Vierzehntes Kapitel.

[53] Wie Gargantua durch einen Sophisten im Latein unterwiesen ward.


Als ihn der gute Mann Grandgoschier so reden hört', kam er vor Wunder schier ausser sich: denn daraus sah er seines Sohnes Gargantuä erstaunlichen Geist und tiefen[53] Sinn, und sprach zu seinen Wärterinnen: Philippus, König in Macedonien erkannt seines Sohnes Alexanders guten Verstand an geschickter Zureitung eines Pferdes. Denn dieses Pferd war so unbändig und schauderhaft, daß niemand es zu beschreiten wagt', weil es allen seinen Reitern die Schipp gab: dem einen brach es den Hals, dem andern die Bein, dem dritten das Hirn, dem vierten die Kinnladen entzwey. Als dieses Alexander im Hippodromo (dem Ort da man die Pferde umtreibt und tummelt), sahe, merkt' er wohl daß des Pferdes Toben anders woher nicht kam als weil es vor seinem eignen Schatten sich scheuet'. Sprang also flugs hinauf und rannt es gegen die Sonn an, daß der Schatten hinter ihm blieb, und durch dieß Mittel macht' er es seinem Willen fügsam. Hieran erkannt sein Vater eben den göttlichen Verstand in ihm, und ließ ihn auf das aller best durch Aristoteles unterrichten, welcher damals vor allen Weisen Griechenlands geachtet war. Und Ich sag euch: aus diesem einigen Gespräch so ich itzunder in euerm Beyseyn mit meinem Sohn Gargantua gepflogen hab, erkenn ich daß in seinem Verstand etwas Göttlichs ist: so scharf, spitzfindig, hell und tief befind ich ihn: und so er recht belehret wird, mag er der Weisheit höchste Stafel gar wohl erreichen. Derhalb will ich ihn einem Gelahrten übergeben der ihn nach seiner Fähigkeit recht unterweis, und nichts dran sparen. Alsbald zeigt man ihm einen grossen Sophistischen Doctor namens Meister Thubal Holofernes an, der trieb ihm sein ABC Täflein so in den Kopf, daß er es vor- und rückwärts konnt und bracht damit fünf Jahr und drey Monat zu. Darnach las er ihm den Donatus, den Facetus, Theodoletus und Alanus in parabolis, und damit bracht er wiederum zu, dreyzehn Jahr, sechs Monat und zween Wochen.[54]

Aber merket wohl, zu gleicher Zeit lehrt' er ihm auch auf Gothisch zu schreiben; denn er schrieb all seine Bücher weil die Druckkunst noch nicht im Brauch war.

Und trug für gewöhnlich ein mächtigs Schreibzeug das wog über siebentausend Centner; der Kengel dran war so lang und dick als wie die dicken Pfeiler zu Enay, und das Dintenhörnlein von der Größ einer Schiffstonn, hing an schweren eisernen Ketten daran. Nach diesem las er ihm De modis significandi cum Schaaliis Balgewindii, Breitmaul, Schwafelin, Sausenbraus, Hans Kalben, Billonii, Vorleckeri, und eines Haufens Andrer mehr; und bracht damit über achtzehn Jahr und eilf Monat zu: hätt es sehr wohl inn; wenn man ihm auf den Zahn fühlt' sagt' ers euch aus dem Kopf hinterrucks auf, und bewies seiner Mutter auf ein Näglein daß de modis significandi minime erat scientia.

Drauf las er ihm den Computum, bei welchem er an die sechzehn Jahre und zween Monat blieb, als sein ernannter Präzeptor das Zeitliche segnet': im Jahr eintausend vierhundert zwanzig starb an der Krätzer, das verstand sich.

Nach diesem kriegt' er einen andern alten Huster namens Meister Hiob Zäumlein, der las ihm Hugutio, Hebrardi Gräcismum, das Doctrinal, das Partes,[55] das Quid est, das Supplementum, Memmendreck, De moribus in mensa servandis, Seneca, de quatuor virtutibus cardinalibus, Passavantus cum commento, und's Dormi secure auf die Fest; nebst etlichen mehr desselben Schrotes, durch deren Lesung er so klug ward als er in Ofen geschossen war.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 53-56.
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