Die Zeit der Rosen und der Lilien

[258] Immer miteinander ließen

Dichter Ros' und Lilie blühn,

Da sich Lilien doch erschließen,

Wann die Rosen nicht mehr glühn.


Auf der schönen Rose Grabe

Steht der Lilien Herrlichkeit;

Dichter mit dem Wunderstabe

Schlichten, was Natur entzweit.


Aus der roten Rose Grabe

Steigt der Lilie Heiterkeit;

Dichter mit der Himmelsgabe

Gleichen aus des Lebens Streit.


Immer miteinander lassen

Dichter Ros' und Lilie glühn,

Ob die Rosen gleich erblassen,

Eh' die Lilien erblühn.


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 258.
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