Körners Geist

[35] Bedeckt von Moos und Schorfe,

Ein Eichbaum hoch und stark

Steht bei Wöbblin, dem Dorfe,

In Mecklenburger Mark.


Darunter ist von Steine

Ein neues Grab gemacht,[35]

Draus steigt im Mondenscheine

Ein Geist um Mitternacht.


Er richtet auf die Rinden

Des Baums den Blick und liest

Den Namen, der zu finden

Dort eingegraben ist.


Dann sucht er mit den Händen

Ein Schwert, das liegt am Ort,

Und gürtet um die Lenden

Sich dieses Schwert sofort.


Langt dann nach einer Leier,

Nimmt sie vom Ast herab,

Und setzt in stiller Feier

Sich singend auf sein Grab:


Ich war in Jugendbrause

Ein rascher Reitersmann,

Bis hier im dunklen Hause

Ich Ruh' und Rast gewann.


Ich war ein freier Jäger

In Lützows wilder Schar,

Und auch ein Zitherschläger,

Mein Schwertlied klang so klar.


Nun reiten die Genossen

Allein auf ihrer Fahrt,

Da ich vom Roß geschossen

Und hier begraben ward.


Ihr mögt nur weiter traben,

Bis daß ihr kommt ans Ziel.

Ihr habet mich begraben,

Wie es mir wohlgefiel.


Es sind die beiden Lieben,

Die mir im Leben wert,

Im Tode mir geblieben,

Die Leier und das Schwert.
[36]

Ich seh' auch meinen Namen,

Daß er unsterblich sei,

Geschnitten in den Rahmen

Der Eiche schön und frei.


Es sind die schönsten Kränze

Gegeben meiner Gruft,

Die sich in jedem Lenze

Erneu'n mit frischem Duft.


Die Eich' ob meiner Scheitel,

Wie ist der Kranz so groß;

Mein Ringen war nicht eitel,

Ich ruh' in ihrem Schoß.


Man hat in Fürstengrüften

Bestatten mich gewollt;

Hier in den frischen Düften

Ihr ruhn mich lassen sollt.


Hier sei noch oft mit Kräuseln

Der Eiche Laub bewegt,

Wenn in des Windes Säuseln

Mein Geist die Saiten schlägt.

Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 35-37.
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