[Es kommt der lieblichste der Lenze]

[207] Es kommt der lieblichste der Lenze,

Von Glanz umringt,

Doch alle Kränze, die er bringt,

Sind Todtenkränze.


Den Frühling sah ich diesmal lächeln

So dämmerklar,

Und fühlte seinen Odem fächeln

So wunderbar,

Ich wußte gar nicht, was es war,

Bis das Gefühl mir auf sich dringt,

Warum so matt der Kranz ihm glänze:

Es sind doch immer Todtenkränze,

Wenn auch der schönste Lenz sie bringt.
[207]

Der Frühling möcht', und kann nicht, trauern,

Es steht ihm nicht,

Es kann nicht lang in Falten dauern

Sein Angesicht;

Und wenn sich bricht sein Freudenlicht

In Kummerwolken, so entspringt

Der hellste Kranz an dunkler Grenze:

Es ist der lieblichste der Lenze,

Wenn er auch Trauerkränze schlingt.

Quelle:
Friedrich Rückert: Kindertodtenlieder aus seinem Nachlasse, Frankfurt a.M. 1872, S. 207-208.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Kindertodtenlieder
Kindertodtenlieder
Kindertodtenlieder
Kindertodtenlieder und andere Texte des Jahres 1834