Sieben und Vierzigstes Kapitel.

[501] Wie Gargantua fürstellt daß den Kindern ohn ihrer Eltern Wissen und Willen zu heyrathen nicht verstattet sey.


Als nun Pantagruel in den großen Schloß-Saal trat, fand er daselbst den guten Gargantua, der eben aus dem Conseil kam; erstattet' ihm summarischen Bericht von ihren Ebentheuern, setzt' ihm ihr Fürhaben auseinander, und bat daß sie's mit seiner Gunst und Genehmigung ins Werk richten[501] dürften. Der Ehrenmann Gargantua hielt zween grosse Bündel erwogner Suppliken und zu erwägender Pro Memoria in den Händen, die er dem Ulrich Gallet gab, seinem alten Requetenmeister und Archivario: nahm darauf den Pantagruel bey Seit, und sprach mit froherer Mien als sonst zu ihm: Mein vielgeliebter Sohn, ich dank dem Herrn, der euch bey tugendhaften Gedanken erhält: ist mir ganz lieb daß ihr die Reis vollführt, doch wollt ich daß ihr nun gleichermaasen auch dran dächtet und Verlangen trüg euch zu vermählen. Mir bedünket, ihr tretet nachgerad dazu in das erforderliche Alter. Panurg hat sich genug bemüht, die Zweifel zu heben, die ihm etwa im Weg stehn möchten; sprecht itzt für euch.

Grundgütiger Vater, erwiedert' ihm Pantagruel, ich hab hieran noch nicht gedacht, hab lediglich dieß ganze Geschäft euerm väterlichen Gebot und guten Willen anheimgestellt. Gott bitt ich, lieber todt und starr, mit euerm Willen, euch zu Füssen zu liegen, als jemals lebendig gegen denselben vermählt zu seyn. Noch hab ich von keinem Gesetz gehört, sey es heilig oder profan, ja ganz barbarisch, das die Kinder ohn ihrer Väter, Mütter, Blutsfreund, und Sippschaft Beyrath, Zustimmung und Vorschub sich zu verehelichen ermächtiget hätt; als welche Wahl die Gesetzgeber insgesammt den Kindern benommen und den Eltern zuerkannt haben.

Geliebter Sohn, sprach Gargantua, ich glaub es euch; und dank dem Herrn, daß ihr nur gute und löbliche Ding erfahrt, und daß durch die Fenster eurer Sinnen in eures Geistes Wohnhaus nichts als lautere Wissenschaft Zutritt findet. Denn zu meiner Zeit haben wir auf dem festen Land ein Reich ersehen, wo eine gar besondere Zunft duckmäuserischer Pastophoren dem Ehestand so abhold sind wie die Priester der Cybele in Phrygien, als wenn es Kapphähn und nicht muthwillige geile Hahnen und Galli wären: die haben dann den Eheleuten über die Eh Gesetz ertheilt: und weiß ich nicht, wovor man sich mehr entsetzen soll, ob vor der tyrannischen Einbildung dieser gefürchteten Duckmäuser, die innerhalb der Schranken ihrer mystischen Tempel nicht[502] rasten können und sich in Ding so ihrem Beruf schnurstracks zuwider und fremd sind mengen, oder vor dem Aberglauben der dummen Eheleut die so böse barbarische Satzungen angenommen, ihnen Folge geleistet haben, und nicht einsehn (was doch klarer als der Morgenstern!) wie solche Heyrathsordnungen sämmtlich den Vortheil der Mysten, und auch nicht eine das Wohl und Frommen der Eheleut erzwecken. Was sie schon sattsam des Betrugs und Unterschleifs verdächtig macht.

Mit gegenseitigem Fürwitz könnten sie ihren Mysten Gesetz dictiren über ihre Cärimonien und Opferbräuch; zumal sie sichs an ihrem Hab und Gut abdarben, von ihrer Händ Arbeit und sauerm Schweiß entbrechen daß im Überfluß und fein gemächlich zu leben haben; und würden, mein ich, ihre Gesetz nicht so verkehrt und albern seyn wie die so sie von ihnen erhielten. Denn, wie ihr ganz richtig sagt, kein Recht auf Erden ertheilt den Kindern die Freyheit ohn ihrer Eltern Beytritt, Rath und Wissenschaft sich zu vermählen. Aber nach denen Satzungen da ich von red, ist im ganzen Gau kein Kuppler, Schelm, Schalk, Galgendieb, kein so stinkiger, müffiger, schäbiger Schnapphahn, Bandit noch Böswicht, der nicht frey welch Mägdlein ihm nur anstünd, und wenn es noch so fürnehm, schön, reich, keusch und sittsam wär, aus dem Haus ihres Vaters, aus ihrer Mutter Armen, allen ihren Anverwandten zum Trutz entführen dürft, wenn sich der Kuppler nur einmal erst mit einem Mysten verständigt hat, der von dem Raub zu seiner Zeit sein Theil abkriegt.

