Vier und Vierzigstes Kapitel.

[493] Wie Panurg beym Triboullet Rath nimmt.


Am sechsten Tag drauf kam Pantagruel um dieselbige Stund nach Haus, als Triboullet von Blois zu Wasser angelangt war. Dem verehrt' Panurg zum Willkomm eine[493] fein pralle und klappernde Schweinsblas, denn es waren Erbsen darinn; ferner einen hölzernen schön verguldeten Degen; ferner ein klein Täschel von Schildkrot; ein Korbflasch voll Bretanischen Weins, und ein Metz Wurgäpfel. – Wie! sprach Karpalim, ist er gar ein Apfelregal-Narr? – Triboullet schnallt' den Degen und das Täschel um, nahm die Schweinsblas in die Hand, aß die Aepfel zum Theil auf, trank den Wein ganz aus. Panurg betrachtet' ihn aufmerksam, und sprach: Ich hab noch keinen Narren gesehn, und sah doch deren schon für mehr denn zehntausend Franken, der nicht gern und in langen Zügen getrunken hätt. – Trug ihm darauf in wohlgesetzten rhetorischen Reden seine Sach für.

Er war noch nicht zu End damit, da zog ihm Triboullet mit der Faust einen derben Rettig zwischen die Schultern, händigt' ihm die Flasch wieder ein, benasenstübert' ihn mit der Schweinsblas, und gab weiter keine Antwort von sich, als daß er stark mit dem Kopfe schlotternd zu ihm sprach: Ho ho he, Narr wie keiner meh, wahr Pfaffen, Bockshorn von Buzançay! Mit diesen Worten entlief er aus der Gesellschaft, spielt' mit seiner Blas und ergötzt' sich an dem melodischen Schall der Erbsen. Mehr war nicht aus ihm zu bringen, und als Panurg ihn weiter wollt fragen, zog Triboullet seinen hölzernen Degen, und wollt ihn schlagen.

Wahrlich, rief Panurg, da sind wir schön gefahren! Ein saubrer Bescheid! Ein Narr zwar ist er, wie nicht zu leugnen; aber noch mehr ein Narr war der, der mir ihn bracht; und ich der größte, der ich ihm meine Gedanken vertraut hab. – Das heißt mir recht in den Bart gespuckt, antwortet' Karpalim. – Ohn uns weiter zu ereifern, sprach Pantagruel, lasset uns seine Wort und Gebährden in Betracht[494] ziehn. Darinn hab ich bedeutende Mysterien erkannt und mich befremdet itzt weniger als ehedem, daß solche Narren bey den Türken als Musaphis und Propheten verehret werden. Habt ihr wohl acht gegeben, wie sein Haupt eh er den Mund zum Reden aufthät, so schlottert' und hin und her wankt'? Nach der Doctrin der alten Weisen, den Cärimonien der Magier, und Wahrnehmungen der Rechtsgelehrten, könnt ihr ermessen daß diese Unruh auf Ankunft und Inspiration des prophetischen Geistes in ihm erregt ward der, wo er stürmisch in ein kleines und schwächliches Wesen fährt, (wie ihr wohl wisset daß ein kleiner Kopf kein groß Gehirn herbergen kann) es dergestalt erschüttert, daß nach ärztlicher Erfahrung, die Glieder des menschlichen Leibes ein Zittern befällt, theils wegen des zu schweren Gewichts und übermässiger Gewalt der ertragenen Last, theils wegen Schwäch im Trag-Organ und den Kräften des Trägers.

Hievon sehn wir ein deutlich Beispiel an Denen die nüchtern ein groß Maas Wein nicht tragen können, ohn mit den Händen zu zittern. Dieß besagt' uns weiland bildlich die Seherinn Pythia, wann sie vor dem Orakelsprechen ihren heimischen Lorbeer schüttelt'. Also schreibt Lampridius vom Kaiser Heliogabalo, daß er, um für einen Propheten gehalten zu werden, an manchen Festen seines grossen Götzen öffentlich unter den Schwärmern und Hämmlingen mit dem Haupt gewankt hab. Also meldet auch Plautus in seinem Eselsspiel, wie Saurias mit wankendem Haupt wie toll und verrückt sey einhergegangen und die ihm Begegnenden erschreckt hab. Und anderwärts, wo er erklärt, warum[495] Charmides mit dem Haupt wankt', spricht er, er sey verzückt gewesen.

So erzählet uns Catull in Berecynthia und Atys von dem Ort da die Mänaden, Bacchischen Weiber und Priesterinnen prophetisch-toll mit Epheu-Laub und mit wankenden Häuptern umhergelaufen: wie auch in einem gleichen Fall die entmannten Galli, der Cybele Priester, wenn sie ihr Amt versahen, thäten. Wovon die Göttin, nach den alten Theologis, ihren Namen führt; denn Κυβιστᾷν (kybistan,) bedeutet drehen, beugen, mit dem Nacken schlenkern, den Kopfhänger machen.

So berichtet Titus Livius daß in Rom am Bacchusfest die Männer und Weiber zu prophezeyn geschienen durch allerley erheuchelte Krämpf und Leibeszuckungen. Denn es war aller Weisen einhällige Stimm und Glauben des Volks, daß Weissagung niemals vom Himmel ohn Wahnsinn, und Erschütterung des Leibes ertheilet würd, der nicht nur wenn er dieselb empfing, zittert' und schlottert', sondern auch wenn er sie wiederum von sich gäb und offenbart'. Auch in der That gab Julianus, der berühmte Rechtsgelehrte, als man ihn einstmals frug, ob der Sklav der mit thörigen Schwärmern Umgang gepflogen und durch Zufall, doch ohn dieß Schlottern des Haupts geweissagt hätt, für gesund zu halten? zur Antwort: man halt ihn für gesund. So sehn wir noch bis diese Stund Lehrmeister und Pädagogen die Köpf ihrer Schüler, wie einen Topf bey den Henkeln, durch Vellication und Zupfung der Ohren (das nach der weisen Aegyptier Lehr ein dem Gedächtniß geheiligtes Glied ist) aufrütteln, um ihnen ihre Sinnen die etwann just mit fremden Gedanken zerstreuet, und durch störende Affecten wie verwildert[496] waren, zur rechten philosophischen Zucht zurückzuführen. Wie von sich Virgil bekennt daß ihn Apollo Cyntius auch am Ohr gezupft hab.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 493-497.
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