Ein und Zwanzigstes Kapitel.

[70] Von des Gargantuä Studien unter seinen sophistischen Lehrern.


Nachdem die ersten Tag also verbracht und die Glocken an ihren Ort gebracht waren, erboten sich die Parisischen[70] Bürger aus Dankbarkeit für solche Großmuth, seine Mär so lang er wollt zu unterhalten und zu ernähren. Welches er auch gern geschehn ließ, und schickten sie in den Forst von Biere auf Weid. Ich glaub, itzt ist sie nicht mehr da.

Darnach wollt er mit aller Macht nach Ponokratis Anweisung studiren lernen. Dieser aber verordnet' daß er fürs erst noch bey seiner alten Weis und Gewohnheit bleiben sollt, damit man dahinter kommen möcht, durch welch Verfahren ihn seine alten Lehrmeister in so langer Zeit so gar unwissend blöd und dämisch gemacht hätten. Also theilt' er seine Zeit dergestalt ein, daß er für gewöhnlich zwischen Acht und neun sich ermuntert', es mocht nun Tag seyn oder nicht: denn also hatten es seine alten Zuchtregenten mit ihm gehalten und dabey Davids Spruch citirt: Vanum est vobis ante lucem surgere. Darauf strabelt', wälzt' und sielt' er sich eine Zeitlang im Bett herum zu mehrerer Erfrischung seiner Lebensgeister und kleidet' sich nach der Jahreszeit an: doch trug er gern einen langen grossen Rock von dickem Frieß mit Füchsen gefuttert. Darauf strält' er sich mit dem Schwäbischen Sträl, das sind die vier Finger und der Daumen. Denn seine Lehrer pflegten zu sagen, wer anders sich strält', wüsch oder säubert', verdürb die Zeit nur in dieser Welt.

Nachgehends schiß er, pißt' er, kotzt' er, rülpst' er, farzt' er, jähnt' er, spie er, hustet', räuspert', niest' und rotzt' wie ein Archidiakonus und frühstuckt', den bösen Thau und Nebel zu legen, schöne Karbonädel, schöne Bratkutteln, schöne Schunken, leckre Rebhuhntunken, und Prim-Suppen vollauf. Ponokrates verwies ihm zwar so jähling vom Bett weg zu füttern eh er zuvor ein Uebung gehabt hätt. Ey was Uebung! antwort ihm Gargantua, hab ich nicht Uebung genug gehabt? Ich hab eh ich aufstund, sechs bis sieben Gäng im Bett herum turnirt: ist das nicht satt? Papst Alexander thät ihm auch so, nach dem Rath seines[71] jüdischen Arztes, und lebt' bis er starb, seinen Neidern zu Leid. Meine ersten Meister haben mich dran gewöhnt und gesagt, das Frühstücken mach ein gut Gedächtniß, tranken derhalb auch immer vorweg. Ich befind mich gar wohl dabey, ich speis nur dest besser drauf zu Mittag. Und Meister Tubal, der der Oberst seiner Licenz in Paris war, sagt' mir östers, der Vortheil läg nicht gar darinn, daß man geschwind lief, wohl aber darinn, daß man fein fruh bei Zeiten aus lief: auch ist das nicht das alleinige Wohlseyn unserer Humanitäten zu trinken wie die Enten, schlick, schlack, schlapp, sondern mit grauendem Tag zu trinken, unde versiculus:


Früh aufstehn

Macht seelig nicht, Frühtrunk ist schön.


Als er nach allem Vortheil nun wohl gefrühstuckt, ging er zur Kirchen, und trug man ihm in einem großen Korb ein dick verpantoffelt Brevierbuch nach, das wog im Schmeer, Clausuren und Pergament eilf Zentner sechs Pfund, was weniges drunter oder drüber, ab oder an: da hört' er dann ein sechsundzwanzig bis dreyssig Messen. Inzwischen kam sein Horasbeter auf den Platz, verkaselt wie ein Widhopf, auch seinen Athem mit Weinbeersyrup geziemendlich verantidotiret. Mit dem mämmelt' er all sein Kyrieleisli und körnt' sie so sorgsam aus, daß auch nicht ein einigs Sämlein davon zur Erden fiel. Wann er dann wieder aus der Kirch ging, führt' man ihm auf einer Ochsen-Schleif einen grossen Prast Paternoster von Sanct Claudi nach, jedweder Knopf dran so schwer als ein Hutleist: damit ging er im Kloster, im Kreuzgang oder im Garten auf und ab, und betet' ihrer mehr denn sechzehn Klausner an den Fingern herunter.[72]

Darnach studirt' er ein leidig halb Stündlein, die Augen starr auf sein Buch gerichtet, aber sein Seel (wie der Comikus sagt) war in der Kuchel.

Seicht' sodann einen Kämmerling bis an den Rand voll und setzt' sich zu Tisch; und weil er flegmatischer Natur war, fing er sein Malzeit mit etlichen Dutzend Schunken, geräucherten Ochsenzungen, Botargen, Würsten und andern dergleichen Wein-Furiren und Fürtrag an. Mittlerweil warfen ihm vier seiner Leut ohn Unterlaß einer nach dem andern Mustrich mit vollen Schaufeln ins Maul. Drauf thät er einen erschrecklichen Zug weissen Weins, ihm die Nieren zu kühlen: aß dann was just die Jahrszeit gab, so viel ihm beliebt', und hört' alsdann mit Essen auf, wann ihm der Bauch zog. Im Trinken hätt er kein Maas noch Regel; denn, sagt er, des Trinkens Schrank und Ziel wär, wenn des trinkenden Kerles Kork-Sohl in den Pantoffeln um einen halben Schuh auflief und in die Höhe schwöll.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 70-73.
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