[In des Waldes heil'gem Schweigen]

[243] In des Waldes heil'gem Schweigen werd' ich meine Kinder sehn,

In den Knospen, an den Zweigen werd' ich meine Kinder sehn.

In saphirnen Wiegen schaukelt Mutter Luft ihr Frühlingskind:

In den Knospen, an den Zweigen werd' ich meine Kinder sehn.

In den Blumen, die der Sonne wenden Kinderaugen zu,

Und im Wind sich kindisch neigen, werd' ich meine Kinder sehn.

Wo durch's grüne Laubesgitter golden bricht der Sonnenstrahl,

In der Sonnenstäubchen Reigen werd' ich meine Kinder sehn,[243]

Wo im Nest sich Tauben schmiegen, Fische schlüpfen hin im Bach,

Schmetterling' aus Blumen steigen, werd' ich meine Kinder sehn.

Schlank vor mir emporgewachsen als Cypreß' und Pinie

Mit Geberden fremd und eigen werd' ich meine Kinder sehn.

An der Stelle meines Bildes, das im Spiegel von Kristall

Mir der Bach allein will zeigen, werd' ich meine Kinder sehn.

Wenn ich meine Augen schließe, kann ich fühlen, sie sind nah;

In des Herzen heil'gem Schweigen werd' ich meine Kinder sehn.

Quelle:
Friedrich Rückert: Kindertodtenlieder aus seinem Nachlasse, Frankfurt a.M. 1872, S. 243-244.
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