[Meine Klagen sollen lieblich wallen]

[5] Meine Klagen sollen lieblich wallen,

Den Krystallen gleich im Frühlingsbache,

Die mit Ache hüpfen auf am Strande,

Wo vom Rande sich zwei Blumen neigen

Und mit Schweigen sich im heiterblauen

Spiegel schauen, aber, eingeladen

Sich zu baden, scheu zurück sich biegen

Und sich schmiegen, als ob sie sich schämen;

Doch mit Grämen trüben ihren hellen

Blick die Wellen, die vorüber müssen,

Schmerzlich grüßen sie im Weitereilen,

Möchten weilen, müssen doch entjagen.
[5]

Meine Klagen sollen lieblich wanken,

Wie die Ranken sich am Boden dehnen,

Auf sich sehnen nach der Lebensflamme,

Nach dem Stamme, der zum Himmel steiget,

Der sich neiget, wenn ihn rühren linde

Frühlingswinde, doch die stolzen Glieder

Hebt er wieder, ohne sich der armen

Zu erbarmen, die umsonst sich mühen

Aufzublühen, jede Luft benützen,

Falsche Stützen, die sie nur erheben,

Um mit Beben fallen sie zu lassen

Auf den nassen Grund, wo sie verzagen.


Meine Klagen sollen lieblich stöhnen

Gleich den Tönen holder Nachtigallen,

Die vor allen, Rose, dich zu lieben

Sind getrieben, und die Blumenschaaren

Nicht gewahren, die zu den Gesängen

Rings sich drängen, doch nur dir zum Preise

Tönt die Weise: Ros', im Brautgemache

Wach', erwache! Tritt vom Duft der Träume

In die Räume, daß die rauhe Erde

Lieblich werde, daß des Todes Bleiche

Schamroth weiche, wenn mit Brautgesange

Dir die Wange röthet unser Schlagen.

Quelle:
Friedrich Rückert: Kindertodtenlieder aus seinem Nachlasse, Frankfurt a.M. 1872, S. 5-6.
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