Von der Vermählung der Seelen mit Christo

[253] Wer bin ich, Jesu, o mein Heyl,

Daß du dich selbst mir gibst zu Theil

Und hälst mich wie für deines Gleichen?

Du bist ja Herr, und ich bin Knecht,

Ich bös' und eitel, du gerecht,

Du bleibst ohn' End', ich muß verbleichen,

Und dennoch trägest du zu mir

So unvergleichliche Begier.


Eh' als der Grund gelegt zur Welt

Hastu dein Hauß für mich bestellt

Und nachmals mir zu gut verlassen;

So nimmstu das, was ich bin, an,

Um so vertraut mich umzufassen;

Was aber kost ich, Liebster, dir,

Eh du so weit es bringst mit mir.
[253]

Wie ich nur erst das Licht betrat,

So wusch mich fort dein seligs Bad

Und gab mir deinen Geist zu eigen,

Das unschätzbare Himmels-Pfand,

Das, o mein Hertz, von unserm Band

In meinem Hertzen solle zeugen;

Ja selbst du kehrtest offt gemein

Durch süße Regung bey mir ein.


Ach, aber so auch kan ich dein,

Mein Heyland, nicht ohn Anspruch seyn;

Die Sünde will mich von dir scheiden,

Der Satan hält um mich auch an,

Hie mustu, theurer Himmels-Mann,

Für mich so schweren Todt erst leiden

Und unsre Liebe durch dein Blut

Bey deinem Vater machen gut.


O, hochbelobtes Gottes-Lamm,

Mein Bruder, Burg' und Bräutigam,

Wie wehrt hast du mich doch geschätzet,

Wie hoch hast du mich angebracht,

Wie herrlich, reich und groß gemacht,

Da du dich mir zur Seit gesetzet;

Für deine Braut, o Herr, zu sein,

Nehm' ich die gantze Welt nicht ein.


Sprech ich hiefür: Ich liebe dich,

Dies ist zu schlecht für dich und mich;

Ich sterbe, schaue, für Verlangen,

Mein Schatten ist nur mehr an mir,

Hertz, Geist und Seele wohnt bey dir.

Ach, wenn soll ich dich gantz umfangen?

Herr, meinstu mich, wie ich dich mein,

So laß es doch nicht lange seyn.


Sieh an, wie schmerzlich mir die Welt

Von wegen unsers Bundes fällt;[254]

Was hat ein Frommer mehr auff Erden,

Als Wunden, Neid, Beschwer und Müh?

Nur, Jesu, dies erquickt mich hie,

Daß ich dein bin und dort soll werden,

Ich leide gern so kurtze Zeit,

Wird mir bey dir die Ewigkeit.


Nichts kann mir schaden, bleibstu mir,

Was mich hie treibt, verbindt mich dir,

Weg für den Himmel mit der Erden!

Ich kan doch dein nicht würdig seyn,

Werd' ich nicht durch viel Creutz und Pein

Dir, liebster Heyland, ähnlich werden.

Drauff leb' ich, Herr, drauff sterb' ich dein,

Nie können wir getrennet seyn.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 30, Stuttgart [o.J.], S. 253-255.
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