[Hat von allen Lächeln]

[147] Hat von allen Lächeln

Sich verhalten keines?

Hat sich von so vielen

Lächeln nicht ein kleines

Zwischen Erd' und Himmel

Hier verhalten? Eines

Nur von all' den Lächeln,

Die du einst, mein feines

Pärchen, hier gelächelt,

O du Lächelreines!

Keines in den Rosen

Dieses Rosenhaines?

Keines in den Nelken

Dieses Nelkenraines?

Keines unterm Laube

Dieses Laubvereines?[147]

In Gestalt des Sonnen-

Oder Mondenscheines,

Oder auf den Blumen

Des Thau-Edelsteines?

All' die tausend Lächeln,

Tausend Freuden meines

Auges, die zur einz'gen

Quelle hatten deines,

Strömten aus der Quelle

So vollauf, daß seines

Antheils Fern und Nahes

Froh ward wie voll Weines;

Rings ein Meer von Lächeln

War ein allgemeines.

Kann ein Meer verschwinden

Wie ein Bild des Scheines?

Ach, das Meer des Lächelns

Schwand, und ich bewein' es.

Eurem Aug' entfloß es,

Euer Aug' zog ein es,

Und mit ihm versiegt ist's

In des finstern Schreines

Tiefen, wie im öden

Sand die Fluth des Rheines.

Seit mich Sterne mahnen

Eures Leichensteines,

Und die Blumen eures

Modernden Gebeines,

Hat von allen Lächeln

Sich verhalten keines.

Quelle:
Friedrich Rückert: Kindertodtenlieder aus seinem Nachlasse, Frankfurt a.M. 1872, S. 147-148.
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