Sterblied

[328] Hiob 14, 5.


Mel: O Ewigkeit, du Donnerwort.


Du bist von dir, o Mensch, ja nicht,

Dein Schöpfer hat dich zugericht,

Dein Herz beseelt mit Geist und Leben,

Den Leib in schönen Schmuck gekleidt

Und Allem diesen Maaß und Zeit

Nach seinem weisen Schluß gegeben;

Dies fällt auch, steht es noch so fest,

So bald es seine Hand verläßt.
[328]

Was nimmst du denn ohn' dem dir für

Und meinst, als wenn dein Auge hier,

Dein Witz und Rath dich müsse leiten?

Du sinnst auf lange Jahr hinaus,

Erweiterst immer mehr dein Haus,

Gedenkst auf keinen Staub der Zeiten

Und glaubst, du habest dich gesetzt

Wo dich kein Unfall nicht verletzt.


Ach eitler Wahn, gewisser Tand!

So baust du Schlösser auf den Sand

Und schöpfest Wasser mit dem Siebe.

Was Gott dir zuschickt, ist dir gut,

Auch wenn er dir zuwider thut,

Er trägt zu dir zu grosse Liebe;

Was du dir wählst, das, traue, schadt,

Auch wenn es guten Fortgang hat.


Mein Gott, so bin ich nicht gesinnt,

Du bleibest Vater, ich dein Kind,

So will ich gern dich lassen sorgen.

Ich schreib' und greife dir nicht für,

Mein Thun und Leiden steht bei dir

Auf Jahr und Mond, auf heut' und morgen;

Wie du mein Ziel gesetzet hast,

So sei und bleib' es, Herr, gefaßt.


Nicht weiter kann und will ich nicht;

Geh', Herr, mir vor mit deinem Licht,

Dem will ich folgen ohn' Ermüden,

Und folg' ich nicht, so zieh' mich fort,

Auch wär' es bis zur Höllenpfort',

So weiß ich, was du mir beschieden;

Dein Reich, mein Gott, und was hier dein,

Dies soll mein Ziel und Ende sein.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 30, Stuttgart [o.J.], S. 328-329.
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