dran du, o Bild der Lieb' und Treu,

Für deine Knechte wollest sterben;

So machtest du dein Testament

Und setztest uns, den wir geschändt,

Zu aller deiner Güter Erben,

Und daß kein Zweiffel hie wär' an,

Hingst du dich selbst zum Siegel dran.


O Wunder-Tisch, o seltnes Fest,

Da sich der Wirth aufftragen läst

Und selber heißet zu genießen,

Der so viel hundert tausend nehrt

Und dennoch nimmer wird verzehrt.

Nichts kanstu, Überwitz, hie wißen,

Die Einfalt, die dem höchsten gläubt,

Die ist es, der der Krantz verbleibt.


Kommt, ruffstu, Jesu, Alle her,

Die ihr mit Kummer und Beschwer

Des Sünden-Joches seyd beladen,

Hie wird die Last euch abgethan.

Auff dies dein Wort komm' ich auch an,

Nicht wehrt zwar, Liebster, deiner Gnaden,

Versag mir doch nicht deine Güt',

Denn selbst mein Unwerth mich herzieht.


Die Stoltzen, die in ihrem Sinn

Schon mehr als heilig sind vorhin,

Verachten, Herr, mit dir zu speisen;

Der Arm' und Lahme von der Gaß

Und der am Zaun der Trübsal saß,

Der läßet gern zu dir sich weisen,

Und der verhungert und verdürst

Sucht deine Taffel, Lebens-Fürst.
[287]

Auch ich bin aus derselben Zahl,

Zwar vor von dir schon mannigmal

Auß meinem Elend' auffgenommen,

Kaum aber, daß du mich geweidt,

Beschenkt, geheilt und neu bekleidt,

Nie fort ich wieder abgekommen

Und durch der Welt und Höllen Macht

Um allen meinen Schmuck gebracht.


Herr, werde deiner Huld nicht müd';

Es ist in meinem Geist kein Fried',

Eh du denselben mir gegeben;

Gedenk, in welcher Furcht man steht,

Wenn man zu dir zu Gaste geht,

In deßen Händen Tod und Leben,

Und der, so bald das Mahl verricht,

Uns dieses oder den zuspricht.


Ach, der du in der Mutter Schooß

Mein Fleisch und Blut doch Sünden loß,

O Jungfern-Sohn, hast angenommen,

Laß mir dein heiligs Fleisch und Blut,

Mir, der ich nach dem Stamm nicht gut,

Und böser selbst, zu Statten kommen,

Und mach mich unbefleckt und rein,

Da du in mir gezeugt wilst seyn.


Der du für uns ertrugst den Tod,

Ertödte meine Todes-Noth,

Der du auß deinem Grab entstanden,

Erheb mich auch aus meinem Grab,

Und ziehe mir das Sterb-Kleid ab

Der Eitelkeit und Sünden-Banden,

Und lege mich so auff die Baar,

Daß ich dir nach zu Himmel fahr.


O Himmels-Brodt, ernehr mich wol,

O Brunn des Lebens, mach mich voll,

Voll deines Himmels, deines Lebens.

In weißer Leinwand wurdest du,[288]

Mein Heyl, gebracht zu deiner Ruh,

Ich weiß, daß dieses nicht vergebens;

Auch mein Hertz muß von solchem Schein,

Solst du darinnen ruhen, seyn.


So komm, o Jesu, komm denn ein,

Gib, liebes Brodt, gib, lieber Wein,

Gib her, den meine Seele liebet;

Ich bin nunmehro nicht mehr ich,

Wir tauschen, Jesu; Ich für dich.

Ach, daß ein Sünder Gott sich giebet

Und Gott mit größerer Begier

Sich doch demselben schenkt dafür.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 30, Stuttgart [o.J.], S. 286-289.
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