Viertes Kapitel.

[235] Wie die Vögel des Läut-Eilands lauter Zugvögel waren.


Aber, sprach Pantagruel, da ihr uns nun erläutert habt wie Papling aus Cardinling, Cardinling aus Bischling, Bischling aus Priesterling, und Priesterling aus Pfäffling wird; möcht ich wohl wissen woher euch diese Pfäffling kommen. – Es sind, antwort der Aedituus, lauter Zugvögel, und kommen uns aus der andern Welt: ein Theil aus einem mächtig grossen Gau, der heißt Schmalbisseln; theils auch aus einem andern gegen Abend, dessen Nam ist Ihrenzuviel. Aus diesen beyden Gauen kommen alljährlich diese Pfäffling schubweis zu uns, verlassen Vater und Mutter, Freund' und Verwandtschaft; und die Art und Weis ist diese: Wenn etwa in einem edeln Hause dieses zuletztgenannten Gaues zuviel Kinder sind, gleichviel ob[235] Knaben oder Mägdlein, dergestalt daß, wenn man, (wie Vernunft erheischt, Natur befiehlt und Gott gebeut) einem jeden sein Erbtheil wollt geben, das Haus zersplittert werden müßt, so nehmen davon ihre Eltern Gelegenheit sich ihrer hie auf diese Insel Buckelhart zu entledigen. – Die Insel Bouchard bey Chinon, wollt ihr sagen, sprach Panurg. – Ich sage Buckelhart, antwortet' der Aedituus; denn meistens sind sie bucklich, lahm, einäugig, einarmig, misgeschaffen, podagrisch, krüppelhaft, verhext, und sonst unnütze Erden-Bürden.

Dieß ist ja, sprach Pantagruel, gerad das Widerspiel der Sitt und Einrichtung, die man vor Zeiten bey der Vestalischen Jungfraun-Wahl befolgt', wonach, wie Antistius Labeo schreibt, verboten war, zu dieser Würd ein Mägdlein zu erwählen die an Seel oder Leib mit irgend einem Fehl oder Makel, und wenn auch noch so klein und verborgen, behaftet oder sonst in ihren Sinnen verkürzt war. – Ein Wunder wärs, fuhr Aedituus fort, wenn sie die Mütter dort drüben neun Monat unterm Herzen trügen, sintemal sie sie in ihren Häusern nicht neun Jahr, ja meistens nicht sieben leiden noch ausstehn mögen. Sondern ziehn ihnen kurz und gut ein Hemd übers Kleid an, scheeren ihnen, ich weiß nicht wieviel Haar' vom Scheitel, und machen sie unter Abbetung gewisser apotropäischer Sühnsprüchlein, (wie die Isis-Priester in Aegypten mit leinenen Mänteln und Haarabschneidung creiret wurden,) vor aller Welt und Aller Augen, handgreiflich, sichtlich, ohn Blessur noch Schaden mittelst Pythagorischer Seelenwandrung zu Vögeln, wie ihr hie vor euch seht. Doch lieben Freund', ich weiß nicht wie es kommen mag, noch was dahinter steckt, daß man von keinem dieser Weiblein, sey es nun Pfäffin, Münchin oder Aebtin jemals ein fröhligs Lobliedlein oder ein Charisterium hört, wie nach der Lehr des Zoroaster dem Oromasis gesungen wurden; sondern nichts als Kataraten und Skythropäen wie man sie dem Arimanischen[236] Dämon darbracht; und Jung und Alt, in einem fort sie ihre Freund und Eltern verfluchen, die sie in Vögel verwandelt haben.

Noch mehr aber kommen aus Schmalbisseln zu uns (welches gleichwohl ausnehmend breit ist); denn die Asaphis, die in dem Gau zu Haus sind, wenn sie der Hunger-Schuh druckt, wenn sie nichts zu beissen haben, nichts gelernt noch schaffen mögen, kein Gewerb und ehrliche Handirung treiben, oder einer guten Herrschaft treulich dienen: ferner die, so ihrer Schätzlein nicht habhaft worden, die verzweifeln weil ihnen ihre Plän misrathen; deßgleichen grobe Missethäter die man um arger Frevel Willen verfolgt um sie mit Schimpf vom Leben zum Tod zu bringen – das kommt alles hieher geflogen, find hie Verköstigung und wird in kurzem speckratzenfett, wenns noch so hundsdürr herkam, lebt hie sicher, vollkommen frey und ungekränkt.

Aber kehren denn, frug Pantagruel, diese artigen Vögel, wenn sie einmal hieher geflogen, je wieder in die Welt zurück wo sie geheckt sind? – Etliche, antwortet' der Aedituus: vormals nur wenige, und auch die nur spät und ungern; aber seit gewissen Sonnenfinsternissen ist eine ganze Legion, auf Antrieb himmlischer Gestirn zurückgeflogen. Das betrübt uns auch weiter nicht; es macht die Bissen der Uebrigen nur fetter. Und vor ihrem Rückzug haben sie All ihre Federn hie hinter den Zäunen und Dornen verstreuet. – Wirklich sahn wir deren viele, und wie wir weiter suchten, fanden wir auch von Ungefähr im Gras einen ganz frisch begrabenen Hund.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 235-237.
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