Könnten wohl Gothen oder Scythen und Massageten wilder handeln, grimmiger hausen in Feindes Stadt, die sie geraume Zeit belägert, mit schweren Kosten lang berannt, endlich mit Sturm erobert hätten? Und müssen die traurigen Eltern mit ansehn wie ihnen ein Fremdling, ein unbekannter barbarischer Köder voll Beulen, Fäulniß und Leichenstanks, ein armer Lump aus ihren Häusern ihre so schönen, reichen, gesunden, zärtlichen Töchter entführt und fortschleppt, die sie so teuer in allem Guten auferzogen, zu jeder Tugend angeführt, in Hoffnung sie zu rechter Zeit ihrer Nachbarn und alten Freund gleich sorgsam auferzognen Söhnen zur Eh zu geben, daß sie noch dieß Glück des Ehestands genössen[503] von ihnen Kinder entspringen zu sehen die ihrer Eltern Sitt und Hab nicht minder als ihr Hab und Gut, ererben und weiterpflanzen möchten. Wie meint ihr nun daß ihnen wohl bey diesem Anblick zu Muth mag seyn? Glaubt nicht daß schrecklicher die Bestürzung des Römischen Volkes und seiner Bündner gewesen sey, als sie den Hintritt des Drusus Germanicus erfuhren.

Nicht untröstlicher der Spartaner Betrübniß, als sie aus ihrem Lande heimlich die griechische Helena durch den Trojanischen Ehebrecher entführen sahen. Nicht geringer stellt euch ihr Jammern und Klagen für, als der Ceres, da man ihr ihre Tochter Proserpina geraubt hätt, als der Isis beym Verlust Osiris, der Venus beim Tod Adonis, der Herkules bei Hylä Verirrung, der Hekuba bei der Entwendung Polyxenä.

Sie aber sind gleichwohl von Teufelsfurcht und Aberglauben, weil der Duckmäuser mit im Spiel und zugegen war, so arg besessen, daß sie keinen Widerstand wagen. Und bleiben also ihrer lieben Töchter beraubt daheim zurück, und verflucht der Vater Tag und Stund seiner Hochzeit, die Mutter bereuet schwer daß sie in dem unseeligen elenden Kindbett nicht fehlgebahr; und enden ihr Leben in Jammer und Thränen, das sie doch von Rechtswegen in Freud und guter Pfleg bei ihren Kindern beschliessen sollten. Andre sind so ausser sich, und gleichsam wie von Sinnen kommen, daß sie sich vor Gram und Kummer selbst ein Leides gethan, ersäuft, erdrosselt haben, weil sie die Schmach nicht ertragen mochten.

Andre aber von kühnerem Geist, und nach dem Beyspiel der Kinder Jakob als sie die Schwächung ihrer Schwester Dina rächten, haben dem Kuppler samt seinem Duckmäuser aufgelauert wie sie verstohlen parlamentirt und ihre Töchter beschwatzen wollen; sie auf der Stell in Stücken gehauen und grimmig umgebracht, darauf ihre Leiber allen Wölfen und Raben des Feldes fürgeworfen. Ueber welch mannhaft ritterlich Thun diese duckmäuserischen Symmysten Weh und Zeter geschrieen, getobt, die schauderhaftesten Klagen erhoben, und alles Ungestüms die Justiz und den weltlichen Arm beschworen haben; mit Wuth in einem solchen Fall[504] auf exemplarischer Straf bestehend. Gleichwohl aber hat man weder in der natürlichen Billigkeit noch Völker- oder Kaiserrechten so viel ihrer sind, eine Rubrica, Paragraphus, Punkt noch Titel erfunden, der eine solche That mit Buß oder Marter, gegen alle Vernunft und der Natur zuwider, belegt'. Denn auf der Welt ist kein Ehrenmann, der nicht natürlichvernünftigerweis in seinem Gemüth weit ärger bestürzt wär, wenn er von seiner Tochter Schwächung, Schand und Schmach die Kund erhält, als von derselben leiblichem Tode. Nun aber kann nach der Vernunft, und muß nach der Natur ein Jeder, der einen Mörder auf frischer That des böslich vorbedachten Mordes seiner Tochter trifft, ohn weiters ihn töden und die Gerechtigkeit darf ihm darum kein Härlein krümmen.

Ist also kein Wunder daß, wer den Kuppler auf des Duckmäusers Anstiften findet wie sie ihm seine Tochter beschwätzen und aus dem Haus entführen wollen, sie eines schmählichen Todes kann und muß sterben lassen; auch ihre Leiber den wilden Thieren zum Raub auswerfen als unwerth des süssen, ersehnten, letzten Umfangens der grossen gütigen Mutter Erd, das wir Begräbniß nennen. – Geliebter Sohn, nach meinem Hinscheid bauet für, daß solche Gesetz in diesem Reich nicht Eingang finden! So lang Ich selbst in diesem Leib noch athm und leb, werd ich darauf gar wohl bedacht seyn. Weil ihr dann nun eure Heyrath mir anheimstellt, bin ichs zufrieden, und wills besorgen. Schicket euch mit Panurgen zur Reis an. Nehmt Epistemon mit und Bruder Jahnen, und wen ihr noch sonst erkieset.

Mit meinen Schätzen schaltet nach euerm freyen Gefallen; was ihr auch thut, es kann mir nichts misfällig seyn. Nehmt zu Thalaß aus meinem Arsenal Geräth soviel ihr wollt; Piloten, Schiffsleut, Dolmetscher, Rudrer wie ihr wollt: und segelt aus mit gutem Wind in des behüthenden Gottes Namen. In euerm Abseyn werd ich dann für euch sowohl ein Weib beschaffen, als ein Fest rüsten, welches ich zu eurer Hochzeit geben will, so stattlich als nur je eins war.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 501-505.
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