Drittes Kapitel.

[233] Wie auf dem Läut-Eiland nicht mehr denn Ein Papling ist.


Dann frugen wir den Aedituus warum, bey solcher Fruchtbarkeit dieser würdigen Vögel in all ihren Arten, doch nicht mehr denn Ein Papling da wär? Er antwort uns: es wär also vom Anbeginn die Orduung und fatalische Bestimmung der Gestirn, daß aus den Pfäfflingen Münchling und Priesterling ohn fleischliche Gemeinschaft sich erzeugten, wie Bienen aus einem jungen Stier. Aus den Priesterlingen erwüchsen die Bischling; aus den Bischlingen die schönen Cardinling; und die Cardinling, wenn der Tod es nicht vereitelt', endigten zuletzt im Papling; und von dem ist in der Regel nicht mehr denn Einer, wie in den Bienenstöcken auch nur Ein Weisel, und am Himmel nur Eine Sonn ist. Wenn[233] der stirbt, so wächst aus der gesammten Raß der Cardinling ein Andrer in seine Stell; doch wohl zu merken, allezeit ohn fleischlich Band noch Beywohnung. Also daß dieß Geschlecht in individualischer Einheit und immerwährender Succession, nicht mehr noch minder als der Phönix in Arabien beharret. Zwar hat sich begeben daß vor etwann zweytausend siebenhundert sechzig Monden einmal zween Papling zu gleicher Zeit zur Welt sind kom men: das ist aber die allergrößte Plag gewesen so auf dem Eiland je erhört war. Denn, erzählt' der Aedituus, da rauften sich und zausten sich all diese Vögel die ganze Zeit so mörderlich unter einander herum, daß nicht viel fehlt' so wär das Eiland ganz vogelleer und wüst geworden. Ein Theil von ihnen hielts mit dem Einen und stritt für ihn, ein Theil mit dem andern und half ihm über; ein Theil davon blieb gar so stumm wie die Fisch, und sang nicht eine Not mehr. Und selbst von diesen Glocken, stund ein Theil wie ganz verplüfft, stockstill. Während dieser rebellischen Zeit entboten sie zu ihrem Beystand Kaiser, Könige, Fürsten, Herzög, Grafen, Baronen und freye Staaten aus der Welt vom Continent und Festland drüben; und nahm dieß Schisma und Zerwürfniß nicht eher ein End bis Einer der Beyden ums Leben kam, und die Mehrheit wieder zur Einheit ward.

Drauf frugen wir, was diese Vögel so unablässig zu singen trieb? Und der Aedituus antwort uns, es wären die Glocken die auf ihren Bauern hingen. Dann frug er uns: Soll ich die Münchling die ihr hie in ihre Hippokras-Filtrirsäck wie Haubenlerchen vermummelt seht, gleich singen lassen? – O thut es doch! versetzten wir. Da zog er blos die Glock sechsmal, und Münchling sprangen, und Münchling sangen daß eine Art war. Und sängen auch wohl, sprach Panurg, die dort mit den rauchheringsfarbenen Federn, wenn ich hier diese Glock zög? – Nicht minder, antwort der Aedituus. – Da zog Panurg, und plötzlich rannten auch diese verschmauchten Vöglein her, und trällerten unisono; aber ihre Stimmen waren sehr rauh und garstig.[234] Doch dafür, belehrt' uns der Aedituus, lebten sie auch von nichts als Fischen, wie die Reiger und Wasserraben bey uns, und wären eigentlich eine fünfte Species von Tuckmäusern, neu gedruckt und aufgelegt: zugleich bemerkend, wie ihm Robert Valbringue, der aus Afrika unlängst hie durchpassirt, erzählt hätt daß nächstens eine sechste Art eintreffen würd, die er Kapuzling benamset, und ein mürrischer, horntoller, abgeschmackter Volk sey auf dem ganzen Eiland nicht erhört. – Wohl, sprach Pantagruel, hat Afrika von jeher immer die neuesten Mißgeburthen erzeugt.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 233-235.
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